184 IŠ UŽSIENIO TYRINĖJIMŲ ISSN 1392–2831 Tautosakos darbai XXXVIII 2009 DAS MÄ

184 IŠ UŽSIENIO TYRINĖJIMŲ ISSN 1392–2831 Tautosakos darbai XXXVIII 2009 DAS MÄRCHEN IN UNGARN Ende des 19.–Anfang des 21. Jhs. VILMOS VOIGT Loránd-Eötvös-Universität (Budapest) Die philologische Schule wurde in Ungarn von dem hervorragenden Komparati- visten Lajos Katona entwickelt. Schon seine Grazer (für Hugo Schuchardt geschrie- bene) Universitätsdissertation (Über magyarische Folklore, zur vergleichenden Li- teraturgeschichte 1887) setzt sein Programm eindeutig voraus. Als Mitbegründer der Zeitschrift Ethnologische Mitteilungen aus Ungarn stand er in Korrespondenz u.a. mit Paul Sébillot, Giuseppe Pitrè, Reinhold Köhler, Friedrich S. Krauss, Kaarle Krohn usw2. Sein kleines Buch A népmesékről (‘Über die Volksmärchen’ 1897) war für das allgemeine Publikum bestimmt. Von 1901 an sammelte er die ungarischen Varianten für seinen vergleichenden Märchentypenkatalog (er konnte aber nur 19 Typen skizzieren)3. Als Vertreter der Folklore Fellows in Ungarn hat er von Antti Aarnes Typenkatalog sehr früh in Kenntnis genommen, er gab die Aufgabe des Einreihens der ungarischen Varianten seinem Schüler János Berze Nagy. Katona war ein ausgezeichneter Fachmann der mittelalterlichen Literatur, Legenden und Exempel, Petrarca und Shakespeare-Stoffe und hat über solche Themen auch viele Abhandlungen oder Texteditionen (in ungarischer Sprache) publiziert. Um die Jahrhundertwende hat Elisabeth Sklarek (sie hiess später Róna-Sklarek) mit Hilfe von Johannes Bolte und Adolf Schullerus eine neue, zweibändige deutsch- sprachige Übersetzung ungarischer Volksmärchen vollgebracht5. Der Germanist  Kurzgefasste Version eines umfangreicheren Überblicks. 2 Eine neue Kurzmonographie: Reisinger, J.: Katona Lajos (L. Katona) 1862–1910. Vác, 2000. 3 Katona, L.: Magyar népmese-typusok (Ungarische Volksmärchentypen), in: Katona, L.: Irodalmi tanulmányai (Studien zur Literatur). Bd. I. Budapest, 1912, 216–295, 404.  Siehe z.B. Katona, L.: Temesvári Pelbárt példái (Die Exempel von P. Temesvári). Budapest, 1902. 5 Sklarek, E.: Ungarische Volksmärchen. Mit einer Einleitung von A. Schullerus. Leipzig, 1901; Róna-Sklarek, E.: Ungarische Volksmärchen. Ausgewählt und übersetzt. Neue Folge. Leipzig, 1909. (Siehe auch: Sklarek, E.: Ungarische Volksmärchen. In: ZfVk 13 (1903) 70–75; Róna-Sklarek, E.: Unga- rische Volksmärchen. ZfVk 17 (1907) 109–112; 19 (1909) 92–95; Róna-Sklarek, E.: Einige Grimmsche Märchen im ungarischen Volksmunde. In: Gragger, R. (hrsg.): Philologiai dolgozatok a magyar–német érintkezésekről (Philologische Beiträge über die ungarisch-deutschen Beziehungen). Budapest, 1912. 366–378 und auch als Sonderabdruck.) 185 Robert Gragger (auch in deutscher Sprache) schrieb von historischen Quellen der ungarischen Überlieferung. Gyula Sebestyén und Sándor Solymossy waren tüchtige Philologen (aber oft mit zuviel Phantasie). Solymossy hat in vielen Studien die „ur-ungarische“ Elemen- te charakterisiert. Er war der Meinung, dass er der erste sei, der die Kartographie für Darstellung der Märchenwanderungen in einer monographischen Abhandlung (von AaTh/ATU 780) angewandt hat. Er stand im guten Kontakt mit dem Märchen- sammler und -Forscher, Janos Berze Nagy, und sein Schüler war Gyula Ortutay. Aber Solymossy (in seiner Jugend progressiv, nach dem I. Weltkrieg einfach Erz- konservativ), war eifersüchtig und unfreundlich gegen Vertreter neuer Methoden. Diese Epoche bedeutete auch in der ungarischen Finnougristik, Turkologie, Ori- entalistik usw. ein goldenes Zeitalter. (Siehe davon eingehend Punkt „Die verglei- chende Märchenforschung“.) Viele ungarische Philologen (z.B. Jenő Binder, Theofil Bognár, Oszkár Elek, József Ernyey, Rezső Gálos, Gusztáv Heinrich, Béla Lázár, Ágoston Pável, Rezső Szegedy usw.) haben auch tüchtige Märchenstudien durchge- führt – die aber im Ausland unbekannt geblieben sind.) Seit dieser Zeit – bis heute – nehmen die ungarischen Märchenforscher regel- mässig an den internationalen Unternehmen (wie z.B. FFC, BP, HDM, später an der Tätigkeit der ISFNR, EM usw.) teil10. In vielen Handbüchern sind einige Ergebnisse der philologisch-vergleichenden Märchenforschung dargestellt. Ein kleines Buch des Indogermanisten Soma Braun (1890—1944) A népmese (‘Das Volksmärchen’ 1923) ist eine schöne Zusammenfas- sung. (Der Verfasser beschäftigte sich auch mit Apuleius.) Die Zusammenfassung in dem vierbändigen Handbuch der ungarischen Volks- kunde wurde in diesem Sinne von Berze Nagy geschrieben11. Die für die Schulen bestimmten Publikationen konzentrierten sich auf der Lehrhaftigkeit der Texte12.  Gragger, R.: Altungarische Erzählungen. Ausgewählt und übersetzt. Berlin – Leipzig, 1927.  Siehe, zusammenfassend: Voigt, V.: Sebestyén Gyula folklórszöveg–elemzései (Die Analyse der Folklore-Texte von Gy. Sebestyén). In: Ethnographia 115 (2004) 143–161.  Siehe, zusammenfassend Solymossy, S.: Verwandtschaft des ungarischen Volksmärchens mit dem orientalischen. In: Ungarische Jahrbücher 3 (1923) 115–134.  Solymossy, S.: Mese a jávorfáról (Das Märchen vom singenden Knochen). In: Ethnographia 31 (1920) 1–25. usw. 10 Siehe z.B. die folgenden Publikationen: Tagung der Sagenkommission der International Society for Folk-Narrative Research in Budapest, 14–16. Oktober 1963, Ortutay, Gy. (hrsg.) In: Acta Ethnograhica Academiae Scientiarum Hungaricae 13 (1964) 1–131; Voigt, V. (hrsg.) Tagung der Theorie-Kommission der ISFNR, 28–31. März 1979: Artes Populares /Budapest/ 4-5 (1979); Voigt, V. (hrsg.): Volkserzählung und kulturelle Identität. 9. Kongress der Internationalen Gesellschaft für Volkserzählungsforschung, Bu- dapest, 10–17. 06. 1989. Volumes I–II. In. Artes Populares /Budapest/ 16–17 (1995). 11 Berze Nagy, J.: A mese (Das Märchen). In: A Magyarság Néprajza (Ungarische Volkskunde). Bd. 3. Budapest, 1935. 256–326. Auch in den späteren Nachdrucken dieses Kapitel wurde nicht ergänzt. Sein Märchenkatalog: Magyar népmesetípusok (Ungarische Volksmärchentypen). Bd. I–II. Pécs, 1957, /mit ausführlicher deutscher (usw.) Zusammenfassung/ enthält nur die publizierten Märchen bis um 1930. 12 Siehe z.B. Koltai, V.: Az oktató mese és szemelvények magyar meseírókból (Die Fabel und eine Auslese aus den Werken der ungarischen Märchenschriftsteller). Budapest, 1901. 186 Neue Methoden und... Aufgaben in dem 20. Jahrhundert sind sehr vielseitig in Ungarn. Obwohl weder eine ausgeprägte anthropologische, noch eine soziolo­ gische Märchendeutung kam vor, beide neuen Forschungsmöglichkeiten waren doch bekannt. Die freudianische Psychoanalyse wurde durch Géza Róheim in die Märchenfor- schung eingeführt (ab 1916). (Róheim hat sowie die anthropologische Theorie als auch die Kataloge kennengelernt, und bis zu seinem Lebensende hat er europäische, australische usw. Erzählungen freudianischerweise interpretiert. In Ungarn hat er aber nicht viele Nachfolger gehabt. Die ungarischen Schüler der Individualpsycho- logie von Alfred Adler arbeiteten für die „neue“ Schule, und haben das Märchen als Erziehungsmittel verwendet13. Im Carl Gustav Jungs Kreise finden wir auch ungari- sche Forscher (wie z.B. Jolande Jacobi). Der Begründer der Ethnopsychiatrie, Geor- ges Devereux ist auch in damaligem Ungarn geboren, aber hat seine Traum- und Erzählanalyse in Amerika und Paris entwickelt. Ein Erneuerer der Altertumswissenschaft, Károly Kerényi lebte bis zum II. Welt- krieg in Ungarn, und hat enge Kontakte mit Folkloristen (wie z.B. János Honti, Tekla Dömötör usw. gehalten.) János (Hans) Honti hat schon als Maturant den ersten vollständigen ungari- schen Märchenkatalog14 publiziert. Er hat heftig gegen die „urungarische“ Rich- tung polemisiert und plädierte für eine mehr „sinnliche“ Forschung, was nicht weit von einer Geistesgeschichte steht. Er beschäftigte sich zunächst mit morpho- logischen Fragen der Märchengattungen und theoretischen Problemen der Münd- lichkeit und der Volksüberlieferung. Er war ein guter Freund und scharfsinniger Kritiker der Ansichten von Gy. Ortutay. Seine Ideen tauchen bis heute in vielen Hinweisen auf15. Im 20. Jh. der erfolgreichste Folklorist in Ungarn war zweifelsohne Gy. Ortutay. Obwohl er die philologische Methode nie verleugnet hat, hat er keine Neigung für die „finnische Schule“. Dagegen hat eine lebensnähe Methode entwickelt (zuerst 1935), wo im Mittelpunkt der Märchenerzähler und seine Lebensgeschichte stand16. Er hat in dem ersten Band der von ihm leiteten Buchserie „Neue Sammlung der un- garischen Volksdichtung“ das vollständige Repertoire eines hervorragenden Mär- chenerzaehlers, Mihály Fedics publiziert (1940), und damit eine bis heute wirkende Richtung (mit ungefähr 40 Bände ungarischer Märchensammlungen) gezeugt. Sei- ne erste Schüler waren Linda Dégh, Ágnes Kovács, László Péter, Imre Katona, spä- ter Sándor Erdész, Ilona Dobos, Ákos Dömötör, Ilona Nagy, Ildikó Kríza, Vilmos Voigt usw. Von den 40-er Jahren hat er alle führenden akademischen Funktionen 13 Nógrády, L.: A mese (Das Märchen). Bd. I. A gyermekmese (Das Kindermärchen). Budapest, 1917. 14 Honti, H.: Verzeichnis der publizierten ungarischen Volksmärchen. Helsinki, 1928. (FFC 81.) 15 Siehe die sehr persönliche Kurzmonographie von T. Dömötör: János Honti. Leben und Werk. Helsinki, 1978. (FFC 221) 16 Seine ersten Märchenstudien sind nur teilweise in den Weltsprachen publiziert. Siehe: Ortutay, Gy.: Hungarian Folklore. Essays. Budapest, 1972. besonders: 205–322. 187 gehabt, war Mitglied in der Fabula-Redaktion, der ISFNR, war Mitherausgeber der Volksmärchen, eine internationale Reihe usw. Er hat die Arbeit des neuen unga- rischen Volksmärchenkatalogs (MNK) bestimmt. In seinen ungarischen (deutschen und englischen) Märchenanthologien hat er ein Gesamtbild des ungarischen Mär- chens mit Einfühlung gegeben17. Die Musterschülerin von Gy. Ortutay, L. Dégh führte diese Erzähleranalyse wei- ter. Ihre Dissertation über „Erzählgemeinschaft“ (ungarische Version 1955, deut- sche 1962, erste amerikanische 1969, erneute zweite amerikanische 1989) wurde ein Kultbuch der modernen Märchenforschung. Obwohl sie seit 1964 in Bloomington (USA) lebt, blieb sie bis heute eine typisch europäische Forscherin. Sie hat auch theoretisch wichtige Probleme erörtert (Biologie des Erzählguts, Conduit-Theorie). In ihren letzteren Büchern charakterisierte sie die „Budapester Schule“, und hat vie- les über Glauben, Sagen und Märchen erklärt18. Sie hat (nach Richard Dorsons Stil) vorliebe für „moderne“, oft bizarre Erscheinungen (z.B. Halloween-Lore) auch. T. Dömötör war mehr eine Spezialistin des Theaters, später der Sagen und Glau- ben19, und hat die Arbeiten des ungarischen Sagentypenkatalogs in einer Zeit ge- leitet20. Á. Kovács war ein ausgezeichneterin Feldforscherin. Sie schrieb verschiedene Übersichte über das ungarische Märchen21, und war als Leiterin des vollständig geplanten ungarischen Märchentypenkatalogs (MNK) tätig. Leider konnte sie die Aufgabe nicht erfüllen, und die letzten Gattungs-Lieferungen wurden von Katalin Benedek betreut22. Wie es aus dem obenerwähnten klar ist: man findet keine wichtige Trennung zwischen Vorkriegszeit und Nachkriegszeit (nach dem II. Weltkrieg) in der ungari- schen Märchenforschung. (Auch die ausländischen Schirmherren der ungarischen Märchenforschung (Archer Taylor, Stith uploads/Geographie/ das-maerchen-in-ungarn 1 .pdf

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