(WiBiLex) Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet Tiamat Dr. Manuel Cecc

(WiBiLex) Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet Tiamat Dr. Manuel Ceccarelli erstellt: Januar 2016 Permanenter Link zum Artikel: http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/35758/ 1. Bedeutung Das akkadische Wort tiām(a)tu(m) / tâm(a)tu(m) (Sub. f.) bezeichnet: (1) Eine große Wasser!äche, vor allem das Meer (Mittelmeer und Persischer Golf). Darüber hinaus kann es auf Seen (z.B. Urmia-See, Van-See) sowie auf das ‚Marschland‘ bezogen werden (CAD T, 150-158). (2) Das personi8zierte Meer als weibliches mythologisches Wesen. Auch in diesem Fall ist die status rectus-Form Tiām(a)tu(m) / Tâm(a)tu(m) der status absolutus-Form Tiāmat vorzuziehen (Borger 2008, 272f.; Kämmerer / Metzler 2012, 388 Anm. 1). Der Einfachheit halber wird im Folgenden die Form Tiamtu verwendet. 2. Etymologie Akkadisches tiāmtu geht auf die semitische Wurzel THM zurück. Diese lässt sich auch im Eblaitischen (ti-’a3-ma-tum = tihāmatum; Krebernik 1983, 43), Ugaritischen (thm(t)) und Hebräischen (תְּהוֹם təhôm) belegen (Waschke 1995, 564; Del Olmo Lete / San Martín 2003, 864; Tsumura 2005, 42f.). 3. Tiamtu im 3. Jahrtausend v. Chr. In → ‚Ebla‘ (Tell Mardikh, ca. 55km südwestlich von Aleppo; ca. 26. Jh. v. Chr.) ist ti-’a3-ma-tum = /tihāmatum/ eine der Gleichungen für das sumerische AB.A „Wasser (des) Meer(es)“ in den zweisprachigen lexikalischen Listen (Pettinato 1982, 336 VE 1343; 350 EV 016). Da in der Nähe von Ebla die einzige große Wasser!äche das Mittelmeer ist, ist anzunehmen, dass tihāmatum dort zuerst mit dem Mittelmeer assoziiert wurde. In zwei Beschwörungen sind die Formen ti-’a3-ma-du und ti-’a3-ma-tim belegt (Fronzaroli 2003, 99f. zu (2); Krebernik 1984, Tiamat Dr. Manuel Ceccarelli Unité de Langues et Civilisation de la Mésopotamie, Département des Sciences de l'Antiquité, Université de Genève WiBiLex | Tiamat 1 112 Nr. 22 vi 3); dabei ist es jedoch nicht klar, ob das zugrundeliegende Lexem /tihāmatum/ „Meer“ oder /tilḥam(a)tu/ (LḤM) „das Durcheinanderwimmeln / Gewimmel“ ist (Edzard 1984, 24f. zu i 6; Krebernik 1984, 114). Im altakkadischen Eschnunna (Tell Asmar, ca. 38km nordöstlich von Baghdad; 23. Jh. v. Chr.) 8nden wir den ältesten sicheren Beleg für Tiamtu als mythologisiertes Wesen (hier wohl das „Meer“, s. unten zu 5.2.). Der erhaltene Text lautet: „Verwalter Tiamtus, grimmiger Krieger, steh auf! Tišpak, Verwalter Tiamtus, grimmiger Krieger, steh auf! Gott, König [...]“ (Westenholz 1974-1977, 102; andere Übersetzung in Durand 1993, 43 „toi dont la tâche est d’etre la barrière contre le flots de la Mer“, aber vgl. dagegen Lambert 1994, 111-113). Einige akkadische Personennamen können nach Lambert auf die Vorstellung des mythologisierten Meeres hinweisen, z.B. der Frauenname A.AB.BA-bāštī „Tiamtu ist meine Würde (/ mein Schutz[geist])“ (21. Jh.; Lambert 2013, 237). Für das Sumerogramm A.AB.BA könnte jedoch auch eine andere Übersetzung in Frage kommen: Für den sumerischen Ausdruck a.ab.ba, der in mehreren neusumerischen Personennamen vorkommt, wurde von Bauer (2012, 33) die Bedeutung „Großvater“ vorgeschlagen; demnach könnte A.AB.BA-bāštī „der Großvater ist meine Würde (/ mein Schutz[geist])“ bedeuten. 4. Tiamtu im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. 4.1. Tiamtu in Texten aus Mari In einer Inschrift Jaḫdun-Lims (1815-1799 v. Chr.), eines Königs der syrischen Stadt Mari, wird berichtet, wie der König das Mittelmeer (tiāmtu) erreichte und dort dem Meer (ajabba) Opfergaben darbrachte. Das personi8zierte und vergöttlichte Meer wird hier ajabba genannt, das möglicherweise als Eigenname der Meergottheit zu verstehen ist (Tugendhaft 2010, 704f.); diese war in Syrien männlich (vgl. → Jammu; Ayali-Darshan 2010, 23-29). In einem altbabylonischen Brief an Zimri-Lim, König von Mari (1780-1758 v. Chr.), wird ein Orakel des → Wettergottes Addu von Aleppo (→ Adad) wiedergegeben. Dabei wird ein Kampf zwischen dem Wettergott und dem Meer erwähnt: „Ich (sc. Addu) habe dir (sc. Zimri-Lim) die Wa[en gegeben, mit denen ich mich mit Tiamtu / dem Meer geschlagen habe“ (Durand 1993). S. unten zu 5.2. 4.2. Tiamtu im Enuma elisch (Ee) WiBiLex | Tiamat 2 Die babylonische Weltschöpfungserzählung Enuma elisch ist vor allem auf Tontafeln des 7. Jh.s v. Chr. und jüngerer Zeit überliefert. Ältere Texte stammen aus Assur aus dem Ende des 2. Jt.s bzw. aus dem Anfang des 1. Jt.s v. Chr. (Kämmerer / Metzler 2012, 18). T.R. Kämmerer und K.A. Metzler sprechen sich für eine Entstehung des Enuma elisch im Laufe der zweiten Hälfte des 2. Jt.s aus (Kämmerer / Metzler 2012, 19). W.G. Lambert setzt die Komposition des Textes in die Zeit des babylonischen Königs Nebukadnezar I. (1125-1104 v. Chr.; Lambert 2013, 440-444) an. Im Enuma elisch wird Tiamtus Name meistens mit den Zeichen TI.GEME 2 (= ti- amtu) geschrieben. Diese Schreibung geht möglicherweise auf gelehrte Etymologien zurück: 1) GEME2 als Sumerogramm für das akkadische amtu „Magd / Sklavin“ ergibt das Wortspiel Tiāmtu ~ amtu; 2) TI sum. „Pfeil“ = „Tiamtu ist die Magd / Sklavin, die mit einem Pfeil bezwungen wurde“ (Verweis auf Tiamtus Tötung durch Marduks Pfeil im Enuma elisch; Kämmerer / Metzler 2012, 388 Anm. 1). I m Enuma elisch wird Tiamtu verschieden beschrieben: Als weibliche Wassermasse, als tiergestaltiges Ungeheuer und anthropomorph (z.B.: sie ist eine Frau [Ee II 92, 116, 144], rezitiert Beschwörungen [Ee IV 71]; Kämmerer / Metzler 2012, 389; anders Lambert 2013, 459). In Ee I 3-5 mischt Tiamtu ihr Wasser mit jenem des → Apsu, des unterirdischen Grundwassers: 1. „Als oben der Himmel nicht genannt war, 2. unten die Erde mit Namen nicht benannt war, 3. Apsû, der Erste, ihr (d.h. der Götter) Erzeuger, 4. die lebenswirkende Kraft Tiāmtu, die Erzeugerin ihrer Gesamtheit, 5. ihre Wasser zusammen mischten, 6. Weide nicht ineinander gefügt war, mit Rohrdickicht nicht gepolstert war, 7. als (noch) überhaupt keine Götter hervorgebracht waren, 8. keine mit Namen benannt waren, mit Schicksalen bestimmt waren, 9. wurden die Götter in ihrer Mitte geschaffen.“ (nach Kämmerer / Metzler 2012) WiBiLex | Tiamat 3 Dabei wird Tiamtu als Gebärende aller Götter bezeichnet und steht mit ihrem Gatten Apsu am Anbeginn aller sukzessiven Göttergenerationen: Es folgen die Paare Laḫmu – Laḫāmu und Anšar – Kišar. Anšars Erbe ist Anu, der Nudimmud (= Ea) zeugt. Nudimmud und seine Gattin Damkina zeugen dann Marduk. → Marduk besiegt Tiamtu im Kampf (→ Chaos / Chaoskampf). Er fängt sie mit einem Netz und lässt einen Sturm ihren Bauch anschwellen, dann tötet er sie mit einem Pfeil (Ee IV 95-101). Im Verlauf der Erzählung werden folgende Körperteile Tiamtus erwähnt: Beine, Schädel, Adern, Brustkorb, Bauch, Speichel, Augen, Nasenlöcher, Brust, Schwanz und Oberschenkel. Die zugrundeliegende Tiergestalt wurde sowohl als eine Kuh (Landsberger / Kinnier Wilson 1961, 175 ad 47) als auch als eine Ziege (Lambert 2013, 245.459) gedeutet. Als nächsten Schritt erscha[t Marduk die Welt aus Tiamtus Körperteilen (nach Kämmerer / Metzler 2012): Er spaltet Tiamtus Leib wie einen gedörrten Fisch und gestaltet aus dem oberen Teil den Himmel (Ee IV 138 und V 62; vgl. Livingstone 1989, 101 Rs. 2). Er streckt Tiamtus Haut, damit diese das obere Wasser trägt, und postiert Wächter, damit das Wasser nicht herausgeht (Ee IV 139f.; vgl. die Funktion von רָקִיעַ rāqîa‘ „(Himmels)platte“ in Gen 1,6-8; → Welt / Weltbild). Er ö[net Tore in Tiamtus Brustkorbhälften (Ee V 9; vgl. םיִַמָׁש יֵתֽלַ ּד daltê šāmajim „Himmelstore“ in Ps 78,23b; Houtman 1993, 251f.). In Tiamtus Bauch setzt Marduk die Himmelshöhe (Ee V 11). Tiamtus Speichel häuft er zu Wolken (Ee V 47-49). Aus (oder auf) ihrem Schädel häuft er einen Berg (Ee V 53). Er füllt die Wassertiefe mit Wasser (wohl aus Tiamtus Leib; Ee V 54). In Tiamtus Augen ö[net Marduk → Euphrat und → Tigris (Ee V 55; vgl. Livingstone 1989, 101 Rs. 3). Er verschließt ihre Nasenlöcher (Ee V 56). Aus (oder auf) ihrer Brust häuft Marduk die fernen Berge (Ee V 57) und bricht Quellen ein, damit sie Quellwasser tragen (Ee V 58). Tiamtus Schwanz !icht Marduk zu einem Band, das die Kosmosschichten zusammenhält (Ee V 59). Er stellt Tiamtus Oberschenkel als Befestigung des Himmels auf (Ee V 61; vgl. שָׁמַיִם עַמּו ּ דֵי ‘ammûdê šāmajim „Himmelssäule“ in Hi 26,11; Houtman 1993, 238.). S. auch unten zu 5.1. und 5.2. 4.3. Tiamtu in der Erscha[ung der Welt durch Marduk Bei dem Text Erscha[ung der Welt durch Marduk, auch Chaldäische Kosmogonie genannt, handelt es sich um eine sumerisch-akkadische WiBiLex | Tiamat 4 Beschwörung, die im Rahmen der Baurituale für die Renovierung von Tempeln rezitiert wurde (Ambos 2004, 50-51; 200-207; Lambert 2013, 366-375). Der Text ist nur auf Tontafeln aus der Mitte des 1. Jt.s überliefert, er kann aber ältere Vorstellungen enthalten. Es wird beschrieben, wie kein Tempel am Anfang gebaut war, kein Schilfrohr gesprossen war, keine Städte gebaut waren und Apsu noch nicht gemacht war. Damals waren alle Länder nur noch Wasser. Inmitten des Meeres (tâmtu) gab es eine Quelle (īnu), die der Text als „Rinne“ (rāṭu) bezeichnet (Z. 1-11). Damals wurden Babylon (hier auch Eridu genannt; Lambert 2013, 367) und der Tempel Esaĝil gebaut (Z. 12-16). Danach erschuf Marduk die Götter (Z. 15) und bildete ein Floß, auf dem er die Erde häufte (Z. 17- 18). Anschließend erschuf der Gott die Menschheit (Z. 20). Er erschuf die Tiere der Steppe, Tigris und Euphrat (Z. 22-24) und benannte sie mit Namen (Z. 25; vgl. Gen 2,20). Danach erschuf Marduk die Vegetation, weitere Tiere, trockenes Land, Städte und Tempel (Z. 25-41). In diesem Text ist Tiamtu o[ensichtlich nicht etymologisiert und stellt nur das „Meer“ dar. S. unten zu 5.1. 4.4. Tiamtu in der Theogonie von Dunnu uploads/Geographie/ ceccarelli-tiamat-wibilex-pdf.pdf

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