Die Entwicklung der Afrikanistik in Österreich — www.afrikanistik.at WERNER VYC
Die Entwicklung der Afrikanistik in Österreich — www.afrikanistik.at WERNER VYCICHL * 20.1.1909 IN PRAG (BÖHMEN), † 23.9.1999 IN GENF (SCHWEIZ) Werner Vycichl (1909–1999) war einer der her- ausragendsten Spezialisten auf dem Gebiet der historisch-vergleichenden Afrikanistik und da vor allem im Bereich der afroasiatischen Spra- chen mit ihrem Zweig der Berbersprachen. Aus heutiger Sicht zählt Vycichl, der seine Ausbil- dung in Wien erhielt, zum letzten Repräsentan- ten der in Wien begründeten fachlichen Einheit von Ägyptologie und Afrikanistik (Mukarovsky 1981). Als Vertreter der „alten Schule“ (Takács 2004) hielt Vycichl Zeit seines Lebens am Ter- minus „hamitosemitisch“ fest und lehnte die spä- ter mehr akzeptierte Version „semitohamitisch“ wie auch die von Joseph Greenberg (1915–2001) eingeführte Bezeichnung „afroasiatisch“ ab (Voigt 2001). zu zitieren nach: Rohrbacher, Peter (2010): Werner Vycichl. Verfügbar unter Vycichls universitäre Karriere begann verhält- nismäßig spät. Erst 1968, im Alter von 59 Jah- ren, wurde er als Privatdozent, später dann als Titularprofessor an die Schweizer Universität Freiburg berufen. Vor diesem Hintergrund er- scheint es zunächst überraschend, dass Vycichls Werkeverzeichnis ungemein umfangreich und seit 1932 kontinuierlich auf stattliche 315 Publi- kationen angewachsen ist (siehe Vycichls Wer- keverzeichnis). Vycichls Bibliografie ist inzwi- schen gut verfügbar (Vycichl 2002: 11–33), je- doch noch immer nicht vollständig. Ein Charak- teristikum seiner Bibliografie ist es, dass sie vie- le Arbeiten mit oft nur wenigen Seiten aufweist. Diese zeugen jedoch umso mehr von seinem wissenschaftlichen Einfallsreichtum und seiner beständigen Schaffenskraft – Vycichl schrieb, abgesehen von seinen großen Werken, oft mehr als zehn Artikel jährlich und das über mehrere Jahre hindurch. Faszinierend ist die unglaubliche Vielfalt seiner Forschungsaktivitäten, die Vycichl bis ins hohe Alter durchführte sowie das Faktum, dass er sei- ne Arbeiten in mehreren Sprachen verfasste, nämlich auf Deutsch (60%), Französisch (25%), Englisch (13%), Spanisch (1%) und auf Italie- nisch (1%) (Kasser 1999). Seine bemerkenswert weitgesteckten Arbeitsfelder erstreckten sich von der Ägyptologie über die Semitohamitistik, dann Berberologie, Koptologie, Nubistik, Äthiopistik, Arabistik und Judaistik bis hin zu den altorienta- lischen Sprachen wie Akkadisch, Sumerisch und Elamitisch. Darüber hinaus weist Vycichls Œuvre nicht ge- rade wenige Arbeiten zu Armenisch, Mongolisch und zum Finno-Ugrischen auf. Um Vycichls Wirkungskreis in der Fachwelt zu würdigen, darf seine stete Präsenz auf zahlrei- chen Kongressen bis ins hohe Alter nicht uner- wähnt bleiben. Einen seiner letzten Vorträge hielt Vycichl 1993 am 7. Internationalen Hami- tosemitischen Kongress in Mailand (Vycichl 1994d, Voigt 2001). Vielen KollegInnen und Studierenden ist Vycichl als ein polylingualer Gelehrter par excellence in Erinnerung geblie- ben. Werner Vycichl wurde in Prag geboren, ver- brachte jedoch seine Kindheit und Jugend im niederösterreichischen Aspang, wo seine Eltern ein stattliches Einfamilienhaus besaßen. Sein Va- ter diente als Offizier in der österreichischen Armee (Vycichl 2002: 7). Werner Vycichl studierte ab 1928 am Institut für Ägyptologie und Afrikanistik an der Universität Wien und eignete sich im ersten Semester bei Walter C. Till (1894–1963) auch Grundkenntnis- se der koptischen Sprache an, der sich in ägypti- sche Sprache und Altertumskunde habilitiert hat- te und seit 1928 an der Universität Wien „Kop- tisch für Anfänger“ las (Vycichl 1967e: 2). 1932 schloss Vycichl sein Studium mit der Dissertati- on Untersuchungen über den Hausa-Dialekt von Kano erfolgreich ab. Es war dies eine Arbeit, die auf den Hausa-Arbeiten des deutschen Afrikanis- ten Rudolf Prietze (1854–1933) basierten und von Wilhelm Czermak (1889–1953) und Viktor Christian (1885–1963) betreut wurde. http://www.afrikanistik.at/pdf/personen/vycichl_werner.pdf 1 In der Zwischenkriegszeit stand das Wiener In- stitut in der von Leo Simon Reinisch (1832– 1919) begründeten Tradition, sich vor allem mit historisch-vergleichenden Sprachstudien zu be- schäftigen (Möhlig 2000: 981). Das vorrangige Ziel dabei war, Gemeinsamkeiten zwischen den altägyptischen und afrikanischen Sprachen her- auszuarbeiten. Als Ergebnis sollte die Subdiszip- lin der „Hamitistik“ aufgebaut werden, die je- doch von Anfang an auf unsicherem Boden stand, da der Begriff zunehmend mit der so ge- nannten Hamitentheorie in Verbindung gebracht wurde, wonach jegliche auf dem subsaharischen Raum vorgefundenen kulturellen Werte, von ei- ner postulierten „weißen Rasse“ herrühren soll- ten (Rohrbacher 2002). Diese heute als rassistisch geltende Theorie ü- bernahm Hermann Junker (1877–1962) bereits 1921 und adaptierte sie unter Zuhilfenahme des Epochemachenden Werks Die Sprachen der Ha- miten (1912) von Carl Meinhof (1857–1944) auf das Fach der Ägyptologie. Nach Junkers „Ha- mitentheorie“ wären die Nubier, wie die alten Ägypter, nicht „negroid“, sondern ursprünglich „weiße Hamiten“ gewesen. Erst ab 1600 vor Christus, also mit dem Beginn des Neuen Rei- ches, begründete Junker seine Hypothese weiter, hätte sich das geändert und danach erst könne von einem „ersten Auftauchen des Schwarzafri- kaners in der Geschichte“ gesprochen werden (Junker 1921). Mit diesem historischen Postulat implizierte Junker, dass das geografische Aus- breitungsgebiet der „überlegenen Hamiten“ in Afrika ursprünglich viel größer gewesen sein muss (Rohrbacher 2002: 117, 235). In diesen Theoriendiskurs publizierte Vycichl 1934 Auszüge seiner Dissertation als „Beitrag zur historischen Hamitistik“ und kommt anhand des Vergleichs von Hausa und Ägyptisch zum Ergebnis, dass die beiden Sprachen trotz „ihrer Unterschiede im Laufe ihrer Trennung vor sechs Jahrtausenden auf einem gemeinsamen Sprach- fundament“ basieren würden, das er als „hami- tisch“ bezeichnete (Vycichl 1934b: 112). Unter den Absolventen des Wiener Instituts ent- stand geradezu ein Wetteifern um die Begriffs- bestimmung und um die „hamitische“ Zuord- nung weiterer afrikanischer Sprachen (Muka- rovsky 1981: 511–526). Prägte Johannes Lukas 1934 den Begriff „tschadohamitisch“, so baute Zyhlarz das von Junker postulierte „historische Fundament“ der Hamitensprachen zeitlich weiter nach hinten aus (Zyhlarz 1936). Vycichl, Lukas und Zyhlarz konnten 1935/1936 ihre umfangrei- chen Beiträge zur Hamitistik auch in der re- nommierten Zeitschrift Africa publizieren, die vom „Internationalen Afrika-Institut“ [IAI] in London herausgegebenen wurde. Die Vermitt- lung dazu lief über Junker und Dietrich Wester- mann, dem damaligen deutschen Co-Direktor des IAI in London. In diesen Beiträgen erscheint Junkers paradigmatische Schrift geradezu radika- lisiert, wenn Vycichl schreibt: „Junker hat mit dem Vorurteil gebrochen, dass südlich von Ä- gypten die Domäne des Negers beginne; in Wirklichkeit waren Nubien und weite Gebiete des Sudans durch Jahrtausende hamitisches Land” (Vycichl 1935). Interessant in diesem Zu- sammenhang ist, dass zwischen den drei genann- ten Schülern Junkers keine nähere Kooperation entstand, obwohl sie als Absolventen desselben Instituts, dasselbe Thema, auch die gemeinsame Herkunft aus Böhmen teilten. Zu groß war of- fenbar der Konkurrenzdruck untereinander, der wie im Fall von Vycichl und Zyhlarz sogar zu persönlichen Zwistigkeiten führte. Zyhlarz bei- spielsweise wertete in einer Buchbesprechung Vycichls Hausa und Ägyptisch – also der Wei- terführung seiner Dissertation – „als himmelweit verfehlt“ ab, da manche seiner Belege an „Ver- worrenheit kranken“ (Zyhlarz 1936–1937: 235). Noch nach dem Zweiten Weltkrieg lieferten bei- de einander Wortgefechte, die mehr über deren persönlichen Befindlichkeiten aussagten als über ihr sachliches Urteilsvermögen. Am besten ist der von Vycichl und Zyhlarz geführte Meinungs- streit zwischen 1956 und 1961 in der Zeitschrift Kush dokumentiert, wo es vor allem um die Fra- ge nach der Zuordnung des Meroitischen als „Brücke“ zwischen Ägypten und Schwarzafrika einerseits zu den „hamitischen“ und andererseits zu den „schwarzafrikanischen Sprachen“ ging. Im Übrigen verweisen Vycichls Publikationen zur „Hamitistik“ nach dem Zweiten Weltkrieg darauf, dass er sich von der rassistischen „Hami- tentheorie“ weitgehend distanzierte (Vycichl 1951), seinen ägyptozentrischen Blick auf die Afrikanistik jedoch kontinuierlich beibehielt (vgl. Vycichls Rezensionen zu Hirschberg 1956f, 1957p, 1960f). Einen wichtigen Einschnitt in Vycichls For- scherleben bildete sein langjähriger Aufenthalt in Ägypten zwischen 1934 und 1938. Mit der Un- terstützung Hermann Junkers, damals Direktor 2 am Deutschen Archäologischen Institut in Kairo, bekam Vycichl ein Forschungsstipendium von der Österreichischen Akademie der Wissen- schaften nach Oberägypten, wo er Sprachstudien über ‛Abbādi und Bischāri zwischen Nil und Ro- tem Meer durchführen konnte (Vycichl 1953k: 177–184). Gastfreundliche Aufnahme fand Vy- cichl beim Wiener Arzt Paul Hönigsberg, der in Luxor und vielen Teilen des Landes praktizierte und seine gewonnenen Landeskenntnisse Vy- cichl gerne vermittelte. Diesen wichtigen Kon- takt legte damals Wilhelm Czermak, der, eben- falls aus einer Arztfamilie stammend, im Som- mer 1934 Hönigsberg besucht hatte. Während dieses mehrjährigen Aufenthalts beschäftigte sich Vycichl mit den vom ihm so bezeichneten „Geheimsprachen aus dem modernen Ägypten“, ein Arbeitsfeld, das ihn bis ins hohe Alter be- schäftigen sollte (vgl. Vycichl 1938b, 1952f, 1984h). Zudem erlernte er das Arabische flie- ßend und konnte sich infolge des ständigen Kon- takts mit den Dorfbewohnern auch die Variante des ägyptischen Dialekts aneignen. Parallel dazu entstand ab 1936 eine lohnende Zusammenarbeit mit dem renommierten Professor William Hoyt Worrell (1879–1952) von der Universität Michi- gan, der über die „Koptischen Traditionen“ in Oberägypten arbeitete. Gemeinsam führten sie im Dorf Zeniya bei Luxor ihre Feldstudien durch, deren Ergebnisse als Popular Traditions of the Coptic Language im Rahmen der von Worrells herausgegebenen Gesamtausgabe Cop- tic Texts in the University of Michigan Collecti- on veröffentlicht wurde (Vycichl 1942). Nach seiner Rückkehr aus Ägypten arbeitete Vy- cichl in Wien an der Auswertung seiner umfang- reichen Feldnotizen weiter und wurde dabei von Walter C. Till hilfreich unterstützt. Till war seit 1928 als Leiter der Orientalischen Abteilung der Papyrussammlung der Wiener Nationalbiblio- thek auch mit der Herausgabe koptischer Texte beschäftigt (Vycichl 1967e: 2); er wurde jedoch nach dem Anschluss 1938 im Zuge der „univer- sitären Säuberungen“ (Urban 1996, Stadler et al. 2003) in den Ruhestand versetzt (Vycichl 1967e). Parallel dazu bearbeitete Vycichl den Bereich „Ägypten und Nubien“ für die von Hugo Bernatzik (1890–1953) herausgegebene dreibän- dige Große uploads/Litterature/ biographie-vycichl-werner.pdf
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- Publié le Mai 10, 2021
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