STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN - Band/Vol. III (2008) 8­ Liebe Freunde! Wie in

STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN - Band/Vol. III (2008) 8­ Liebe Freunde! Wie in den vergangenen Jahren, so möchte ich auch heute die Gelegen­ heit nutzen, unsere Fachtagung mit folgendem Thema abzuschließen: „Der ‚biblisch-semitische Aspekt’ in der Grundstruktur der WORT-TAT Gottes (dabar)“1 Ich möchte dieses Thema unter folgen­ den drei Gesichtspunkten entfalten: 1. Einleitung: Was ist „semitisch“? 2. Die WORT-TAT Gottes: Schöpfung, Israel und messianische Verheißung 3. Konzeptuale Asymmetrie im herme­ neutischen Verstehensrahmen 1. EINLEITUNG: WAS IST „SEMITISCH“? Während der ersten beiden Fachta­ gungen wurde immer wieder in den Vorträgen deutlich, wie entscheidend wichtig unser Verständnis des bib­ lisch-semitischen Aspektes für die Auslegung der Heiligen Schrift und ihre Verkündigung heute ist. Denn Gott hat sein Wort in der hebräischen Sprache des Alten Testaments gege­ ben, also in einer semitischen Sprache. Sprachen sind jedoch nicht etwa aus­ tauschbare Instrumentarien, sondern sie verkörpern unverwechselbare und nicht austauschbare Kulturen. Ganz aktuell wurde dies von Prof. Es­ peranza Alfonso2 in der kürzlich er­ schienenen Forschungsarbeit „Islamic Culture Through Jewish Eyes: Al-Anda­ lus from the tenth to twelfth century“ herausgearbeitet.3 Eine Sprache ist nichts weniger als die Selbst-Definition und Abgrenzung einer Gemeinschaft gegenüber anderen Gemeinschaften. Alfonso bemerkt hierzu treffend: “Der Gedanke der Sprache und ihres Gebrauchs werden heute wahrgenom­ men als untrennbar von der Weise, in der Individuen und Gemeinschaften sich selbst verstehen und zueinander in Beziehung treten …”.4 Dies gilt nicht nur für den islami­ schen und jüdischen Kulturkreis, in dem die Menschen semitisch denken und erleben, sondern ebenso für die westlich-postmoderne Christen­ heit, die sich von dem semitischen Verständnis der Bibel entfremdet hat. Bereits vor rund 1.000 Jahren erfolgte eine fatale Weichenstellung in der Bibelauslegung im Zeitalter der Scholastik.5 Diese hermeneutische Fehlentwicklung wurde bis heute in der europäisch-amerikanischen The­ ologie nicht überwunden. Markus Piennisch DER „BIBLISCH-SEMITISCHE ASPEKT“ IN DER GRUNDSTRUKTUR DER WORT-TAT GOTTES (DABAR) 82 Band/Vol. III (2008) - STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN Weder die historisch-kritische Zu­ gangsweise einerseits, noch die evan­ gelikal-positivistische Zugangsweise andererseits, haben sich als geeignet erwiesen, in ihren jeweiligen Spielar­ ten6 die biblisch-semitische Struktur des Verstehens aufzugreifen.7 Dies ist jedoch unabdingbar, damit die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus von der christlichen Gemein­ de, aber auch von Menschen anderer Religionen verstanden werden kann. So macht Prof. Ulrich Kühn8 in seiner aktuellen Christologie folgende sehr treffende Bestandsaufnahme zum „geschichtlichen Jesus“: „Als erstes … ist die zunehmende Einsicht in Jesu Einbindung in das zeitgenössische Judentum und die alttestamentlich-jüdische Tradition zu nennen. Es ist der Jude Jesus, in dem der christliche Glaube das Heil der Welt sieht (vgl. Joh 4,22). Diese historische Verortung ist für den christlichen Glauben grundlegend. … wobei aber seine im semitischen Bereich liegenden Wurzeln prägend und unüberholbar bleiben und eine Zumutung an andere Kulturen dar­ stellen, so sehr das Christentum dann auch in andere Kulturen eingewandert ist. Inhaltlich sind es besonders der Glaube an Jahwe den Schöpfer und Erretter der Welt und die Bindung an die Tora als das von Gott gegebene gute Gebot zum Leben, die für Jesus von seinem Ursprung im Judentum her prägend sind.“9 Hier wird zu Recht erkannt und aner­ kannt, dass der „biblisch-semitische Aspekt“ für das Verständnis der Per­ son Jesu aus dem Alten und Neuen Testament heraus einzigartig und unabdingbar bleibt. Deswegen ist der Rückbezug auf die Quellen der Heiligen Schrift in Gestalt des hebräischen Grundtextes von unverzichtbarer Bedeutung für eine Bibelauslegung, die dem semitischen Wesen der Selbstoffenbarung Gottes gerecht wird. So bemerkt der bekann­ te Bibelwissenschaftler und Exeget Dr. Gregory Beale, Professor für Biblische Studien und Neues Testament am Wheaton College10, zum Gebrauch des Alten Testaments im Neuen Testament folgendes: „… je mehr hebräische Exegese man im Alten Testament betreibt, umso klarer wird der Gebrauch im Neuen Testament sein. Das Problem ist, eini­ ge neutestamentliche Wissenschaftler haben nicht viel Hintergrund im he­ bräischen Alten Testament. Das ist unmittelbar ein Problem. Es gibt so viel Spezialisierung auf allen Gebieten heute.“11 Beale betont zu Recht den gegenwärti­ gen Mangel an exegetischer Arbeit im Alten Testament, die unabdingbar ist für das angemessene Verständnis der semitischen Bezüge im Neuen Testa­ ment. Dieser Mangel lässt sich nicht nur in den USA beobachten, sondern auch in der theologischen Forschung und Ausbildung im deutschsprachigen Europa, insbesondere im evangelika­ len Bereich. Doch was genau bedeutet „semitisch“ in unserem Zusammenhang? Hierzu bietet Dr. Hermann Spieckermann, Professor für Altes Testament an der Universität Göttingen,12 folgende prä­ zise Definition: „Semiten. Die Bez. „semitisch“ ist 1781 von A.L. Schlözer (1735-1809) erstmals für die vermeintliche Urspra­ che der Syrer, Babylonier, Hebräer und Araber gebraucht und in der Folgezeit STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN - Band/Vol. III (2008) 83 von J.G. Eichhorn (1752-1827) für die mit dem Hebräischen verwandten Sprachen verbreitet worden … . Die Bez. S. nimmt auf den Noah-Sohn Sem Bezug; er und seine Brüder Ham und Japhet gelten nach der Völkertafel in Gen 10 als die Ahnherren aller Völker auf Erden nach der Sintflut (V. 32). … Dominierend ist das Interesse, Abraham, den Stammvater Israels, in direkter genealogischer13 Linie von Sem herzuleiten (Gen 11,10-32) und diesem möglichst früh Vorherrschaft zu sichern (Gen 9,26f) … .“14 Wir gehen demnach davon aus, dass die Denkstruktur der biblisch-hebräi­ schen Sprache in Sem und Abraham als erwählte Träger der göttlichen Of­ fenbarung personifiziert wurde. Dar­ aus folgt, dass das biblisch-semitische Denken auf den Zugang des Volkes Gottes zur Wirklichkeit eine prägende und strukturierende Kraft entfaltete. 2. DIE WORT-TAT GOTTES: SCHÖPFUNG, ISRAEL UND MESSIA­ NISCHE VERHEISSUNG Wenn wir Bibelauslegung und Mission im Kern als den Offenbarungs- und Kommunikationsprozess Gottes zum Menschen verstehen wollen, dann ist der hebräische Wortstamm dabar ab­ solut grundlegend.15 Das Substantiv dabar erscheint 1442 Mal16 und ist damit das zehnthäufigste Substantiv im hebräischen Alten Testament.17 Damit übt dabar einen erheblichen und prägenden Einfluss auf die Denk- und Erlebniswelt des Alten Testaments aus. Trotz seines lexikalischen und theologischen Gewichts liegen die Ursprünge des Wortstammes jedoch im Dunkeln. So stellte G. Gerleman bereits 1971 fest: „Eine überzeugende Etymologie für dabar ist bis jetzt nicht gefunden.“18 Die Verwendung des Wortstammes dalet-bet-resh (DBR) unterscheidet sich als Verb und als Substantiv folgender­ maßen: Das Verb bezeichnet in den wichtigsten Verwendungen folgende Tätigkeiten: sprechen, reden, sagen, sich besprechen, befehlen, androhen, versprechen, beauftragen, ansagen, werben, verabreden, vortragen, dich­ ten, beten, in seinem Herzen denken, zureden, verheißen.19 Hier zeigt sich das Bedeutungsfeld insofern homo­ gen, als sich alle Verwendungen des Verbs letztlich auf die mündliche Kom­ munikation des gesprochenen Wortes beziehen. Demgegenüber zeigen sich bei der Verwendung des Substantivs dabar zwei unterschiedliche Akzente, die jedoch einander ergänzen und so das ganzheitliche semantische20 Konzept WORT "Der sein Wort (imrato) zur Erde sen­ det; in Eile läuft sein Wort (debaro) Er sendet sein Wort (debaro) TAT Der Schnee spendet wie Wollflocken und Reif wie Asche ausstreut. Der sein Eis wie Brocken hinwirft, vor dessen Frost die Wasser erstarren. - und sie zerschmelzen. Er lässt seinen Wind wehen - da rie­ seln die Wasser". 84 Band/Vol. III (2008) - STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN von dabar zum Ausdruck bringen. Ei­ nerseits bezeichnet dabar das „Wort“, sei es das Wort von Gott oder von Menschen. Andererseits steht dabar für „Angelegenheit, Sache“, die sich ebenfalls auf Gott oder auf Menschen beziehen kann.21 Während im westli­ chen Kulturkreis und theologischen Denken beide Aspekte als polare Gegensätze erscheinen, bilden sie im semitischen Kulturkreis und Denken eine unauflösliche Einheit. Dies sehen wir uns nun im Einzelnen an: 2.1 DABAR im Kontext der Schöp­ fung Das Substantiv dabar erscheint im Alten Testament sachlich und zeitlich im Kontext des Schöpfungshandelns Jahwes, des Gottes Israels und Schöp­ fers der Welt. Dieses Schöpfungshan­ deln Gottes wird immer wieder in den Psalmen als dabar, als Einheit von Wort und Tat, beschrieben – und wird daher als „Wort-Ereignis-Formel (dabar Jahwe)“ bezeichnet.22 So heißt es bei­ spielsweise in Psalm 33:6: „Durch das Wort (dabar) Jahwes wur­ den die Himmel geschaffen, und durch den Hauch (beruach) seines Mundes alle Gestirne.“ Hier sehen wir durch den Synonymen Parallelismus23 der zwei Versteile, dass Gottes Schöpfungswirken durch das Schöpfungswort geschieht und dass dieses Wort durch Gottes eigenen ruach, seinen Atem, hervorgebracht wird. Darin wird zugleich die Grund­ funktion des Geistes Gottes sichtbar, der im AT ebenfalls als ruach be­ zeichnet wird. Der Gebrauch des An­ thropomorphismus24 „Mund Jahwes“ unterstreicht deutlich, dass allein der Akt des ausgehenden Wortes bereits die Tat vollendet. Dabar heißt hier: Wort ist bereits vollzogene Tat. Hierzu bemerkt Erich Zenger tref­ fend: „Insofern das Wort der zur Sprache gewordene Gedanke des Schöpfer­ gottes … ist, wird betont, dass der Schöpfer durch seine Schöpfung eine grundlegende Ordnung eingestiftet hat und dass der Schöpfungsprozess insgesamt ein Wort ist, durch das der Schöpfer sich selbst mitteilt … .“25 Diese Dynamik wird einige Verse weiter nochmals beschrieben (Psalm 33:9): „Denn er sprach (amar), und es ge­ schah (wayyehi); er befahl, und es stand fest (wayyaa­ mod).“ Wiederum wird durch den Parallelis­ mus der Versteile ein und derselbe Ge­ danke durch einander entsprechende Worte ausgedrückt. Auch hier ist der unmittelbare Wirkungszusammenhang von Wort und Tat im Schöpfungshan­ deln Gottes bezeugt. Hierzu erklärt nochmals Zenger: „Insofern das Schöpfungswort ein Be­ fehlswort ist …, das wie ein altorienta­ lisches Königsedikt geradezu zwangs­ läufig zur Ausführung gelangt …, setzt sich das mit der Schöpfung uploads/Litterature/ stt08-4-piennisch-de.pdf

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