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www.yeziden-colloquium.de ZfR Zeitschrift für Religionswissenschaft 5. Jahrgang 1997 S. 3 – 17 Ursula Spuler-Stegemann Der Engel Pfau Zum Selbstverständnis der Yezidi1 Inhalt Der göttliche melek tā’ūs, »der Engel Pfau«, ist die Zentralgestalt im Kult der traditio- nell oft als »Teufelsanbeter« geschmähten Yezidi. Mythologisch ist diese Gottheit dem höchsten Schöpfergott khode untergeordnet; religionsgeschichtlich ist sie als eine Mitt- lergestalt zwischen diesem und der Menschenwelt zu werten. Die Verehrung des melek tā’ūs hat massive Bezüge zum Sonnenkult, ist aber ihrer Herkunft nach noch weitgehend ungeklärt. Die Yezidi selbst betrachten sich gern als die älteste Religion der Welt oder wenigstens des vorderasiatischen Raumes und führen ihre Ursprünge auf die Zeit vor Zarathustra zurück. Tatsächlich sind sie eine Religion, die viele Elemente anderer Reli- gionen in sich vereinigt und ihre heutige Gestalt spätestens im Mittelalter erhalten ha- ben dürfte. In den beiden letzten Jahrzehnten wurden die Yezidi aus ihrem angestamm- ten Gebiet im Norden des Irak und in den osttürkischen Kurdengebieten größtenteils vertrieben. Von den weltweit höchstens 600.000 existierenden Yezidi leben etwa 20.000 in Deutschland und mühen sich, ihre angestammte religiöse Identität trotz aller Widrig- keiten der Diasporasituation zu bewahren. Dabei entstehen Veränderungen in der Reli- gion selbst. »Die Jeziden sind Anhänger einer religiösen Sekte«, heißt es in dem der Allgemeinbil- dung verpflichteten Brockhaus von 1898, »deren Bekenner sich auf dem Gebirge Sind- schar in Mesopotamien angesiedelt haben. Ihre Religion bewahrt Überreste alten Hei- dentums in mohammedanischer und christlicher Umdeutung und ist demnach ein Ge- misch verschiedenartiger religiöser Elemente; besonders verbreitet ist der Glaube an Zauberei... Ihr hervorragendster Heiliger ist der wie ein Abgott betrachtete Scheich Adi, dessen Grabstätte ein großer Ehren teilhaftiger heiliger Ort der Jeziden ist, bei welchem ein jährliches Pilgerfest abgehalten wird. Die Jeziden verbergen ihre religiösen Bräuche ängstlich vor den Fremden. Besonders gilt dies von ihrem in Lalesch befindlichen Centralheiligtum, einem großen viereckigen Gebäude, worin ihr heiligstes Symbol, ein auf einem Kandelaber stehender Vogel, den sie Melek Taus, das heißt Engel Pfauhahn, nennen und mit dem 1 Leicht überarbeitete Fassung des Textes meiner Antrittsvorlesung anläßlich der Ernennung zum Honorarprofessor an der Philipps-Universität Marburg am 3. November l995. ZfR 5 (1997), 3 www.yeziden-colloquium.de Satan identifizieren, zur Verehrung aufgestellt ist; davon haben sie auch den Namen >Teufelsanbeter< erhalten.« Die von Reisenden, Missionaren und durch Karl May mit seinem »Durchs wilde Kur- distan« verbreitete Meinung, daß die Yezidi Teufelsanbeter seien, hat sich sogar bei namhaften Wissenschaftlern noch bis in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts gehal- ten und die Yezidi für die Forschung besonders reizvoll gemacht. Den Muslimen gelten sie auch heute noch als Teufelsanbeter, daneben aber auch als »Sonnenanbeter«. Die Türken sagen zu ihnen Mum Söndü, »Die Kerze ist erloschen«; sie hängen an die finite Verbform »ist erloschen« das Pluralsuffix -ler und kennzeichnen sie damit als »Kerze- nauslöscher«. Auf diese Weise werden die Yezidi beschuldigt, Orgien zu feiern. Mit demselben Ausdruck beschuldigen die Türken übrigens auch die Alevi2 der Promiskui- tät, das heißt die Angehörigen jener Religionsgemeinschaft, die zum letzten Mal im März l995 wegen ihrer blutigen Auseinandersetzungen mit sunnitischen Islamisten in Istanbul in die Schlagzeilen gekommen ist. Die Yezidi verstehen sich als ein eigenes Volk mit einer eigenen Religion. Dementspre- chend haben sie auch ein weltliches und ein religiöses Oberhaupt. Die meisten sprechen Kurdisch, insbesondere den Kurmantschi-Dialekt; ihre Kultsprache aber ist – überwie- gend – das Arabische. Die meisten, keineswegs alle Yezidi sind Kurden; doch nicht viele Kurden sind Yezidi. Mehrheitlich gehören die Kurden dem sunnitischen Islam schafiitischer Rechtsschule an; unter ihnen gibt es aber auch etwa 20 % Alevi und dazu Anhänger weiterer kleiner Religionsgemeinschaften wie die Šabbak oder die Ahl-i Haqq, »Leute der Wahrheit«. Die Yezidi halten sich exklusiv für das »auserwählte Volk« Gottes. Sie begründen das mit der altiranischen Vorstellung, daß sie allein von dem androgynen Adam abstammen und nicht – wie später alle anderen Menschen – aus der Verbindung von Adam mit Eva hervorgegangen seien. Einer ihrer Mythen zufolge brachte Adam sein Sperma in einen Tonkrug ein, dem nach neun Monaten ein Zwillingspaar entstieg, das dann die Yezidi erzeugte. Im Sinne dieser ganz besonderen Abkunft allein vom Stammvater Adam be- zeichnen sich die Yezidi auch provonciert als »Kinder Adams«. Das ist die gängige Er- klärung. Chaukeddin Issa, ein kenntnisreicher Yezidi, erklärte mir, daß diese Geschichte kein bißchen wahr sei. Richtig sei hingegen, daß unmittelbar nach der Geburt eines Yezidi dem Kind symbo- lisch ein Stück von melek tā’ūs3 eingepflanzt wird, so daß es ein Teil von ihm wird; zum Yeziditum überzutreten hätte folglich gar keinen Sinn, denn kein Konvertit könne jemals der Segenskraft des melek tā’ūs teilhaftig werden. Issa sagte: »Er bedeutet für uns alles, auch wenn er nicht Gott ist. Er steht im Zentrum unseres Glaubens.« 2 Die Alevi werden auch als Aleviten bezeichnet, dürfen aber nicht mit den 'Alawiten oder Nuşairi ver- wechselt werden, die vor allem in Syrien leben. 3 Die Bezeichnungen für den Engel Pfau variieren; in den Quellen und in der Literatur lauten sie überwie- gend: melek tā’ūs, tā’ūs-i malak, tawūsī melek, tawūsī malak oder auch melek taus. ZfR 5 (1997), 4 www.yeziden-colloquium.de Die Selbstbezeichnung der »Yezidi« oder »Jeziden« ist Ēzīdī. Woher diese Bezeichnung kommt, ist – wie so vieles, das dieses eigenartige Religionsvolk anbetrifft – ungewiß. Sie selbst leiten heute ihren Namen gern vom persischen yazdān öder īzad, höchstes Wesen, Gott«, ab; eine andere Etymologie geht von dem Gott Azda aus, der in ihren Mythen vorkommt, wobei er mit dem altiranischen Gott Ahura Mazda gleichgesetzt wird.4 Beiden Ableitungen zufolge würde Ēzīdī »Gottesanbeter« bedeuten. Damit wäre der Spieß umgedreht, und aus den »Teufelsanbetern« werden »Gottesanbeter«. Heute wird auch das Tabu-Wort šaytān, also »Satan«, umgedeutet,5 und zwar in »der Engelge- staltige«, wofür man etymologisch das Kurdische bemüht. Diese Deutungen sind ety- mologisch gesehen zwar vermutlich falsch, treffen aber den Kern heutiger Lehre. Die Yezidi sind jedenfalls Monotheisten, verehren den einen, höchsten Gott, den sie khode, »der Herr«, nennen, und beten keineswegs den Teufel an. Im Laufe ihrer Geschichte hatten die Yezidi unter zahlreichen, schwersten Verfolgun- gen zu leiden. Zu ihren Überlebensstrategien gehört deshalb die taqīya (persisch ket- mān), die »weise Vorsicht«, die verlangt, daß man im Falle von Bedrohung seine religi- öse Identität nicht preisgibt. Genauso verfahren die Alevi in der Türkei, die Drusen im Libanon oder die Mandäer im Irak und in Iran. Der Grundgedanke ist offenbar von den schiitischen Muslimen übernommen worden, denen die taqīya Pflicht ist. Deshalb kann man zum Beispiel auch nicht herausbekommen, wieviele Schiiten in Deutschland leben. Die Gefährdung entsteht hier hauptsächlich durch den inner-islamischen Konflikt. Nicht einmal in Deutschland gibt es für die Yezidi absolute Sicherheit. Am 5. Juli vergange- nen Jahres wurde in Hameln ein Yezidi von einem fanatischen deutschen Muslim er- mordet, nur weil er diesem gegenüber seine Religionszugehörigkeit angegeben hatte. Als Yezidi erkannt zu werden, kann also lebensgefährlich sein. Wegen der taqīya gibt es auch keine Statistiken über die Anzahl der Yezidi. Schätzun- gen zufolge leben noch etwa l00.000 yezidische Familien. Die Yezidi selbst sprechen – leicht übertreibend – von noch 600.000 Anhängern. Daß kleine Glaubensgemeinschaf- ten wie die Mandäer oder die Alevi sich gerne ein bißchen größer machen, ist bekannt und schließlich auch verständlich. 4 Z.B. Issa, Die ēzidische Religion, Berlin l994, 20 u. 42, wo Azda als »mein Schöpfer« gedeutet wird. Im übrigen findet sich in G. Furlani, Testi religiosi dei Yezidi, Bologna [1930], 109, der Text eines Anfang dieses Jahrhunderts in Eriwan von Scheich Mirān Ismāīl kompilierten »Katechismus«, dessen 2. Artikel »Unser Prophet ist Yazīd« lautet. Diese besondere Gewichtung Yazīds könnte ebenfalls die Namensge- bung bewirkt haben, zumal er auch als Tabu-Name gilt. F. Meier, »Der Name der Yazīdī's«, in: E. Glas- sen; G. Schubert (Hg.), Bausteine II. Ausgewählte Aufsätze zur Islamwissenschaft von Fritz Meier, Istan- bul 1992, 245 ff., führt deren Namen auf Yazīd ibn Mu‘āwiya zurück. 5 Das steht im Gegensatz zu Mashaf-i räš, hs. von M. Bittner, in: Die heiligen Bücher der Jeziden oder Teufelsanbeter, Wien 1913, XXIV (12) (b), 35; »Es ist nicht recht, daß wir das Wort šaitān sagen, weil es der Name unseres Gottes ist« Vermutlich identifizieren die Yezidi den šaitān mit ihrem zwar einst gefal- lenen, aber von Gott wieder in Ehren angenommenen melek tā’ūs, so daß für sie der šaitān eine durch und durch positive Größe ist; da er aber in ihrer islamischen Umwelt durchweg negativ gewertet wird, vermeiden sie möglicherweise diese Ernennung, um Mißverständnisse zu verhindern. ZfR 5 (1997), 5 www.yeziden-colloquium.de Das eigentliche Zentrum der Yezidi mit ihrem bedeutendsten Heiligtum, dem Grabmal des Scheich 'Adi zu Lalisch, liegt im Irak, und zwar im Šaykhān-Bezirk nordnordöstlich von Mosul zwischen dem Tigris und dem Großen Zab. Außer im Irak finden wir sie auch in Syrien in der Nähe von Aleppo. Aus der Ost- und Südost-Türkei sind sie inzwi- schen fast alle vertrieben worden, wie auch die dortigen Christen. In Iran gibt es noch einige Siedlungen vor allem um den Urmia-See. Bereits Ende des l9. Jahrhunderts wa- ren Yezidi in Scharen nach Georgien und nach Armenien geflüchtet. In großen Enkla- ven in den Bergen bei Eriwan haben sie dort – als seit l989 offiziell anerkannte Minder- heit – die vergleichsweise besten Lebensbedingungen gefunden. Das armenische Chris- uploads/Religion/ ursula-spuler-stegemann-der-engel-pfau.pdf
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- Publié le Jui 16, 2021
- Catégorie Religion
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