2.878 Hexen im Mittelalter? IX. Schamanen und Hexen im Mittelalter Hexen im Mit

2.878 Hexen im Mittelalter? IX. Schamanen und Hexen im Mittelalter Hexen im Mittelalter? Die weit verbreitete irrige Meinung, dass Hexen1 und Hexenverfolgungen im »finsteren« Mittelalter stattge- funden haben, ließ sich auch nicht durch die groß an- gelegten Untersuchungen der letzten Jahrzehnte aus- rotten.2 Gewisse Modifikationen sind zwar in der letzten Zeit sogar in populärwissenschaftlichen Wer- ken zu beobachten, indem sie die echte Hexenverfol- gung ins Spätmittelalter verlegen. Der Terminus Hexe wird aber nach wie vor auf alle weiblichen Personen, die in irgendeiner Form mit übernatürlichen Kräften zu tun haben, angewendet bzw. für sie verwendet. Dass das nicht gerade zu einer Klärung der Begriffe beiträgt, liegt auf der Hand, weshalb ich vorerst für das Mittelalter je nach Zeugnis entweder den Begriff Zauberin oder den in der jeweiligen Quelle ausgewie- senen spezifischen Begriff verwende. In der Antike finden wir die Vorstellung von der strix oder striga als Bezeichnung für nachtfahrende Frauen schon bei Schriftstellern wie Plinius dem Älte- ren, Apuleius, Petronius u.a.3 Die Luftfahrt, bereits bei Apuleius anschaulich ge- schildert (siehe oben S. 32), geschieht mittels einer 2.879 Hexen im Mittelalter? Salbe oder auf dem Rücken eines Tieres bzw. durch Verwandlung in einen Vogel. Jacob Grimm erwähnt in seiner Deutschen Mythologie, dass der Göttin Freja Besen geweiht wurden, eine Vorstellung, die be- reits die Assyrer gekannt haben sollen.4 Die antiken Nachtfahrerinnen waren eigentlich Ge- spenster, Verbindungen zum Vampirglauben lassen sich auch bei den Lamien5 und Empusen nachweisen. Auch bei den erwähnten mittelalterlichen Zeugnis- sen von Holden und Unholden hat es sich offenbar nicht um menschliche Wesen, sondern ebenfalls um Gespenster gehandelt. Die Volkssitte, diesen Nacht- fahrerinnen Speiseopfer darzubringen, um dem Haus Glück zu gewährleisten, ließ sich in Italien, Gallien und Germanien nachweisen.6 Damit gekoppelt ist auch der Verwandlungsmythos7, der ja auch in Zu- sammenhang mit den Zauberkünsten auftritt. Bereits bei Apuleius ging ja die Verwandlung der Zauberin ihrem Flug voraus. Simon Magus wird neben seinen Flugkünsten auch der Gebrauch einer verwandlungs- kräftigen Zaubersalbe nachgesagt.8 Die Herstellung der Salbe gehört in den Bereich des Veneficiums und damit auch des Maleficiums, wodurch die Verbindung Maleficium – Verwandlung hergestellt ist. Die spätere Vorstellung der Verfolgungszeit, dass die Hexen 2.880 Hexen im Mittelalter? Hexen mit dem Teufel geschlechtlich verkehren bzw. dass sich der Teufel in Frauengestalt Männern nähert, um sie zu verführen, ist im Mittelalter erst ab dem späten 13. Jahrhundert nachgewiesen. »Es ist bis zu diesem Zeitpunkt keiner Instanz eingefallen, einem Zauberer vorzuwerfen, dass er mit Dämonen Unzucht übe.«9 Die Vorstellung des Verkehrs von Menschen mit elbischen bzw. göttlichen Wesen war im Altertum weit verbreitet, stand aber nicht in Zusammenhang mit Zauberei. Im Altertum und auch später rühmten sich viele Adelsgeschlechter aus einer Verbindung mit halbgöttlichen bzw. elbischen Wesen hervorgegangen zu sein. Diese Vorstellungen wandelten sich zuerst zu Vor- urteilen, die in der Spätzeit zu den bekannten Aburtei- lungen führten. Der älteste Beleg einer Erwähnung der Teufelsbuhlschaft stammt aus den Prozessakten des Inquisitors von Carcassonne (1275). Die Bibel (Genesis 6,1) lässt die Riesen aus der Verbindung der Söhne Gottes, die mit gefallenen En- geln gleichzusetzen sind, mit den Töchtern der Men- schen entspringen. Burkhard von Worms leugnet, dass es elfenartige Wesen gebe, die sich mit den Menschen verbinden.10 Doch im 13. und 14. Jahrhundert treten diese Legen- den gehäuft auf, nicht zuletzt wegen der Popularität 2.881 Hexen im Mittelalter? des Merlinstoffes. Guibert von Nogent (ca. 1120) be- richtet nicht nur, dass sein Vater durch Zauberei am Vollzug der Ehe gehindert worden, sondern auch, dass seine Mutter vom Teufel in Gestalt eines Incubus besucht worden sei. Dieser konnte jedoch von einem Engel vertrieben werden.11 Wilhelm von Auvergne hält diese Erzählungen für von Dämonen hervorgeru- fene Träume, in welchen ein erzwungener Verkehr stattfinde. Er bestreitet auch, dass Dämonen Nach- kommen zeugen können. Um ein Vorurteil handelt es sich bei dem Bericht des Goten Jordanis, der über- zeugt ist, dass die Hunnen der Verbindung von Dä- monen und Zauberinnen entstammen: Magae mulieres, Halirunnae [...] quas spiritis immundi per heremum vagantes dum vidissent et eorum com- plexibus in coitu miscuissent, genus hoc ferocissimum ediderunt.12 Auf die langwierige etymologische Diskussion, die das Wort Hexe ausgelöst hat, sei nur kurz eingegan- gen. Nach heute vielfach akzeptierter Meinung stellt das Wort ein Kompositum dar: hag, verwandt mit gallisch caium, kymrisch ke, angelsächsisch haga, altnordisch hagi, in althochdeutschen Glossen mit la- teinisch indago zusammengestellt, gleichzusetzen mit Einfriedung, abgeschlossenem Weideplatz und zussa. Diese Bezeichnung bringt Jacob Grimm mit lodix = Hexen 2.882 Hexen im Mittelalter? Decke bzw. cingulum = Gürtel in Zusammenhang. Nach Kluge geht zussa auf die indogermanische Wur- zel *dheuos/dhus = Dämon zurück. Im angelsächsi- schen Raum ist das Wort haegetesse schon im 8. Jahrhundert bezeugt und wird lateinisch mit striga, furia und pythonissa, filia noctis wiedergegeben. Ein Zauberspruch des Lacnunga rückt den Begriff in die Nähe der Elfen. Die Etymologie ist weiterhin auch noch nicht ganz geklärt. Wie Claude Lecouteux betont, scheint nur der erste Teil des Kompositums, also hag, als Bestimmungswort zahlreicher Termini festzustehen, die der Beschreibung von Zaubereiun- wesen dienen13, da dem Haag als Einfriedung kulti- sche Bedeutung zukam. »Alle Glaubensvorstellungen und Aberglauben, die der Einfriedung gelten, bewei- sen, dass dieser Ort – heilig für die alten Germanen – die Wohnstätte eines genius loci (an. landvaettr) ist.«14 Diese durch einen Zaun geschützte Einfriedung deutet auch eine Verbindung zwischen Hexe und Zaun an. Altnordisch tunrda = Zaunreiterin, hagazus- sa wird aus diesem Grund auch oft mit Zaunreiterin übersetzt. Lecouteux führt weiter aus, dass es sich bei diesem Genius loci um den gallischen Dusius (Wald- geist) handeln müsse. Dazu zieht er eine Augustinus- stelle heran15, wo der Dusius mit einem Incubus und Faunus gleichgesetzt wird. Auch bei Hinkmar von 2.883 Hexen im Mittelalter? Reims lässt sich diese Gleichsetzung belegen. Dieser Dusius oder Waldgeist lebt im heutigen bretonischen Volksglauben als Dus weiter.16 Thomas von Cantimpré (gest. 1273) hat sich eben- falls mit dem Dusius beschäftigt. Allerdings gibt er als dessen Heimat Preußen an und hält ihn für einen Teufel in Menschengestalt, der unter anderen verwerf- lichen Künsten auch die Nekromantie ausübt. Lecouteux kommt zu dem Schluss, dass das Wort hagazussa auf eine Dusia der Einfriedung, also auf einen verweiblichten Genius loci hindeute und zeige, »dass die Hexe im heutigen Sinne des Begriffs keine deutsche Vorstellung ist, was schon die Vielfalt der Bezeichnungen nahe legt. Die alten Germanen kann- ten Zauberer, Hellseher, Wahrsagerinnen, Traumdeu- ter usw. Es ist anzunehmen, dass diese Anhänger der weißen wie der schwarzen Magie bei den Christen malem partem gedeutet wurden und sich folglich in Hexen und -meister verwandelten, also in die römi- sche Striga.«17 Stefan von Bourbon stellte sich die Holden Frauen auf Besen reitend vor, die Unholden auf Wölfen. In Gervasius' von Tilbury Otia Imperialia hat die Vor- stellung bereits ambivalenten Charakter: Einerseits nimmt er an, dass die Nachtfahrenden nicht-menschli- che Wesen sind, aber an einer anderen Stelle spricht er davon, dass die Nachtfahrerinnen doch fliegende Hexen 2.884 Hexen im Mittelalter? Menschen sind. Er habe eine Frau gekannt, welche an den Nachtfahrten teilgenommen habe. Diese hatte nicht beachtet, dass sie dabei den Namen Christi nicht aussprechen dürfe, und wäre deshalb nach diesem Ta- bubruch in die Rhône gestürzt.18 An die Tierver- wandlung, vorzugsweise in Katzen, glaubt er eben- falls: »Scimus quasdam (feminas) in forma cattarum a furtiva vigilantibus de nocte visas ac vulneratas in crastino vulnera truncationesque membrorum osten- disse.«19 Die Antikerezeption führt zu einer Vermischung der römischen Striga mit der volkstümlichen Nacht- fahrerin, wodurch die unholden Aspekte ein gewisses Übergewicht erhielten. In der mehrfach erwähnten Le- genda Aurea des Jacobus de Voragine begegnen wir dieser Mischform. Er erzählt die Geschichte des Ger- manus von Auxerre, der Herberge in einem fremden Haus nimmt und nach dem Abendessen bemerkt, dass der Tisch neuerlich gedeckt wird. Als er verwundert nach den neuen Gästen fragt, gibt man ihm zur Ant- wort: do seitent si, es were eine gewonheit, daz die frowen die des nahtes farent gewonlich in daz hus koment; den were der tisch bereit. Hie von wachet Sant Germa- nus. do sach er daz vil túfel in menschen personen koment und sattent an den tisch.20 2.885 Hexen im Mittelalter? Aus dem Gesagten geht also hervor, dass die volks- tümliche Vorstellung von den nachtfahrenden Frauen mit den Zauberinnen vorerst nur am Rande zu tun hatte. Die Lex Salica21 und die alemannischen und lan- gobardischen Rechtsvorschriften erwähnen einen Volksglauben von vampyrartigen Frauen, die Men- schen innerlich verzehren können. Der Edictus Rotha- ri (643) weiß ebenfalls von dieser Vorstellung und er- klärt, dass Christen, die solches glauben, dem Wahn verhaftet wären und jene Frauen, die man als Strigen denunzierte, nicht zu bestrafen seien. Im alemanni- schen Recht gab es sogar eine Bestimmung gegen diese »wahnhaften« Denunziationen. Der Canon Episcopi22 (siehe S. 126f.), der das erste detaillierte Zeugnis über Nachtfahrerinnen bein- haltet, beschäftigt sich gleichfalls mit diesem Volks- glauben. Er ermahnt die Bischöfe, den Wahn auszu- rotten, den der Teufel verwirrten Frauen im Traum eingebe, dass diese in der Nacht auf Tieren mit der Göttin Diana durch die Luft reiten. Diese Vorstellun- gen sollen als Wahngebilde bekämpft und als Vor- spiegelungen des Teufels entlarvt werden. Burkhard von Worms (1020) hebt durch die Be- uploads/Geographie/ 09-schamanen-und-hexen-im-mittelalter-pdf.pdf

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