Sprachschatten Poetologische Schattenrisse in der Lyrik Paul Celans Thomas Strä
Sprachschatten Poetologische Schattenrisse in der Lyrik Paul Celans Thomas Strässle D ie Poesie Paul Celans schreibt an gegen den Lichtzwang. Der Titel des letzten noch von ihm selbst für die Drucklegung vorberei- teten, aber erst posthum, im Juni 1970, erstmals erschienenen Bandes kündet von einem Verhängnis. Jegliches Aufbegehren dagegen steht in der Gefahr des Scheiterns. Die Wortschöpfung im Titel der Sammlung taucht in einem ihrer Gedichte wieder auf: WIR LAGEN schon tief in der Macchia, als du endlich herankrochst. Doch konnten wir nicht hinüberdunkeln zu dir: es herrschte Lichtzwang} 1 Celan (2003), 277. Das kurze Gedicht spielt in einer südländischen Szenerie, nur mit Büschen bewachsen, die wenig Schatten spenden. Erbarmungslos fällt das gleißende Sonnenlicht auf die entblößte Landschaft. Die prono- minal auftretenden Figuren des Gedichts werden von ihm förmlich erdrückt: Die Gemeinschaft, der auch das lyrische Subjekt angehört, liegt am Boden, als das Du, nach einer Zeit langen Wartens und Erwartens, endlich zu ihr herankriecht. Unter dem Regiment des Lichts scheitert jedoch die ersehnte Begegnung: Das .Hinüberdunkeln' mißlingt. Wo Lichtzwang herrscht, wird Dunkelheit ausgelöscht. figurationen No 2/04 31 2 Es gibt ein ungleich berühmteres Gedicht gleichen Titels im Band Sprachgitter; zu Celans Poetik der Heimkehr generell vgl. Olscbner (2001/02). 3 Celan (2003), 374. 4 Celan (2003), 197. 5 Zur Metaphern- konstellation „Licht- zwang", „Immer-Licht" und „Fadensonne" vgl. Gebhard (1990). 6 Celan (1999), 85. 7 Celan (1999), 91. Celans dialogische Lyrik kann als ein solches ,Hinüberdunkeln' gele- sen werden, das dem Lichtzwang zu entkommen sucht. Schon in einem sehr früh, nämlich 1939, entstandenen, aber erst aus dem Nachlaß publi- zierten Gedicht mit dem Titel Heimkehr2 formiert sich die poetologische Chiffre des,Hinüberdunkeins'. Darin finden sich die Zeilen: [...] Die weiter forschen, horchen nur ob nicht der Tod, oder ein quälender Tag, ein nicht hinüber- dunkelnder in die Nacht, hinter dem Schweigen sind ..3 Der Tag quält durch sein Licht, das nicht in Dunkelheit übergeht. Unbarmherzig strahlt das „Immer-Licht"4, von dem Celan in einem Gedicht aus der 1967 veröffentlichten Sammlung Atemwende spricht.5 Die Zäsur, an der der Ubergang vom Licht ins Dunkel scheitert, wird durch den Zeilenumbruch „hinüber-/dunkelnder" markiert. In den zwi- schen den Zeilen entstehenden Riß sind Celans Texte eingelassen. Der Bezug zur Sprachproblematik wird vom Gedicht explizit hergestellt: Im Vordergrund steht das Schweigen. Der Text grenzt sich ab von denen, die dahinter nur nach Tod und Tag weiter forschen. Die Sprache aber, wie das Gedicht sie implizit entwirft, forscht weiter noch nach dem Tag, der in die Nacht hinüberdunkelt. Im Schweigen horcht es auf eine Sprache, die nicht nur von dem spricht, was im qualvoll lichtdurchfluteten Tag vernehmbar wird. Hinter der vordergründigen Sprachlosigkeit sucht es nach einer hinüberdunkelnden Sprache, nach einem Hinüberdunkeln in die Sprache. Damit sucht es auch nach dem Leben, das durch ein chiastisch verschränktes Licht- und Schattenspiel in der Nacht des Todes aufscheint. Dieses Leben steht aber nicht im hellen Licht. Es wird vielmehr von der Textur als Schatten geworfen. Celans Werk ist von einer eigentümlichen Dunkelheit, nicht bloß, was seine Hermetik, seine .Esoterik' anbelangt. In seinen poetologischen Reflexionen hat Celan die Dunkelheit immer wieder als Wesensmerkmal des Gedichts beschrieben, etwa in einem Notât aus dem Umkreis seiner Meridian-Rede: „noch das ,exoterischste', offenste Gedicht ist dunkel".6 Das Gedicht ist nachtwachend und nachtwandelnd, es ist „eine endlose Vigilie".7 In den Gedichtsammlungen, die Celan gegen Ende seines Lebens herausgegeben hat, stehen die Chiffren der Verdunkelung biswei- len schon im Titel: Eingedunkelt heißt ein Zyklus aus elf Gedichten, der 32 Thomas Strässle Sprachschatten 1968 erschienen ist; darin findet sich auch ein Text, der Nach dem Lichtver- zicht ansetzt.8 Zeitgleich mit diesem Zyklus wurde der Band Fadensonnen publiziert. Der Ausdruck .Fadensonne' spielt nicht nur auf ein Gerät an zur genauen Bestimmung des Mittags, des höchsten Sonnenstandes, des unerbittlichsten Lichts, und zwar mittels einer Messung der Schattenlän- ge, des Schattens im Meridian der Sonne, des Meridianschattens (Filar- gnomon,, méridienne filane)? Fadensonnen liegen auch schon in dem ein Jahr zuvor veröffentlichten Band Atemwende über einer „grauschwarzen Ödnis" - freilich ohne sie erhellen zu können: Sie bleiben, noch wenn ein „baum-/hoher Gedanke" sich den „Lichtton" zu greifen vermag, als „Lieder", im Medium der Musik und der Sprache, „jenseits / der Men- schen."10 Das Gedicht aber bleibt auf das transzendente Leuchten der Fadensonnen verwiesen.11 Von der Dunkelheit diesseits der Menschen künden viele Gedichte Celans. Sie heißen Tenebrae, Nacht, Nächtlich geschürzt, Nachtmusik, Nacht- strahl, Schwarzerde etc. und stammen vornehmlich aus dem Frühwerk. Der Bruder der Nacht aber ist der Schatten. Er liegt als Phänomen am Ubergang vom Licht zum Dunkel. Zur Präzisierung dieses Ubergangs stellt die Sprache die Ausdrücke Halblicht und Halbschatten bereit: Letz- tere werden bei Grimm bestimmt als „Schattierung zwischen licht und schat- ten" oder als „Übergang der eigentlichen lichter in die schatten"}2 Wider den Lichtzwang sind Celans Texte opak: ...Dunkel' ist das Gedicht zunächst durch sein Vorhandensein, durch seine Gegen [ständigkeit,] ständlichkeit; dunkel also im Sinne einer jedem Gegenstand eigenen [, mithin phäno- menalen] Opazität".13 Der Begriff der Opazität meint Undurchsichtigkeit, Lichtundurchlässigkeit, partielle Lichtabwesenheit und stammt etymologisch ab von lat. opacitas·. Schattigkeit bzw. opacus: Schatten spendend, beschattet, schattig, auch dunkel, finster. Schattig sind Celans Gedichte zunächst in einem motivischen Sinn: In seinem gesamten Werk kehren die Schatten unaufhörlich wieder, und oft werden sie zu signifikanten Komposita überformt (wie etwa „Ankerschatten", „Blondschatten", „Denkschatten", „Flugschatten", „Herzschattenseil", „Ringschatten", „Rundgräberschat- ten", „Schneewimperschatten", „Uhrschatten", „Wegschneckenschatten", „Wegweiser-Schatten", „Zehnfingerschatten", oder „Schatten-Gebräch", „Schattengelenke", „Schattenrad-Lore", „Schattenverschlüsse"). Vor allem aber sind die Schatten für Celans Texte von poetologischer, sprachphilo- sophischer Relevanz. Seine Sprache ist von einer fundamentalen Opazi- tät: Sie dunkelt hinüber. Ein Schattenriß verläuft durch die lyrischen Texte, der aber zugleich als Schattenriß (silhouette) dasjenige umreißt, was in 8 Vgl. Celan (2003), 265. 9 Zum Instrument Gnomon vgl. auch den Beitrag von Gudrun Wolf- schmidt zu diesem Heß. 10 Celan (2003), 179. 11 Für eine Analyse dieses Gedichts unter beson- derer Berücksichtigung des Fadensonnenzeigers vgl. König (1991); vgl. auch schon Pöggeler (1986), 165ff. 12 Grimm (1991), Bd. 10, 212. 13 Celan (1999), 96. Vgl. auch die übri- gen Materialien zur Meridian -Rede, die unter dem Stichwort „Opazität des Gedichts" zusammen- gefaßt sind; ebd., 9 6 f f . figurationen No 2/04 33 14 Zu dieser Redeweise vgl. das Gedicht Ich albere aus Zeitgehöft (1976 posthum publiziert); Celan (2003), 356f. 15 Zum Ausdruck „ Sprachscbatten " vgl. das Gedicht Alle die Schlafgestalten, kristal- lin, aus Zeitgehöft; Celan (2003), 353f. - Für eine Lektüre des Schattens lite- rarischer Rede als Rhetorik des Schweigens vgl. Hart Nibbig (1981); zu Celan vgl. ebd., 226-239. 16 Manger (1995), 7. 17 Celan (2003), 225. 18 Zu Ort und (Ent-)- Messung in diesem Gedicht vgl. auch Pöggeler (1986), 381. der Sprache ausgeblendet bleibt bzw. bleiben muß. Der Fluchtpunkt von Celans Lyrik liegt gerade dort, woraufhin die Sprache nicht durchsichtig gehalten werden kann, wo sie opak ist. In seinen Gedichten wird das unwiderlegbare Echo ihrer Verschattungen hörbar.14 Sie sind Sprachschat- tenspiele, Sprachschattenwürfe.15 Sie widersetzen sich damit auch den Lichtzwängen, wie sie traditionell von Rhetorik und Philosophie mit ihren Postulaten nach Transparenz, nach Klarheit und Durchsichtigkeit (clarté, perspicuitas; clare et distincte per- cipere), als Norm deklariert wurden. Die Aufforderung „machs Wort aus", die Deine Augen im Arm aus dem Band Fadensonnen ausspricht, wurde als „Celans poetischer Imperativ"16 gelesen: DEINE A UGEN IM ARM, die auseinandergebrannten, dich weiterwiegen, im fliegen- den Herzschatten, dich. Wo? Mach den Ort aus, machs Wort aus. Lösch. Miß. l - f Im Wort scheint das Licht: Das Verb ausmachen evoziert, neben der Bedeutung vereinbaren, auch ein Licht, das gelöscht werden soll (machs Licht aus). Der poetische, in seiner Reflexivität poetologische Imperativ einer Löschung des Wortlichts artikuliert sich im unmittelbaren Anschluß, zu Beginn der nächsten Zeile: „Lösch." Dieses Löschen ist kein Aus- löschen, das alles in völlige Dunkelheit, in gänzliche Unkenntlichkeit tauchen würde. Es stiftet erst die Matrix einer Erkenntnis durch Sprache: „Miß." Ein Medium der Messung ist der Schatten (Fadensonne). Er „fliegt" als „Herzschatten" durchs Gedicht - in freier Bewegung, an keinen festen Ort gebunden. Der flüchtige, immerzu bewegliche, ortlose Schatten kann so zur Figuration der Sprache werden. Denn bei der Löschung des Worts bringt sie sich um ihren eigenen Ort: „Mach den Ort aus". An gelöschtem Ort wird die gelöschte Sprache im Wortsinn zur Utopie: Ihr „Wo?" bleibt im Modus einer unbeantwortbaren Frage.18 Sobald der Lichtzwang aussetzt, spielen die Schatten. Aus der frühen Gedichtsammlung Von Schwelle zu Schwelle von 1955 stammt ein Text, in dem das diachrome Irisieren, das Oszillieren der Schattensprache 34 Thomas Strässle Sprachschatten zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Hell und Dunkel beispielhaft vorgeführt wird: SPRICH AUCH DU Sprich auch du, sprich als letzter, sag deinen Spruch. Sprich - Doch scheide das Nein nicht vom Ja. Gib deinem Spruch auch den Sinn: gib ihm den Schatten. Gib ihm Schatten genug, gib ihm so viel, als du um dich verteilt weißt zwischen Mittnacht und Mittag und Mittnacht. Blicke umher: sieh, wie's lebendig wird rings - Beim Tode! Lebendig! Wahr spricht, wer Schatten spricht. Nun aber schrumpft der Ort, wo du stehst: Wohin jetzt, Schattenentblößter, wohin? Steige. Taste empor. Dünner wirst du, unkenntlicher, feiner! Feiner: ein Faden, an dem er herab will, der Stern: um unten zu uploads/Geographie/ schatten-sombras.pdf
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