VL: Sprache und Kultur des Nahen und Mittleren Ostens Modul F3: Der Nahe und Mi

VL: Sprache und Kultur des Nahen und Mittleren Ostens Modul F3: Der Nahe und Mittlere Osten in der Gegenwart 28.5.2018 Prof. Dr. Stefan Weninger Bisher ... • (Grundbegriffe) • Sprachen verändern sich durch permanenten Sprachwandel. Dialekte entwickeln sich auseinander; neue Sprachen entstehen und bilden Sprachfamilien. – Semitisch, Indogermanisch, Turksprachen, kaukasische Sprachen .... • Sprachen, die im Kontakt stehen, können Merkmale voneinander übernehmen (einzelne Wörter, syntaktische Strukturen, semantische Strukturen, ...); Sprachen gleichen sich an und werden einander ähnlicher (Konvergenz) • (Sprache und Schrift) 2 Heute ... 3 SPRACHPLANUNG – SPRACHPOLITIK Thema heute: 4 Bisher ... • (Grundbegriffe) • Sprachen verändern sich durch permanenten Sprachwandel. Dialekte entwickeln sich auseinander; neue Sprachen entstehen und bilden Sprachfamilien. – Semitisch, Indogermanisch, Turksprachen, kaukasische Sprachen .... • Sprachen, die im Kontakt stehen, können Merkmale voneinander übernehmen (einzelne Wörter, syntaktische Strukturen, semantische Strukturen, ...); Sprachen gleichen sich an und werden einander ähnlicher (Konvergenz) • (Sprache und Schrift) • Veränderung von Sprache durch bewusste Eingriffe von außen 5 Sprachplanung • S.: Versuch der bewussten Gestaltung von Spr. im Hinblick auf übergeordnete Zielsetzungen. Von manchen Linguisten wird die Möglichkeit erfolgreicher S. bestritten, da sich Spr. stets unbewusst den vorhandenen Kommunikations- und Kognitionsbedürfnissen anpassten. Bisweilen wird diese Auffassung auf die gesprochene Spr. eingeschränkt. Gewisse Erfolge von S. stehen jedoch sogar für die gespr. Spr. außer Zweifel [Beispiel Esperanto] . • U. Ammon in Glück (ed): Metzler Lexikon Sprache 6 Sprachplanung • ... Zweckmäßig ist die von Kloss eingeführte Unterscheidung von Korpusplanung und Statusplanung. Korpusplanung (Planung des ‚Sprachkörpers‘, der Struktur der Sprache) bezieht sich auf die Wahl von Schrift, Orthographie, Lautstruktur, Wortschatz, Grammatik (Morphologie und Syntax) sowie u.U. Stil- und Textformen. Statusplanung bezieht sich auf die Rolle (den Status) der Spr. in der Gesellschaft, ihre Implementation und Verwendung in den verschiedenen Domänen (Schule, staatl. Administration usw.) • U. Ammon in Glück (ed): Metzler Lexikon Sprache 7 Kritik der Sprachplanung: ‚Linguistic Engineering‘ • Linguistic engineering is a particularly perilous branch of sociopolitical experimentation, the more so since it is not so exact an applied science as, say, genetic engineering. The latter is at least in the hands of professionally qualified biologists who, one hopes, know how to juggle recombinant DNA to best effect. By contrast linguistic engineering in modern times – as attempted to varying extents in virtually all the countries of the Middle East and in many others, such as Norway, Hungary, Indonesia and China - has been practiced mainly not by linguists but by generals, politicians, social ideologues, and other amateurs. (…) So-called language reform is thus primarily a sociopolitical, not a linguistic and cultural, process, though its effects remain to color the speech and literature of succeeding generations. (Perry 1985:295) 8 Sprachplanung im NMO • I. Die arabischen Sprachakademien • II. Sprachreformen in der Türkei • III. Die Farhangestāns im Iran 9 I. Die arabischen Sprachakademien • ‚nahḍa‘: Aufstieg, Aufschwung; Wiederbelebung‘ • Konkret: Literarische Wiederbelebung im 19. Jahrhundert • Situation zu Beginn des 19. Jh. (Mašriq, Ägypten): Arabisch stark auf religiöse Sphäre und private Sphäre beschränkt • Sprache der Macht (Staat, Verwaltung): Osmanisch-Türkisch • Hintergrund: – langsame Emanzipation von der osmanischen Herrschaft – Entstehung des arabischen Nationalismus 10 I. Die arabischen Sprachakademien • „Arabic printing is the technology of the Nahḍa and printed books as well as periodicals are its innovative media.“ (D. Glaß) – Arabische Drucke in Europa schon im 16. Jh. • Erste Druckerei in Aleppo schon im 18. Jh. (Christen; Verbreitung und Erfolg unklar) • 1798: Napoleons Ägypten-Feldzug; Druckerpresse • Ägypt. Staatsverlag in Bulaq, gegründet 1819/20. • 1820-1900: Über 10.000 Titel, jeweils in durchschnittlicher Auflage von 1.000 • Zweite Hälfte 19. Jh.: Auch Privatverlage in Äg. 11 I. Die arabischen Sprachakademien • Übersetzungen: • Im Verlauf des 19. Jh.s um 2.000 Titel! • In Ägypten zunächst staatlicherseits initiiert – z.B. ‚Il principe‘ von Macchiavelli (1824-25) – Lehrbücher (Ingenieurwissenschaften u.a. angewandte Wissenschaften) – Geschichte – Geographie – Recht (Code Napoléon) 12 I. Die arabischen Sprachakademien • Die Übersetzer: • Anfangs Christen mit Fremdsprachenkenntnissen • Ägyptische Muslime, die nach Europa zum Studium geschickt worden waren • Fremdsprachenkenntnisse machen noch keinen Übersetzer! 13 I. Die arabischen Sprachakademien • Die Übersetzer: • Anfangs Christen mit Fremdsprachenkenntnissen • Ägyptische Muslime, die nach Europa zum Studium geschickt worden waren • Fremdsprachenkenntnisse machen noch keinen Übersetzer! • Gründung einer Übersetzerschule zur systematischen Verbesserung – 1836: Gründung der مدرسة األلسنMadrasat al-ʾalsun [‚Schule der Sprachen‘] • Engagierte öffentliche Debatten über „Entstellung“ des Arabischen (al-Yāziǧī) und geeignete Strategien der Modernisierung. 14 Integration neuer Begriffe ins Arabische • Entlehnung: –ـ اللي برالal-lībirāl ← ‚The Liberals‘ • Übersetzung der Bestandteile (‚Lehnübersetzung‘): –ديوان رسل العماالتdīwān rusul al-ʿamālāt ‚Parlament‘ (wö.: ‚Versammlung der Gesandten der Distrikte‘) ← ‚chambre des débutés‘ –علم األحياءʿilm al-ʾaḥyāʾ ‚Biologie‘ (wö. ‚Wissenschaft des Lebenden‘) ← gr. βιος ‚Leben‘ + λογος ‚Wort; Lehre‘ • Semantische Erweiterung klassisch-arab. Wörter: – شيخšayḫ‚Senator‘ ← šayḫ‚alter Mann; Lehrer‘ (vgl. lateinisch senatus und senex ‚Greis‘) – انتخابintiḫāb ‚Wahl (politisch)‘ ← intiḫāb ‚Auswahl (allgemein)‘ • 15 Integration neuer Begriffe ins Arabische • Paraphrasierung – المملكة المقيدة للعمل بما في القوانينal-mamlaka al-muqayyada li-l-ʿamal bi- mā fī l-qawānīn (‚Monarchie die durch Gesetze gebunden ist‘): ‚Konstitutionelle Monarchie‘ 16 I. Die arabischen Sprachakademien • In Syrien / Libanon Übersetzungsbewegung wesentlich bescheidener • 632 Titel zw. 1840-1920 • Zur Hälfte (christliche) Religion • Auch viel Belletristik • Geringe staatliche Unterstützung 17 I. Die arabischen Sprachakademien • Sprachclubs – المجمع اللغوي العربيal-Maǧmaʿ al-luġawī al-ʿarabī ‘Arabische Sprachakademie’ – نادي دار العلومNādī Dār al-ʿulūm ‘Haus-des-Wissens-Club’ • Nach Einführung des Arabischen als Verwaltungssprache nach dem Ende des Osmanischen Reiches: Offizielle Gründung der Akademie in Damaskus ( مجمع اللغة العرب ية ـ بدمشق Maǧmaʿ al-luġa al-ʿarabīya bi- Dimašq). 1919. • Vorbild: Académie Française • Ziel: Reinheit ( فصاحة faṣāḥa) und Integrität ( سالمة salāma) der arab. Sprache • Listen von (zu vermeidenden) Fehlern; Terminologievorschläge 18 I. Die arabischen Sprachakademien • Weitere Aktivitäten: – Edition klassischer Literaturwerke – Öffentliche Lesungen 19 I. Die arabischen Sprachakademien • 1932: Gründung der königlichen Akademie in Kairo ( مجمع اللغة العرب ية ـ الملكيMaǧmaʿ al-luġa al-ʿarabīya al-malakī ) • Vorbild ebenfalls Académie Française • Auch europ. Orientalisten als Mitglieder – A. Fischer, H.A.R. Gibb, L. Massignon • Ziele: – Integrität der arab. Sprache (سالمة العربيةsalāmat al-ʿArabīya) – Bereitstellung moderner Terminologie • Bis Mitte 20. Jh.: 12.000 Neologismen aus den Gebieten Medizin, Recht, Wirtschaft, Mathematik, Biologie, Chemie, Geologie 20 I. Die arabischen Sprachakademien • 1947: Gründung der Akademie in Bagdad (المجمع العلمي العراقيal- Maǧmaʿ al-ʿilmī al-ʿirāqī) • 1976: Gründung der Akademie in Jordanien ( مجمع اللغة العربـية األردنيMaǧmaʿ al-luġa al-ʿarabīya al-urdunnī) 21 I. Die arabischen Sprachakademien • Probleme: • Wenig länderübergreifende Koordination zwischen den Akademien – Union der Akademien unterfinanziert und oft durch außenpolitische Gegensätze gelähmt • Kaum empirische Überprüfung der Akzeptanz / Evaluierung des Erfolgs von terminologischen Neuschöpfungen – Empirische Forschung des tatsächlichen Gebrauchs (zumindest in der prä-elektronischen Zeit) wesentlich aufwendiger als die Schöpfung einer neuen Bezeichnung! • Oft unrealistische Vorschläge 22 I. Die arabischen Sprachakademien • Unrealistische Vorschläge der Akademien • Konzept: Straßenbahn – Informell:ترامtrām; تراموايtrāmwāy ← engl. tramway – Vorschlag: جمّازǧammāz ← klass. arab. ǧammāz ‚schnellfüßig (von Kamelen oder Wildeseln)‘ • Konzept: Sandwich – Informell: سندوتـشsandwitš – Vorschlag: الشطر والمشطور والكماخ بـينھماaš-šāṭir wa-l-mašṭūr wa-l- kamāḫbaynahumā (wö: ‚Halbierer und Halbiertes und Saures zwischen ihnen‘) 23 I. Die arabischen Sprachakademien • Konzept: Vorderrad • Vorschlag: الدوالب الموجهad-dūlāb al-muwaǧǧih (wie frz. ‚la roue directrice‘) • doch الدوالب األماميad-dūlāb al-ʾamāmī war bereits etabliert. 24 I. Die arabischen Sprachakademien • Mangelnde Unterstützung durch Hochschulinstitutionen • Konkurrenz durch Arab League‘s Educational, Cultural and Scientific Organization (ALESCO) 25 II. Sprachreformen in der Türkei • Ausgangssituation 1923: • Osmanisch-Türkisch: – Arabische Schrift [Ersatz der arabischen Schrift durch die Lateinschrift, s. Sitzung vom 14.5.2018] – Sehr hoher Anteil von arabischen und persischen Lehnwörtern (z.T. natürlich vom Register abhängig) – Arabische und Persische Elemente auch in der Grammatik (Status-constructus-Verbindungen; ezafet-Konstruktionen) – Sätze oft nur mühsam von türkischer Syntax zusammengehalten 26 II. Sprachreformen in der Türkei • Erste Reformbemühungen – Moratorium für die Prägung neuer arabisch-persische Begriffe in der Tanzimat-Zeit (1839-1876) (Modernisten) – Ab 1908: Bestrebungen zur Vereinfachung der Zeitungssprache (auch Pan-Türkische Perspektive) • z.B. Vermeidung der ezafet-Konstruktion (persische Genitiv- Konstruktion) – 1911: Bewegung der Genç Kalemler (‚Junge Schreibfedern‘); Annäherung der literarischen Sprache an die Volkssprache – Ab 1924/25: Türkisierung des militärischen Sprachgebrauchs 27 II. Sprachreformen in der Türkei • Bewegung öz Türkçe ‚reines Türkisch‘ seit 1928 • 1932: Kemal Atatürk regt die Gründung der Gesellschaft für türkische Sprachforschung an (Türk Dili Tektik Cemiyeti) • Kurz darauf umbenannt in: Türk Dil Kurumu („Institut für die türkische Sprache“) • Aufgaben: – Sammlung von türkischen Wörtern aus der Volkssprache und aus alten Texten – Definition von Prinzipien der türkischen Wortbildung und Bildung von Wörtern aus türkischen Wurzeln, die mit diesen konform gehen – Vorschlag und Verbreitung türkischer Wörter, die Lehnwörter in der (Schrift-)Sprache ersetzen sollen 28 II. Sprachreformen in der Türkei • 1934: Publikation des Lexikons Osmanlıcadan Türkçeye Söz Karşılıkları Tarama Dergisi: 30.000 Vorschläge zur Ersetzung arabisch-persischer Lehnwörter • (1934: Höhepunkt der Säkularisierungsmaßnahmen in der Türkei: Wöchentlicher Feiertag von Freitag auf Sonntag; Hagia Sofia in Istanbul zum Museum erklärt) • Konflikt zwischen Puristen (gegen jegliche Fremdwörter) und Moderaten (gegen arabisch-persische uploads/Geographie/ sprachen-des-nmo-sprachplanung-2018.pdf

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