chetypen religiöser Erfahrung gehören – auf Schuld, Verzweiflung, Gericht und G
chetypen religiöser Erfahrung gehören – auf Schuld, Verzweiflung, Gericht und Gerechtigkeit, Hoffnung, Erlösung und Liebe“ (S. 162). Stadt Hildesheim Helge Miethe Büro des Oberbürgermeisters Pressesprecher D-31141 Hildesheim h.miethe@gmx.de Bettina von Jagow / Oliver Jahraus (Hgg.), Kafka-Handbuch. Leben – Werk – Wir- kung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008. 576 S., € 49,95. Manfred Engel / Bernd Auerochs (Hgg.), Kafka-Handbuch. Leben – Werk – Wir- kung. Metzler, Stuttgart – Weimar 2010. 561 S., € 49,95. Marek Nekula / Ingrid Fleischmann / Albrecht Greule (Hgg.), Franz Kafka im sprachnationalen Kontext seiner Zeit. Sprache und nationale Identität in öffentlichen Institutionen der böhmischen Länder. Böhlau, Köln – Weimar – Wien 2007. 266 S., € 32,90. Marie Haller-Nevermann / Dieter Rehwinkel (Hgg.), Franz Kafka. Visionär der Mo- derne. Wallstein, Göttingen 2008. 166 S., € 14,–. Bernd Neumann, Franz Kafka. Gesellschaftskrieger. Eine Biographie. Fink, München 2008. 662 S., € 39,90. Louis Begley, Die ungeheuere Welt, die ich im Kopfe habe. Über Franz Kafka. Aus dem Englischen von Christa Krüger. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008. 355 S., € 19,95. Was erwartet man von einem Handbuch zu einem Schriftsteller? Ein Handbuch entfaltet eine große, das Wissen kanonisierende Wirkung. Benutzt wird es von dem, der „solide und philologisch unmittelbar verwertbare“ („Vorwort“, S. 9) Informationen sucht, zum Beispiel zur Vorbereitung einer germanistischen Prüfung oder einer Deutschstun- de. Daher soll es das Wissen möglichst verlässlich und konzise zusam- menfassen. Es soll über Aspekte des Lebens und des Werks dieses Schriftstellers, seiner Zeit und seiner Wirkung informieren, es soll ei- nen Überblick über wesentliche Fragestellungen, Richtungen, Kon- troversen und neue Perspektiven der Forschung geben, den Stand der Erkenntnisse, Gesichertes, Kontroverses, festhalten und, womöglich, Lücken und offene Fragen der Forschung benennen, weiterführende Interpretationsansätze eröffnen.1 Erfüllt das Handbuch von Jagow 1 Vgl. das z.T. natürlich überholte erste Handbuch zu Kafka: Hartmut Binder (Hg.), Kafka-Handbuch. 2 Bde. Bd. 1: Der Mensch und seine Zeit; Bd. 2: Das Werk und seine Wirkung. Stuttgart 1979. Danach sind drei weitere Handbücher zu Kafka erschienen: Julian Preece (Hg.), The Cambridge Companion to Kafka. Cambridge – New York 2002; Richard T. Gray / Ruth V. Groß / Rolf J. Goebel / Clayton Koelb (Hgg.), A Franz Kafka Encyclopedia. Westport, CT 2005; James Rolleston (Hg.), A Companion to the Works of Franz Kafka. New York 2006 (zuerst 2002). G. Kurz: Studien zu Kafka 349 DOI 10.1515/arbi.2011.087 AUTHOR’S COPY | AUTORENEXEMPLAR AUTHOR’S COPY | AUTORENEXEMPLAR und Jahraus solche Erwartungen? Es erfüllt sie nur zum Teil. An Handbüchern vermisst man natürlich immer etwas. Doch werden hier wesentliche Dimensionen von Kafkas Werk nicht behandelt, begrün- det durch die theoretische Anlage des Handbuchs. Der Stand des Wis- sens wird manchmal gar nicht, oft nicht klar oder nicht differenziert genug präsentiert. Wie der Untertitel verheißt, will das Handbuch, wie für solche Au- torenhandbücher üblich, über „Leben – Werk – Wirkung“ informie- ren. Im „Vorwort“ schreiben die Herausgeber: „Das vorliegende Kaf- ka-Handbuch eröffnet auf der Grundlage der geleisteten und aktuellen Forschung grundlegende Informationen in einem umfassen- den Überblick zu Leben, Werk, Deutung und Wirkung desjenigen Autors, der wie kaum ein anderer im Mittelpunkt interpretatorischer und literaturtheoretischer Anstrengungen steht“(ebd.). Aufgebaut ist es in vier Abschnitte: „Franz Kafka. Der Mensch zwischen Leben und Werk“, „Werküberblick“, „Deutungsperspektiven“ und „Einzelinter- pretationen“. Den Abschluss bilden eine umfangreiche Bibliographie der Forschungsliteratur (S. 553–567) und ein Werk- und Personen- register. Es fällt auf, dass ein Abschnitt zum „Leben“ und zur Wir- kung fehlt. Aspekte der Wirkung werden im Abschnitt „Deutungsper- spektiven“ in Waldemar Fromms Beitrag zur „Kafka-Rezeption“ (S. 250–259) behandelt. Doch enthält dieser Beitrag große Lücken. Die Wirkung in England, in den USA, in Frankreich wird mit nur weni- gen, kargen Sätzen berührt, die Rezeption nach 1945 konzentriert sich auf die Forschungsgeschichte (Beißner, Emrich, Politzer, Sokel). Nichts zum Beispiel über die Prägung und internationale Karriere des Schlagworts ‚kafkaesk‘, nichts über die frühe und hochinteressante Rezeption in Belgien und den Niederlanden, nichts über die politisch folgenreiche Kafka-Konferenz in Liblice 1963, viel zu wenig über die Rezeption Kafkas bei Schriftstellern und Künstlern. So kommt die wohl einzigartige internationale Wirkung Kafkas nicht in den Blick.2 Die Pointe von Beißners Begriff der „Einsinnigkeit“ liegt keineswegs darin, „dass es zwischen dem Autor und der Perspektive der Haupt- figur keine Trennung gibt“ (S. 258). In den vier Abschnitten sollen in einzelnen Kapiteln „die großen und größeren Zusammenhänge des Werks nachgezeichnet und durch- schaubar gemacht werden“ („Vorwort“, S. 9). Viele dieser Kapitel ent- halten wichtige, auch grundlegende Informationen und Analysen. Doch erfüllen nur wenige Kapitel die Anforderungen an einen Hand- buchartikel, die meisten präsentieren nicht einen einigermaßen gesi- cherten, differenzierten Wissensstand, sondern den Forschungsansatz 2 Vgl. dagegen den – schon damals lückenhaften – Überblick über die Rezeptions- geschichte in Binders Handbuch, Bd. 2, S. 583–786. Gerhard Kurz 350 AUTHOR’S COPY | AUTORENEXEMPLAR AUTHOR’S COPY | AUTORENEXEMPLAR des jeweiligen Verfassers. Dies zeigt sich exemplarisch in den Anmer- kungen, die meist nur auf die eigene Forschungsposition bezogene, se- lektive bibliographische Hinweise enthalten. Die Kapitel zu „Kafka als Beamter“ und „Kafka und Krankheit“ (ein merkwürdiger Titel! Auch sonst dieser Titeltyp: „Kafka und Recht/Justiz“, „Kafka und gender“), je- weils von Sander Gilman, enthalten überhaupt keine Anmerkungen, Clayton Koelb verweist zu seinem Artikel über „Kafka als Tagebuchschreiber“ pauschal auf eigene Publikationen. Kein Hinweis hier zum Beispiel auf die grundlegende Untersuchung von Guntermann.3 So gehörte zum Beispiel schon in die Anmerkungen zum Kapitel über „Kafkas Publikationen zu Lebzeiten“ der Hinweis auf die textkritische und kom- mentierte Bibliographie der Veröffentlichungen Kafkas von Ludwig Dietz (1982), nicht erst in die allgemeine Bibliographie. Aus diesen Kapiteln ragen heraus, auch im Sinne der Anforderungen eines Handbuchs, die Kapitel zu „Kafka und seine Geschwister“ (Hans Dieter Zimmermann; stimmt es wirklich, dass Kafka ein „Außenseiter in jeder Hinsicht“ war? [S. 60, Anm. 18]), „Franz Kafka und Max Brod“ (Galili Shahar / Mi- chael Ben-Horin), „Kafka und das Judentum“ (Andreas B. Kilcher), „Kafka und Recht/Justiz“ (Ulf Abraham), „Kafka und die Weltliteratur“ (Monika Schmitz- Emans), „Der Heizer / Der Verschollene“ (Bodo Plachta), „In der Strafkolonie“ (Ale- xander Honold). Informativ auch die Beiträge von Joachim Unseld und Annette Steinich, Els Andringa, Oliver Jahraus („Kafka und der Film“), Bettina von Jagow und Jagow / Jahraus zu den Tier- und Künstlergeschichten sowie Mark H. Gelbers Beitrag zu „Kafka und zionistische Deutungen“. Im ersten Abschnitt „Franz Kafka. Der Mensch zwischen Leben und Werk“ werden die Aspekte „Kafkas Biographie und Biographien Kafkas“ (Christian Klein), „Kafka und sein Vater: Der Brief an den Vater“ (Michael Müller), „Kafka und seine Geschwister“ (Zimmer- mann), „Kafka und die Frauen“ (Vivian Liska), „Kafka als Briefe- schreiber: Briefe an Felice und Briefe an Milena“ (Christian Schärf), „Franz Kafka und Max Brod“ (Shahar / Ben-Horin), „Kafka als Tage- buchschreiber“ (Koelb), „Kafka als Beamter“ (Gilman), „Kafka und Krankheit“ (Gilman) behandelt. Es fehlt ein Kapitel, in dem informa- tiv-zusammenhängend Kafkas Leben in Prag, der Übergang von der k.u.k. Monarchie in die tschechoslowakische Republik, das Leben in Berlin vorgestellt wird, seine Schulzeit, sein Studium, sein Umgang mit Frauen und Freunden, seine Haltung zum Weltkrieg, zum Antise- mitismus etc.4 Die Informationen zum Leben, die gegeben werden, oft nicht auf dem neuesten Stand, muss man sich aus den einzelnen Kapi- teln zusammenlesen. Der Mensch mit dem Kaiservornamen Franz er- hält in diesem Handbuch keine Kontur. Vielleicht glauben die Heraus- geber ja noch an die Mär vom Tod des Autors? Hinter dem Verzicht auf ein solches Kapitel steckt eine methodische Absicht, die mit dem poststrukturalistischen beziehungsweise diskurstheoretischen drive 3 Georg Guntermann, Vom Fremdwerden der Dinge beim Schreiben. Kafkas Tage- bücher als literarische Physiognomie des Autors. Tübingen 1991. 4 Vgl. Anm. 16, 17 und 29. Studien zu Kafka 351 AUTHOR’S COPY | AUTORENEXEMPLAR AUTHOR’S COPY | AUTORENEXEMPLAR der Handbuchanlage zusammenhängt. Der Poststrukturalismus glaubt eigentlich nicht, dass es so etwas wie ein Leben jenseits der Reden und Texte, dass es eine Grenze zwischen Leben und Reden oder Schreiben über das Leben gibt. Bezeichnend die Generalüberschrift des ersten Teils „Der Mensch zwischen Leben und Werk“: Man kommt ins Grü- beln über diese Formulierung. Aber immerhin wird dem Autor so et- was wie ein Leben konzediert. Der erste Beitrag konzentriert sich konsequent auf das „Rauschen des biographischen Diskurses“ (S. 18), arbeitet aber immerhin die Be- deutung der Biographien, besonders der Biographie Peter-André Alts heraus. Man liest später Sätze wie: „Die Grenze zwischen Erlebnis und Darstellung verschwindet, wenn diese Grenze für Kafka über- haupt je bestanden hat. Es ist ihm völlig bewusst, dass er während sei- nes Aufenthaltes in Jungborn in Wirklichkeit in einem Buch lebt“ (S. 106) oder: „Sein Bewusstsein war so vollständig durch Sprache strukturiert, dass er weder die Welt, noch sich selbst anders als in sprachlichen Wendungen erleben konnte“ (S. 107). Die Bedeutung dieses theoretischen Paradigmas für dieses Hand- buch zeigt sich auch im Abschnitt zu den „Deutungsperspektiven“ und in der völlig unkritischen Aufnahme der Ansätze von Derrida und Deleuze / Guattari. Besonders die Aufnahme von Deleuze / Gu- attaris Kafka-Essay,5 ein Essay voller Klischees und unhaltbarer Aus- sagen, zu schweigen von der frivolen psychopolitischen Theorie, hat mich erstaunt.6 Abwägend und nüchtern dagegen die Behandlung des Themas der „kleinen Literaturen“ in Zimmermanns Beitrag über „Kafkas Prag und die Kleinen Literaturen“ (S. 174ff.; vgl. auch S. 186, dagegen uploads/Geographie/ kurz-kafka-rezension.pdf
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- Publié le Mar 28, 2021
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