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SC R 1 PT A '\11 :\ 0 RA llFl,IAE "iOUl·.'IATl"i Hl 'tfA'.'IIORVlf LITTERARl M Ll'.'IDENSIS Studin utµ:. av Kungl. llumani,ti,ka Veten~kap~'amfundet i Lund 1971-19i2: 2 LAONIKOS CHALKOKONDYLES DER LETZTE ATHENER EIN VORTRAG Von ALBERT WIFSTRAN D Nt>b!lt 1·inl'm Nachwort von Christian Callmer untl t>int>r Wifstrantl-Bibliographie von Sven G. Sjöberg LUND CWK GLEERUP Berlingska Boktryckeriet, Lund 1972 Inhalt 1. Laonikos Chalkokondyles, der letzt<' Athener. Ein Vortrag von Albert Wifstrand . . . . . 5 2. Nachwort von Christian Callmer 21 3. Die gedruckten Schriften von Professor Albert Wifstrand 1923-1971 von Sven G. Sjöberg . . . . . . . . . . . 23 Wenn man sich fragt, wer von allen Autoren der griechischen Manuskripttrll.dition, von denen uns irgendein Werk überliefert wurde, derjenige ist, dessen Text am schlechtesten erhalten blieb, sich also in dem korruptesten Zustand befindet, lautet die Ant- wort, dass dies eigentümlicherweise keiner der ältesten, mehrere Jahrhunderte vor Christi Geburt lebenden Verfasser ist, wie es vielleicht natürlich erscheinen könnte; unter den armen Miss- handelten und Unglücklichen, die in dieser Hinsicht wetteifern können, ist es vielmehr der allerspäteste, einer von jenen, die an der Grenze zum Zeitalter des Buchdrucks lebten und den voll- ständigen Untergang des mittelalterlichen griechischen Reiches mitmachten, der Athener Historiker des 15. Jahrhunderts Chalko- kondyles, dessen Werk trotz allem eine wichtige Quelle für die Geschichte der Mittelmeerländer im 14. und 15. Jahrhundert ist. Seine Eigenart erschöpft sich indes nicht darin, dass er der am unvollständigsten tradierte genannt werden kann; sein Werk hat mehrere andere Eigenschaften, die den Autor zu einer Gestalt eigener Art in der griechischen Literaturgeschichte machen. Ich will einiges wenige von seinem Leben berichten, nur das Wichtigste von dem, was sich in Handbüchern und Zeitschriften über ihn finden lässt, denn ich kann wohl kaum damit rechnen, dass er eine meinem Auditorium im allgemeinen bekannte Per- sönlichkeit ist. Ich will nicht darauf eingehen, welches die rechte Form seines Namens ist, der von dem einen Kondyles, von einem anderen Kandyles und von einem dritten viersilbig Chalkondyles geschrieben wird. Er gehörte einem bekannten Athener Geschlecht an und ist der einzige Athener unter den byzantinischen Autoren. Nachdem die Herrschaft der Katalanen in Athen in den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts gestürzt worden war, konnten unter den neuen abendländischen Herzögen die Griechen wieder stärker in den Vordergrund treten und hatten mehr zu sagen bekommen. Bei einer Vakanz des Herzogthrones hatte der Vater des Laonikos es daher mit türkischer Hilfe zu erreichen versucht, neben der (j ALBERT WIFSTRA~D Witwe des verstorbenen Herzogs zum Hnrsclwr Athens aufzu- rücken. Der Versuch misslang. Einn sci1wr Söhne floh frühzeitig nach Italien und wurde einer der (iriechisehlehrer dPr Italiener der Renaissance; er gab <lie erste gedruektf' Homerausgabe heraus. Laonikos, yon <lern wir hier spn•ehen wollen, war wohl in den dreissiger ,Jahren des l.'i. ,Jahrhundl'l'ts geboren und musste nach der missglückten Aktion seines Vaters mit diesem Athen verlassen; die Familie dürfte sich dann auf der Pelopomws aufgehalten haben, die noch E>inem griechisclwn Fürsten unterstand. Nachdem die Türken auch dort die Herrschaft ergriffen hatten, scheint Laonikos nach Kreta, wo die \'enezianer immer noch die Herren waren, übergesiedelt und dort Priester geworden zu sein. Anscheinend hat er zumindest Italien bereist und war in den achtziger Jahren noch am Leben. Seine letzten .Jahre widmete er nach Angaben eines späteren griechischen Autors hauptsächlich Studien und Schrüt- stellerei. Das Geschichtswerk des Laonikos hat den Titel oc7t/J8Et;tc; lcnoptwv und behandelt die Zeit um 1325-1463. Den Titel oc7t68Et;tc; tragen in der Kaiserzeit nicht selten naturwissenschaftliche und philo- sophische Werke, wie die oc7t68Et;tc; diocyyEl.tx-~ des Eusebios u.a., aber Laonikos knüpft sicherlich nicht an diese Tradition an, sondern an Herodots Einleitung 'Hpo86Tou 'Al.txocpv·'laafoc; laTopt"fl<; &.7t68E~tc;. Herodot gehört nämlich zu den von ihm am häufigsten herangezogenen Vorbildern und stilistischen Mustern. Das \Verk ist in 10 Bücher aufgeteilt, von denen das letzte jedoch sehr abrupt schliesst. Stark hervorgehoben hat man seit alters einen seiner charak- teristischen Züge: er unterscheidet sich von allen anderen byzantini- schen Geschichtsschreibern dadurch, dass er nicht Konstantinopel und das byzantinische Reich Zentrum und Hauptgegenstand seiner Schilderung bilden lässt, sondern den Aufstieg des türkischen Reiches zu seiner überwältigenden Grossmachtstellung im Osten. Früher, als das griechische Kaiserreich wirklich eine bedeutende Macht war, lagen gute Gründe dafür vor, sich vorwiegend mit dessen Schicksalen zu beschäftigen, seitdem aber sein Territorium und seine Macht so zusammengeschrumpft waren, wie es seit der letzten Hälfte des 14. Jahrhunderts der Fall war, musstf' es für einen Historiker eine grössere und wichtigere Aufgabe sein, die türkische Herrschaft zu schildern. Doch tut er das keineswegs mit LAONIKOS CHALKOKONDYLES, DER LETZTE ATHENER 7 türkischen Augen oder in demütiger Unterwürfigkeit gegenüber der Grossmacht, wie einer seiner Zeitgenossen, Kritobulos, es macht, der zeitlich noch weiter geht als Laonikos, aber als gehorsamer Diener der Türken schreibt; daher ist man trotz allem berechtigt, Laonikos als den letzten hellenischen Historiographen anzusetzen, bevor der kulturelle Abstieg in den unterdrückten griechischen Ländern ernsthaft beginnt. Aber Laonikos rückt nicht nur die türkische Expansion in den :Mittelpunkt, er berücksichtigt auch in weit grösserem Umfang als irgendein sonstiger byzantinischer Historiker die Schicksale anderer südosteuropäischer und westeuropäischer Völker und Fürsten. Er will wirklich moderne Weltgeschichte schreiben, wobei Welt Europa und die Teile von Asien und Afrika bedeutet, die dem Mittelmeer zunächst liegen; das Reich der Griechen, das byzantinische Reich, erscheint auch von diesem Gesichtspunkt nur als ein Teilstück, und zwar ein Teilstück von geringer Bedeutung, in dem grossen Zusammenhang. Bei anderen byzantinischen Geschichtsschreibern kommen zwar dann und wann abendländische Gestalten wie Karl der Grosse oder Friedrich Barbarossa vor, doch interessieren dann einzig deren Beziehungen zu den Byzantinern. Laonikos aber in- teressiert sich für die Geschichte des Abendlandes ohne spezielle Berücksichtigung ihrer Relation zu den Griechen, und bei passender Gelegenheit schiebt er lange Exkurse mit Beschreibungen von Ländern und Städten, von Italien, Spanien, Ungarn usw. ein. Man traut kaum seinen Augen, wenn Livland oder Hamburg (" Aµ.7tupyoc;) bei einem byzantinischen Autor auftauchen, aber bis nach Kopenhagen oder Lund reichte sein Horizont doch nicht, geschweige denn bis nach Stockholm. Man versteht sogleich, dass Herodot auch für diese eingefügten geographisch-historischen Über- blicke das Vorbild abgab; auch viele andere Autoren haben Herodot in sprachlichen Einzelheiten imitiert, aber keiner hat seine grandiose Art nachzuahmen versucht, alle Völkerschaften in die historische Darstellung einzubeziehen. Einige von Laonikos' Beschreibungen sind phantastisch und stützen sich auf unsichere Erzählungen, andere sind zuverlässig und wertvoll (so die von Venedig). Nun ist es vielleicht kein allzu grosses Zeichen von persönlicher Originalität oder Genialität, dass Laonikos mit der traditionellen Gewohnheit der Byzantiner, stets Konstantinopel in den Mittelpunkt zu stellen, gebrochen hat. Man muss bedenken, dass er als Athener aus einer 9 - Wif1trand 8 ALBERT WIFSTRAND Stadt und einem griechischen Gebiet stammte', die schon seit langem nicht mehr zum h~·zantinischen RC'ich gC'hürten. Vielmehr hatten sie bereits sPit dl·m 1 :J. Jahrhundert abendländische Herrscher ge- habt. Auch die erneute byzantinisehe Expansion zu Ende des I :3. Jahrhunderts hatte Attika nie mehr zurückzugewinnen ver- mocht. Laonikos war also kein Byzantiner im <>igentlichsten Sinne, sondern war in einem Kleinstaat ein wenig am Rande aufge- wachsen; dieser Vrnstand hilft erklären, warum er die Dinge nicht vorn Horizont Konstantinopels aus sieht. Ich habe den Vortag „Der letzte Athener·· iibC'rsehrieben. Dieser Titel weckt in Schweden ein stärkeres Echo als in anderen Ländern, wo man nicht voraussetzen kann, das8 er wPiteren Kreisen Viktor Rydbergs Roman ,,Der letzte Athener·· aus den fünfziger .Jahren des l !I. Jahrhunderts ins Gedäehtnis ruft, dPr den Kampf zwischen Heidentum und Christentum im 4 .• Jahrhundert schildert und in welchem der letzte Athener ein neuplatonischer Philosoph aus der Zeit Kaiser J ulians ist. Ich habe bereits gesagt, dass Laonikos der einzige Athener in der byzantinischen Literaturgeschichte ist; wenn ich ihn obenein den letzten nenne, so meine ieh, dass er der letzte vollblütige Vertreter jener Richtung innerhalb des grieehischen Geisteslebens ist, der zu dem klassischen Griechenland und be- sonders dem klassischen Athen aufsah als zu einem Muster, das es bis in die geringste Einzelheit hinein nachzuahmen galt, auch in der Sprache. Nach ihm gibt es niemanden mehr, der sich in solchem Grade an dies Programm gehalten hätte. Ich möchte ein wenig länger bei diesem Zug verweilen, den man nicht so klar gesehen hat wie alles andere, wovon ich zuvor ge- sprochen habe. Man hat wohl deutlich gemerkt, dass er ein fleissiger Imitator der Klassiker ist, besonders des Thukydides und Herodot. Wenn der Titel an Herodot erinnert, so rufen die einleitenden Worte den Anfang bei Thukydides ins Gedächtnis: 0ouxu8l81Jc; 'A61)vocfoc; ~uveypocljle: 't'OV 7t6Ae:µ.ov 't'WV ne:A07tOVV1JGLWV xocl 'A61)vtX(wv, und dann betont er ja, wie gross und wichtig der Krieg war, den er schildern will. Laonikos beginnt (mit einer vernünftigen Interpunktion, nicht wie in den Ausgaben): „Laonikos von Athen hat dieses niederge- schrieben als einen Bericht von dem, was er in seinem Leben gesehen und gehört hat, um damit der Natur eine Schuld zu bezahlen1, 1 Vgl. Bengt Lidner (1757-1793, Dichter des Sturm und Drangs in LAONIKOS CHALKOKONDYLES, DER LETZTE ATHENER 9 indem er zugleich meinte, dass nichts davon künftigen Generationen unbekannt verbleiben dürfte, da meiner Ansicht nach Dinge ge- schehen sind, die keineswegs weniger erstaunlich sind, als was sich sonst an Gedenkenswertem uploads/Geographie/ wifstrand-laonikos-chalkokondyles-der-letzte-athener.pdf

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