Vorwort Die Schimpfwortkunde oder Malediktologie bezeichnet Schimpfwörter überw
Vorwort Die Schimpfwortkunde oder Malediktologie bezeichnet Schimpfwörter überwiegend als Affektausbrüche in sprachlicher Form; je vulgärer bzw. je elaborierter sie sind, desto mehr sagen sie über den Schimpfenden, insbesondere seine Selbstdisziplin und seine sprachliche Kompetenz aus. Je geringer seine Disziplin, desto mehr werden die benutzten Schimpfwörter den Beschimpften verletzen, beleidigen oder provozieren. Allerdings kann der Schimpfende nicht immer mit der von ihm gewünschten Reaktion rechnen, weil er selbst in der ›Schimpfsituation‹ affektgeleitet ist und weil die Reaktion des Beschimpften hinsichtlich dessen Disziplin und kommunikativen Verhaltens anders als erwartet ausfallen kann. Daher ist (malediktologisch gesehen) des Öfteren eine weniger affektiv motivierte und geäußerte Beschimpfung vorzuziehen, die zudem eine Art ›intellektuelle Belohnung‹ für geleistete Disziplinierungsarbeit darstellt. In dieser fast lustvoll ausgearbeiteten Beschimpfung geht es um elaborierte Formulierungen mit feiner Rhetorik und ungewöhnlicher Metaphorik; Eleganz, Spott und Ironie (also Distanziertheit) sind an die Stelle von Obszönität und Derbheit des Ausdrucks getreten: ›Medizyniker‹, aber auch ›Dumpfbacke‹ sind Beispiele, deren Ironie sich nicht jedem erschließt. Schimpfwörter sind so alt wie Sprache selbst. Geht man von der Annahme aus, dass Sprache sich aus lebensnotwendiger Zusammenarbeit der Urmenschen, ob man nun bei Lucy oder dem Neandertaler ansetzt, und der kollektiven Abstimmung darüber, sei es Jagd, Ernte oder Verteidigung, entstanden ist, so kann man gleichermaßen annehmen, dass diese frühen Kommunikationssysteme auch Worte für ›Blödmann‹, ›Lahmarsch‹ oder ›Fettsack‹ hatten – der Drang zu Beleidigung, Machtgebaren und Erniedrigung ist mit Sicherheit eine anthropologische Konstante, Darwin avant la lettre sozusagen. Durch die Ausprägung unterschiedlicher Gesellschaftsformen mit den diese jeweils beschreibenden Sprachsystemen haben sich dann auch die entsprechenden Register von Schimpfwörtern herausgebildet. Wichtige Bereiche sind mit Sicherheit Religion, Herrschafts- und Machtstrukturen, Kompetenzen und Fähigkeiten, Aussehen und – last but not least – Sexualität, die in den diversen Kulturen unterschiedlich bewertet und verwendet werden. Interessant ist die Tatsache, dass wir auch Gegenstände beschimpfen, was zwar juristisch gesehen eine sichere, weil folgenlose Art der Beschimpfung ist, die dafür aber – aus zeitlicher Distanz betrachtet – voll auf den Schimpfaktanten zurückschlägt – nicht der krumme Nagel ist bescheuert, sondern derjenige, der versucht, ihn trotzdem einzuschlagen; nicht die legendäre rutschige Bananenschale ist ein Scheißteil (ist sie zwar auch), sondern der Abfallverursacher sowie der nicht rutschfeste Fußgänger sind Deppen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Nicht aufgelöste Affekte durch Ärger, Versagen, Pannen summieren sich leicht zu Affektstaus oder Frustrationen, deren latente Gewalttätigkeit gewaltfrei abzureagieren Bürgerpflicht ist – denn das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Aggressionen sind daher zu kompensieren durch (kulturell) gleichwertige Handlungen (wie Holz hacken, Auto zertrümmern, Fußball spielen) oder zu sublimieren durch (kulturell) höherwertige Handlungen wie kopfrechnen, Gedichte schreiben, singen – so weit das freudsche Modell. Vergessen wurde dabei allerdings das Schimpfen als wesentliches ›Abführmittel‹ bzw. omnipräsente Sublimierungstechnik. Schimpfwörter können also als notwendige Psychohygiene gelten, onto- wie phylogenetisch. Außerdem sind Schimpfwörter notwendig, weil sie gesellschaftliche Tabuisierungen (Religion, Sexualität, Krankheit, Tod) ansprechen und somit eine heuchlerische gesellschaftliche Selbstbeschreibung unterlaufen. Sie markieren Grenzen eines vermeintlichen Anstands und kritisieren Selbstgefälligkeit und falsche, weil oberflächliche und hohle Etikette. Grobheit, Vulgarität und Obszönität sind lebensweltliche Bastionen gegen verwaltungskonforme und politisch korrekte Sprachfluten. Und die sich permanent verändernden Bewertungen sind untrügliche Zeichen für die moralischen oder sonstigen Lockerungen in thematischen Bereichen wie Religion oder Sexualität – man denke an die Enttabuisierung von ehemals schimpfrelevanten Begriffen wie ›schwul‹ oder ›geil‹. Ein gelegentlicher Blick in Etymologie und Bedeutungsgeschichte der hier versammelten Schimpfwörter zeigt ihre Aufgabe deutlich. Zu diesem Blick wie auch anderen Perspektiven soll das Folgende anleiten. abgebrochener Gartenzwerg Ohne seine (abgebrochene) Zipfelmütze kann der tönerne Vorgartenfreund nur für eines stehen – den Verlust einer ohnehin schon gnomischen Identität; seine reduzierte Größe (unversehrt 69 cm) lässt das verbliebene kümmerliche Schimpfpotential ins Leere laufen – ob Zwerg, Gnom oder Winzling, seine Bedeutung ist algorithmisch nicht zu erfassen. Daher sagen Zwergenkundler (Nanologen) seit Langem die Ausbreitung des deutschen Schrumpfidentitätssyndroms (DSIS) voraus – und haben wir es nicht geahnt: Gartenzwerge überall – Loddar, Boritz, Bohle, DSDS, Topfmodel usw. akademischer Dünnschiss In den 80er- und 90er-Jahren gab es in unserer Republik eine Epidemie an den Universitäten, die in dem Motto der amerikanischen Akademia ›publish or perish‹ (veröffentliche oder geh unter) ihr Vorbild hatte. Wissensstoff wurde aufgenommen, kurz zerkaut, somit schlecht verdaut und diarrhöisch ›entäußert‹ (frei nach G. W. F. Hegel). Das machte Eindruck und hatte in der Regel den gewünschten Effekt – die Alma Mater tilgte rituell die hässlichen Spuren der Entstehung und nahm den noch geschwächten Homo academicus in die Familie auf. – Aber dann kam die Rache der Talarträger: die Plagiatsplage … alter/dummer Esel Eine gute Anwort auf diese Invektive wäre – ›Das alter/dummer nimmst du zurück!‹ Der Esel ist nämlich ein sehr kluges Tier, dessen störrisches Verhalten mitnichten auf Dummheit beruht – hier liegt die Dummheit eher beim Betrachter bzw. Eselstreiber. Schon das mythische Wissen huldigte dem Esel mehr als dem Pferd – man denke an die Flucht der heiligen Familie, den Einzug Jesu nach Jerusalem, die Bremer Stadtmusikanten usw.; mein Tipp für ein wirklich dummes Tier? Das Huhn. Angrennta Ein Beispiel für eine ›einseitige‹ Beschimpfung; in den meisten Fällen wird die Beleidigung nicht verstanden (dekodiert) werden, weil die Sprache (der Kode: österreichisch) unbekannt ist. Ein ›gegen etwas Gerannter‹ (mit dem Kopf) ist ein Bekloppter, jemand mit einem Sprung in der Schüssel. Armleuchter, Armloch Wie das Armloch (in der Weste) ist auch der Armleuchter (in der Kirche) zutiefst unschuldig am ähnlichen Lautbild mit dem ›Arschloch‹ (s. u.); der Schüchterne oder Vorsichtige wird jene aber diesem unmissverständlichen und daher justiziablen, gleichwohl populärsten personenbezogenen Schimpfwort vorziehen. Arsch Ein gutes deutsches Wort, etymologisch betrachtet mit idg. (*orso) bzw. westgerman. (ars) Wurzel; M. Luther (›aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz‹) und Herr von Goethe (Götz von Berlichingen, Ende 3. Akt) fanden es präsentabel, und vielleicht trug das zur geringen Popularität des bürgerlichen ›Gesäßes‹ bei. Gleichwohl bezeichnen beide Begriffe denselben Körperteil, wobei ›Gesäß‹ erfreulicherweise sowohl auf die Mehrzahl der beteiligten Hälften (Kollektivpräfix ›ge-‹, vgl. Gemächte, Gedärme und anderes Gedöns) wie auch auf deren Funktion (sitzen) hinweist. Dagegen punktet der Arsch mit dem abgeleiteten Verb ›verarschen‹ sowie mit englischen (›arse‹) und niederländischen Analogien (›aars‹): jemanden ›verarschen‹ heißt jemanden hereinlegen und die Frage ›Willste mich verarschen oder wie?‹ wird selten affirmativ beantwortet; der ›Arsch mit Ohren‹ verlangt dem Beleidigten eine beträchtliche imaginative Leistung ab, deren Gelingen dann zu dem Beleidigtsein und entsprechenden Konsequenzen führen kann. Die englische Aufforderung ›Kiss my arse‹ ist deutlich dezenter als die goethesche Grobheit, die ja statt ›am‹ das sozusagen eindringliche ›im‹ verwendet. Komposita wie Affen-, Teilzeit-, Babbel-, Blei-, Breitarsch belegen die Vielfalt der Anwendungsbereiche des Schimpfwortes. Der Aspekt einer polysituativen Verwendung ist grundlegend für die Popularität des Schimpfwortes. Arschgeige Hier handelt es sich um die (recht ordinäre) Kombination von zwei sehr disparaten Bildbereichen – die A. ist als Instrument kaum vorstellbar und zudem in keinem Orchester vertreten, und auch der Arsch wird keine der Violine zurechenbaren Töne hervorbringen. Hier wird also ein zartes, fein klingendes Instrument ›vulgarisiert‹, wie z. B. auch die Kniegeige (vulgo für Cello); wahrscheinlich steckt der VPK (Vereinigung praktizierender Kontrabassisten) hinter dieser Erfindung. Arschloch Respekt kann man diesem Begriff insofern zollen, als er es in die Protokolle des Bundestags geschafft hat – mit Hilfe von J. Fischer, der im Oktober 1984 den Vizepräsidenten des deutschen Bundestags Stücklen so bezeichnete. Sicherlich hätte Fischer seiner Verachtung auch anders Ausdruck geben können, aber die drastische Direktheit des Wortes sowie der einprägsame Vokalwechsel (auch im engl. ›asshole‹ zu finden) machen den Begriff zum Schimpfwort par excellence. Entsprechend seiner Popularität hat der Volksmund weitere sehr bildhafte Komposita gebildet: Arschgesicht, -geige, -kriecher, -lecker; sie alle bedürfen jedoch nicht der Erläuterung. Balg, Blag Aufpassen, ihr ungezogenen Kinder oder ›Bälger‹; ein Balg war früher eine abgezogene (Klein-)Tierhaut, aus der z. B. ein Geldbeutel oder Blasebalg gefertigt wurde. Erfreulicherweise entstammt aber auch der ›Ball‹ dieser indogerm. Wortfamilie; da können die Bälger oder (metathetisch) Blagen aufatmen und Ball spielen gehen. Bankert, Bastard In alten Zeiten von Leibeigentum und Feudalherrschaft gab es für die Adeligen legale Freiheiten, die eifrig genutzt wurden; eine davon war das legendäre ›Recht der ersten Nacht‹, das sehr oft nicht folgenlos blieb (›der Wahn ist kurz, die Reu ist lang‹) – der uneheliche Nachkomme war ein Bankert, ein mit der Magd auf der ›Bank‹ oder mit der Zofe im Lustpavillon gezeugtes Kind männlichen Geschlechts. Man erkennt hier einen doch recht verstaubten ›ständischen‹ Beleidigungsaspekt – Adel? Zofe? Magd? Pavillon? Banause Zu griech. ›bánausos‹ = niedrig, gemein; ein Mensch ohne Verständnis für ›höhere‹ Kultur wie Kunst, Philosophie, Religion. Bauer Der Mönch Martinus (Luther) wird zitiert mit diesem Verdikt: ›Bauern sind wie das liebe Vieh‹, will sagen dumm, grob, schmutzig, triebhaft. Wahrscheinlich hat ihm niemand geantwortet: ›Doch wäre nicht der Bauer, so hättest du kein Brot.‹ Das Image des Bauernstandes hat sich aber, sicherlich durch Not und Elend der jeweiligen Nachkriegszeiten vom Dreißigjährigen Krieg bis zu den Weltkriegen I und II, sehr gewandelt: heute gehören dem Berufsstand Landwirte, agrarwissenschaftliche Fachwirte, Agrarwirte und Agrarökonomen an, deren Wohlstand oft den Reihenhäusler mit Handtuchgarten erblassen macht. Also achtgeben: Neidgefahr. beknackt Jemand, der einen geistigen oder verhaltensmäßigen ›Knacks‹ hat, ist beknackt; das Wort Knacks zeigt lautmalerisch (oder onomatopoetisch): Es macht ›knacks‹ und schon hat das Glas einen Sprung uploads/Geographie/ die-333-lustigsten-schimpfwo-rter.pdf
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- Publié le Fev 10, 2021
- Catégorie Geography / Geogra...
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