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NERVAL, GÉRARD DE, eigentlich Gérard LabrunieVerlag Traugott Bautzwww.bautz.de/bbkl Zur Hauptseite Bestellmöglichkeiten Abkürzungsverzeichnis Bibliographische Angaben für das Zitieren Suche in den Texten des BBKL Infobriefe des aktuellen Jahres NEU: Unser E-News Service Wir informieren Sie vierzehntägig über Neuigkeiten und Änderungen per E-Mail. Helfen Sie uns, das BBKL aktuell zu halten! Band XIX (2001)Spalten 996-1016 Gisela Riesenberger NERVAL, GÉRARD DE, eigentlich Gérard Labrunie, * 22.5. 1808 Paris, 26.1. 1855 Paris. - Am 2. Juli 1807 heiratete der Arzt Étienne Labrunie "aus dem Süden" (Agen, Dep. Lot-et-Garonne) in Paris Marie-Antoinette Marguerite Laurent, eine "Frau aus dem Norden", deren Familie mütterlicherseits in Mortefontaine lebte (Dep. Oise, zwischen Ermenonville und Senlis gelegen), und am 22. Mai 1808 wurde Gérard Labrunie geboren. Im Juni wurde Étienne Labrunie zunächst zum Assistenzarzt, Ende des Jahres dann zum ordentlichen Militärarzt im Dienst der späteren Großen Armee ernannt; er diente in Deutschland und in Österreich. Da seine Ehefrau ihn begleiten wollte, kam Gérard zu einer Amme nach Loisy, einem Weiler bei Mortefontaine - in den 30er Jahren nahm N. das für ihn mehrfach bedeutungsvolle Pseudonym de Nerval an nach dem "clos de Nerval" (bei Loisy), einem archäologisch interessanten Grundbesitz, an dem er nach dem Tod seines Großvaters Miterbe war (vgl. die fiktive Genealogie N.s von 1841). Ende 1810 starb N.s Mutter mit 25 Jahren an einer Virusgrippe; sie wurde in Glogau beerdigt. Gérard wuchs nun bei seinem Großonkel Antoine Boucher, dem Bruder seiner Großmutter, in Mortefontaine auf - um den Erlebnissen und Eindrücken seiner Kindheit nachzuspüren, kehrte er, vor allem ab 1846, immer wieder in die liebliche Landschaft des Valois zurück mit seinen tiefen Wäldern und romantischen Schlössern, wo, wie in Ermenonville, der Tempel der Philosophie an Rousseau erinnerte oder wo, wie im Schloß von Mortefontaine, die schöne Gemahlin von Joseph Bonaparte, König von Spanien, weilte (vgl. "El Desdichado") und wohl auch die Baronin Feuchères, Geliebte des prince de Condé (vgl. "Sylvie"). Bei seinem Großonkel Antoine lernte er vielleicht schon die "Memorabilia" von Emanuel Swedenborg (1688-1772) kennen und begegnete dem Satz: "Gott ist das Licht." (vgl. "Les Illuminés") Als Étienne Labrunie nach dem Rußlandfeldzug 1814 heimkehrte, war Gérard ihm entfremdet. Bald nahm der Vater ihn nach Paris mit und erzog seinen Sohn, der nur zwischen alten Leuten und jungen Mädchen wie Sylvie aufgewachsen war, mit geradezu militärischer Strenge. Bis 1834 wohnten die beiden zusammen in der rue Saint-Martin, wo Dr. Labrunie seine Arztpraxis hatte. Von Oktober 1822 bis Sommer 1825 besuchte N. das collège royal Charlemagne; dort lernte der wegen seiner "Élégies nationales" (1818) schon bekannte "Napoleonide" den jüngeren, extrovertierten Théophile Gautier kennen, der sein ausgleichender Mitarbeiter und Vertrauter wurde und der ihm jederzeit eine Bleibe gewähren sollte. N. brach am 1. April 1826 die Oberstufe ab; das Abitur holte er erst im August 1829 nach. Auf Wunsch seines Vaters schrieb er sich widerwillig in der École de Médecine ein, führte das Studium aber nicht zu Ende. Er interessierte sich für die antike Klassik, für Altfranzösisch, für die mittelalterliche Literatur und die alten Balladen, für Dante, für Rabelais ebenso wie für Ronsard, für die französischen Klassiker, v. a. Diderot, für Rousseau, Senancour und Balzac. Er häufte ein eigenartig buntgemischtes Wissen an in Kunst und Naturwissenschaften, in der Philosophie vor allem des Neuplatonismus und in der Religionsgeschichte. Besonders interessierten ihn die okkulten und esoterischen Schriften aus Antike und Neuzeit, aus Orient und Okzident, so die der Illuminaten des 18. Jahrhunderts wie Jacques Cazotte und Restif de La Bretonne. Hinzu kam sein Interesse an Fremdsprachen, vor allem an der deutschen Sprache, die ihm wohl sein Vater nahegebracht hatte und durch die er sich mit seiner Mutter verbunden fühlte, die er "nie kennengelernt" hat. Seine Deutschkenntnisse waren nicht sonderlich umfassend, doch intuitiv traf er in seinen Übersetzungen den dichterischen Ton. - Nachdem 1826 der satirische Einakter "L'Académie, ou les Membres introuvables" erschienen war, begann N. Ende 1826 mit der Übersetzung von Goethes "Faust I" (1827/1828, 21835); obwohl F. A. Stapfer und der conte de Saint-Aulaire beide im Jahre 1823 Goethes Drama übersetzt hatten, galt er lange Zeit als der eigentliche Faust-Übersetzer. Goethe lobte in seinem Gespräch mit Eckermann am 3. Januar 1830 die Übersetzung, "obgleich größtenteils in Prosa", als "frisch, neu und geistreich." - erst 1850 erhielt N. von dieser positiven Kritik Kenntnis. 1828 vertonte Hector Berlioz einige Szenen der Übersetzung in "Huit scènes de Faust" und verwandte einige Verspartien in "La Damnation de Faust" (1846). Weiter übersetzte N. die Ballade "Lenore" von Bürger und stellte in den "Poésies allemandes" (1830) Gedichte von Klopstock, Goethe und Schiller in Prosafassung vor. Seine Anthologie französischer Dichtung von Ronsard bis Desportes und M. Régnier (1830) half mit, die Pléiade zu erschließen. Zwischen 1832 und 1835 verfaßte er die "Odelettes" im Stil Ronsards, und nach der Lektüre von "Hoffmanns Erzählungen" schrieb er 1832 das halb phantastische, halb humoristische Märchen "La Main de gloire" ("Contes et Facéties", 1852: "La Main enchantée"). 1828 wurde N. dem Meister der neuen romantischen Schule Victor Hugo vorgestellt - im Zusammenhang mit seinem Interesse an Hugos phantastischem Roman "Han d'Islande" (1823), aus dem er ein Melodrama machte, das als einziges von 10 Theaterstücken seiner Jugendzeit (1826 bis 1835) vollständig überliefert ist. Er war am 21. Februar 1830 beteiligt an der "Bataille d'Hernani", dem Theaterskandal gegen die "Perücken" und die "Philister", d. h. gegen die literarische Klassik, die die Gruppe "Jeune-France", eine Parallelbewegung zum "Jungen Deutschland", bei der Premiere des Dramas "Hernani, ou l'Honneur castillan" von Victor Hugo im Théâtre-Français auslöste. Er war auch mit der Gruppe der jungen politisch aktiven Künstler und Literaten, den "Bousingot[h]s" (auch: "Bouzingos") verbunden, einer Gruppe liberaler und antiklerikaler junger Künstler und Literaten. - In seiner Theaterbegeisterung war N. von der gleichaltrigen Sängerin und Schauspielerin der leichten Muse Jenny Colon fasziniert, die 1838 dann den Flötisten Leplus heiratete - sie scheint ihn an die blonde, geheimnisvolle Delphine/Adrienne aus seiner Jugendzeit erinnert zu haben (s. "Angélique", "Les Faux Saulniers", "Sylvie"). Die Liebesbriefe, die man lange Zeit als "Lettres à Jenny Colon" bezeichnet hat, tragen zwar wie viele seiner Dichtungen autobiographische Züge, sind aber bis auf den 5. Brief, der wohl tatsächlich an die reale Jenny gerichtet war, im Grunde Bausteine eines fiktionalen Briefromans, der seine endgültige Form nicht gefunden hat. (vgl. "Un roman à faire", 1842; "[Lettres d'amour]", Pléiade I, 1989). Die für seine Zeitgenossen Legende gewordene Liebe zu Jenny Colon hat N., verstärkt nach deren Tod Mitte 1842, stilisiert, so daß sie als Mythos in seine Dichtung einging. Und zwar überhöhte er sein Idol zu >Aurélie< ("Sylvie"), später dann >Aurélia< ("Aurélia"). Zudem diente ihm die Gestalt der Schauspielerin aus Gründen der diskreten Verschleierung (vgl. etwa Dantes "Vita Nova") als "Schirm" bzw. "Maske" für eine andere Geliebte. - Nach einer Erbschaft von fast 30.000 Francs vom Großvater Pierre-Charles Laurent, der Anfang 1834 gestorben war, reiste N. im September 1834 nach Südfrankreich, Rom und Neapel, wo er ein nächtliches Erlebnis mit einer Aurélia/Jenny ähnelnden Passantin hatte, durch das er seine reine Liebe zu seinem Idol betrogen glaubte - ob nun wirkliches Erlebnis oder "Überfließen des Traumes in das wirkliche Leben", denn "der Traum ist ein anderes Leben": zeitlebens sollte ihn ein Schuldkomplex gegenüber seiner Geliebten verfolgen. Wieder in Paris, bezog er mit Camille Rogier und Arsène Houssaye eine Wohnung im alten Doyenné zwischen Louvre und place du Carrousel, bald für zwei Jahre Treffpunkt der literarischen Boheme. Man veranstaltete Theaterabende, Soupers, Bälle und Kostümfeste. (s. "La Bohème galante", 1852; "Petits Châteaux de Bohème", 1853) Mit Gautier, Rougier, Houssaye, Alphonse Karr u. a. gründete er im Frühjahr 1835 die anspruchsvolle Theaterzeitschrift "Le Monde dramatique", ein ruinöses Unterfangen, nicht zuletzt um Jenny Colon in ihrer Karriere zu fördern; den restlichen Teil seines Erbes verlor er durch die mißlungene Gründung von "Le Caroussel, journal de la Cour". Schon 1836 mußte N., völlig verschuldet, die "Monde dramatique" aufgeben; um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wurde er Journalist, v. a. Theaterkritiker, etwa bei Figaro, La Charte de 1830, Le Messager, bei La Presse und bei L'Artiste; er veröffentlichte eigene literarische Beiträge wie Reiseberichte und Teile seiner später in Buchform erschienenen Werke in der Revue des Deux Mondes, in La Silhouette, La Sylphide, Le Temps, L'Artiste - Revue de Paris und in Le National. Seine Beiträge zeichneten sich durch ein hohes kulturelles und kulturgeschichtliches Niveau aus. Nachdem er im Sommer 1836 mit Gautier eine Reise nach Belgien, vielleicht auch bis London unternommen hatte, besuchte er zum erstenmal Deutschland. Reisen war für ihn nicht nur Material- und Motivsuche für Zeitungsartikel, er schätzte es als schöpferisches Prinzip und als Möglichkeit der Persönlichkeitsentwicklung. Mit Alexandre Dumas zusammen, den er in Frankfurt a. M. traf, fuhr er nach Mannheim und Heidelberg, und sie beschäftigten sich mit Kotzebue und den Burschenschaften. Aus dieser Reise ging das Drama "Léo Burckart" hervor, das am 16. April 1839 ohne großen Erfolg aufgeführt wurde, nachdem auch "L'Alchimiste" (Uraufführung 10.4. 1839) nur mäßigen Erfolg gehabt hatte; wie diese beiden Dramen war das Textbuch zur komischen Oper "Piquillo" (Uraufführung 31.10. 1837; Musik von Hippolyte Monpou, 1804-1841) eine Gemeinschaftsarbeit mit Dumas. Im Herbst 1839 betraute ihn das Innenministerium mit einer literarischen Mission nach Wien. Dort freundete er sich mit Franz uploads/Litterature/ nerval-gerard-de-eigentlich-gerard-labrunie.pdf

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