843 Grammatikabriss 844 In der Darstellung der sprachlichen Tatsachen im Wör- t
843 Grammatikabriss 844 In der Darstellung der sprachlichen Tatsachen im Wör- terbuch wird eine höhere historische Tiefenschärfe an- gestrebt als in den üblichen, meist rein beschreibend ausgerichteten Grammatiken und Lexika. Ein knapper Abriss soll daher die hier getroffenen Vorentschei- dungen (besonders in der Lautlehre und der darauf auf- ruhenden Rekonstruktion der reichsaramäischen Aus- sprache) offenlegen. Zugleich führt er in die Grundla- gen der aramäischen Formenlehre und Morphosyntax ein, indem er ganz kurz die verwendete linguistische Terminologie (etwa bei den Verbalformen und Stäm- men, die für Bedeutungsunterschiede in den einzelnen Artikeln durchgehend eine wichtige Rolle spielen) so- wie die damit verbundenen Funktionsbestimmungen aufschlüsselt. Er ist als bloße Ergänzung zu den ge- bräuchlichen Handbüchern gedacht: die maßgebliche Referenzgrammatik für das Biblisch-Aramäische ist nach wie vor BLA; als Einführung wird oft die haupt- sächlich synchrone und diachron nicht immer genaue Darstellung von F. Rosenthal, A Grammar of Biblical Aramaic, Wiesbaden 72006, verwendet. Eine moderne wissenschaftliche Referenzgrammatik des Alt- oder Reichsaramäischen gibt es bislang nicht, zum Einstieg s. H. Gzella, Language and Script, in: H. Niehr (Hg.), The Aramaeans in Ancient Syria, HO I/106, Leiden 2014, 71–107, für das Altaramäische und ders., Impe- rial Aramaic, in: S. Weninger (Hg.), The Semitic Lan- guages: An International Handbook, Berlin/New York 2011, 574–586, für das Reichsaramäische. 1. Schrift und Schreibung Mit dem Wandel der Schreiberkultur Syrien-Palästi- nas von der Keil- zur Alphabetschrift kurz nach 1000 v.Chr. verbreitete sich dieses neue Schriftsystem von den Phöniziern ausgehend auch unter den Aramäern. 22 Buchstabenzeichen dienten zur Notierung der be- deutungsunterscheidenden Konsonanten; Langvokale, zunächst vor allem im Auslaut, später zunehmend auch im Wortinneren, konnten dazu durch plene-Schrei- bungen mit „Vokalbuchstaben“ (matres lectionis) be- zeichnet werden, d.h. w für /ū/ (und später /ō/), j für /ī/ (und später /ē/) und h für /ā/ und /ǣ/. In nachachäme- nidischer Zeit, z.B. in Qumran, dienten solche Vokal- buchstaben, in bestimmten Fällen sogar für Kurzvoka- le. Die Orthographie offizieller Texte wie Königsin- schriften, Rechts- und Wirtschaftsurkunden sowie förmlicher Briefe war schon seit den Anfängen fest normiert und wurde in der achämenidischen Kanzlei noch stärker vereinheitlicht. Texte mit größerem Ab- stand zu solchen Kanzleitraditionen (wie Privatbriefe) weisen mitunter eine weniger konventionelle und stär- ker phonetische Schreibung auf, orientieren sich aber in vorchristlicher Zeit insgesamt an der jeweils gelten- den Verwaltungs- und Literatursprache; s. A. Millard, The Alphabet, in: H. Gzella (Hg.), Languages from the World of the Bible, Berlin/New York 2011, 14–27. 2. Phonologie Grammatikabriss Die überlieferte Gestalt des biblisch-aramäischen Tex- tes steht unter dem Einfluss späterer sprachlicher Ent- wicklungen, entweder durch Überarbeitungen bis zur Endredaktion (im Falle des Danielbuches um 165 v. Chr.) oder durch die gewandelte Aussprache, die der in der Punktation festgelegten synagogalen Rezitation zugrunde liegt. Will man das Biblisch-Aramäische in seinen historischen Kontext – also die reichsaramäi- sche Schrifttradition – stellen, liegt es nahe, als ge- meinsamen Ausgangspunkt die Lautung des achäme- nidischen Reichsaramäisch von ca. 500 v.Chr. anzu- setzen, d.h. um die Zeit, als das Reichsaramäische zum verbindlichen Standard erhoben wurde. Dessen Aussprache kann ohne eine feste Vokalisierung zwar nur annähernd bestimmt werden, lässt sich aber durch eine Kombination von plene-Schreibungen, Transkrip- tionen in anderen Schriften, späteren Vokalisierungs- traditionen (unter Ausschluss sekundärer Änderungen wie v.a. des Schwundes unbetonter Kurzvokale in offener Silbe) und der historisch-vergleichenden Semi- tistik eingrenzen. Eine solche Rekonstruktion schafft einen gemeinsamen Rahmen für biblische und außer- biblische Texte und wird jeweils im Lemmakopf an- gegeben. Die Schrägstriche (/…/) bedeuten dabei eine „phonemische“ Abstraktion, d.h. sie geben nur die rei- nen und bedeutungsunterscheidenden Laute (Phone- me) ohne eine Berücksichtigung weiterer Variationen in der tatsächlichen Aussprache (Allophone) wieder. Für die ältesten aramäischen Sprachzeugnisse lassen sich 27 konsonantische Phoneme unterscheiden, die man nach Artikulationsort und -weise wie folgt grup- pieren kann: den stimmhaften Laryngal /ʾ/ (Glottisver- schluss) und sein stimmloses Pendant /h/, ebenso die Pharyngale /ʿ/ (Kehlkopfpresslaut) und /ḥ/ (gefauchtes h, also in der Aussprache etwa zwischen h und ch wie in „ach!“), die Velare /g/ und /k/, die Sibilanten /z/ und /s/ (vielleicht noch mit Dentalvorschlag gespro- chen, also /dz/ und /ts/), die Dentale /d/ und /t/, die In- terdentale /δ/ (wie in englisch this) und /θ/ (wie eng- lisch thin), die Bilabiale /b/ und /p/, den Palatovelar /š/ (wie sch in deutsch „Schiff“), den Lateral /ś/ (dessen ursprüngliche Aussprache etwa wie das Zischen einer Gans geklungen haben mag) und einen auf semitisches */ṣ́/ zurückgehenden Laut, der aramäisch wohl zuerst ähnlich wie /q/ ausgesprochen wurde; ferner die „em- phatischen“ Gegenstücke des stimmlosen Velars, Sibi- lanten, Dentals und Interdentals, also /q/, /ṣ/, /ṭ/ und /θ̣/, deren Aussprache sich im Laufe der Zeit wandelt vom /ʾ/-Nachschlag („Glottalisierung“) zum /ʿ/-Nach- schlag (Pharyngalisierung) oder, jedenfalls bei /q/, Ve- larisierung (also mit Hebung des hinteren Zungenteils an den Gaumen); schließlich den Lateral /l/, das „Zun- gen“-/r/ (wohl „gerollt“, d.h. ähnlich wie im Italieni- schen gesprochen), den dentalen Nasal /n/ und den bi- labialen Nasal /m/ sowie die Halbvokale /w/ (wie in Historischer Abriss der aramäischen Grammatik 845 Grammatikabriss 846 englisch water) und /j/. Diese Unterscheidungen sind sicher und lassen sich direkt an aramäischen Schrei- bungen erweisen; teils wird dazu ein Unterschied zwi- schen /ḥ/ und /ḫ/ (wie in „Loch“ oder „ach“) sowie zwischen /ʿ/ und /ġ/ (spirantisiertes g, wie z.B. im Neugriechischen oder im Standard-Niederländischen) angenommen (s. ATTM 101f.), die aber beide durch- gehend mit ḥ und ʿ geschrieben werden. In der ara- mäischen Umschrift werden /ḫ/ und /ġ/ nicht berück- sichtigt, wohl aber in der etymologischen Herleitung. Alle Konsonanten, auch die Laryngale und Pharynga- le („Kehllaute“), konnten „gelängt“ werden, d.h. sie wurden dann zwischen Ansatz und Verstummen län- ger artikuliert (traditionell, aber ungenau, „Geminati- on“ genannt). Als phonemische Vokale sind kurzes /a/, /e/ (aus semitischem */i/) und /o/ (aus semitischem */u/), langes /ā/, /ī/, /ū/ und /ǣ/ (gesprochen wie langes ä, sekundär aus betontem auslautenden /-ī/ entstanden, cf. ATTM 97) sowie die beiden Halbvokale /aw/ und /aj/ direkt oder wenigstens indirekt nachweisbar. Da die phönizische Alphabetschrift, die von den Ara- mäern übernommen wurde, nur über 22 verschiedene Buchstabenzeichen (hier kursiv transliteriert) verfügt, dienten einige davon im Altaramäischen zur Bezeich- nung mehrerer Konsonanten: š für /š/, /ś/ und meist /θ/ (in der Tell-Fekherye-Inschrift für /θ/ hingegen s), z für /z/ und /δ/, ṣ für /ṣ/ und /θ̣/ sowie q für /q/ und die aramäische Entsprechung von */ṣ́/. (Zu ḥ möglicher- weise auch für /ḫ/ und ʿ auch für /ġ/ s.o.) Zwischen dem älteren Altaramäischen und dem achä- menidischen Reichsaramäischen können durch be- stimmte Schwankungen in der Schreibung und teils Transkriptionen verschiedene Lautveränderungen fest- gestellt werden: unstrittig ist der Zusammenfall der In- terdentale /θ/, /δ/ und /θ̣/ mit den korrespondierenden Dentalen /t/, /d/ und /ṭ/ vor etwa 700 v.Chr., da sie dann meist mit t, d und ṭ geschrieben wurden (ATTM 100f.), und um 650 v.Chr. der von */ṣ́/ mit /ʿ/, wofür sodann in der Schreibung ʿ statt älterem q diente (H. Gzella, A Cultural History of Aramaic: From the Be- ginnings to the Advent of Islam, Leiden 2015, 38f.; früher noch auf ca. 600 v.Chr. datiert). Vor allem bei altem */δ/ in den sehr häufigen Demonstrativprono- mina sowie der Relativpartikel hat sich aber teils noch in die nachachämenidische Zeit hinein die historische Schreibung mit z gehalten, also znh für /denā/ (aus */δenā/) und zj für /dī/ „dass“ (aus */δī/). Im Biblisch- Aramäischen ist jedoch die phonetische Schreibung durchgeführt, daher begegnen dort nur dnh und dj. Wohl sogar noch älter könnten erste Fälle des Schwun- des von silbenschließendem /ʾ/ unter Längung eines vorangehenden Kurzvokals sein (mit typisch aramäi- schem */-aʾ/ > /-ē/ [ATTM 138: /-ǣ/]), was zum Zu- sammenfall von Verben IIIʾ (d.h. mit /ʾ/ als drittem Radikal) mit IIIī (vokalisch auslautenden) führte (von ATTM 104–106 zwischen das 9. und das 8. Jh. v. Chr. datiert). Weil aber historische Schreibungen entspre- chender Formen mit ʾ teils noch lange fortdauerten, phonetische mit h dagegen erst ab ca. 600 v.Chr. häufiger erscheinen (was wohl auch mit der anfangs eher langsamen Verbreitung einer weniger stark stan- dardisierten Orthographie wie in Privatbriefen zusam- menhängt), bleibt das genaue Zeitfenster des Wandels unsicher. Bei diesen Verben wird im Lemmakopf zu- dem die ursprüngliche Wurzelgestalt angegeben. Ferner beginnt wohl noch in altaramäischer Zeit beim Präfix des Kausativstammes der Wandel von /h/ zu /ʾ/, zuerst beim „Imperfekt“ durch Schwund von /-h-/ zwi- schen Vokalen, dann als Folge von Analogie auch im Anlaut bei „Perfekt“ und Imperativ (/ha-/ > /ʾa-/), wo- durch aus dem „Haphel“ (ha) ein „Aphel“ (aph) wird (ATTM 148). Historische Schreibungen bewahren je- doch Formen mit etymologischem h. Es ist nicht aus- geschlossen, dass schon zu dieser Zeit in Teilen des Sprachgebietes eine Monophthongierung von /aw/ und /aj/ zu /ō/ und /ē/ stattfand (anders ATTM 116–120). Transkriptionen von Personennamen in Keilschrift le- gen sodann für um 500 v.Chr. den Beginn zweier wei- terer Entwicklungen nahe, der Dissimilation von /a/ zu /e/ beim Präfix des Grundstamm-„Imperfektes“ vor zunächst nur dem Themavokal /a/ (d.h. die erste Stufe des „Barth-Ginsberg-Gesetzes“, ATTM 109f.) und der Anaptyxe (Silbenaufsprengung) einer wortauslauten- den Doppelkonsonanz durch einen Hilfsvokal (ǝ), der danach zu einem Vollvokal wurde (ATTM 112). In nachachämenidischer Zeit sind beide wegen zuneh- mender Vokalbuchstaben für Kurzvokale in aramäi- uploads/s3/ aramaisches-worterbuch-historischer-abri-pdf.pdf
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