DIE BEDEUTUNG DER PHAIDROSINTERPRETATION FÜR DIE APOKATASTASISLEHRE DES ORIGENE

DIE BEDEUTUNG DER PHAIDROSINTERPRETATION FÜR DIE APOKATASTASISLEHRE DES ORIGENES VON MARIA-BARBARA VON STRITZKY Der Stellenwert, der der Lehre von der Apokatastasis im System des Origenes zukommt, ist von der Forschung in den letzten Jahrzehnten her- ausgestellt und unter verschiedenen Aspekten beleuchtet worden.l Man hat fur den zyklischen, in unendlicher Wiederholung ablaufenden ProzeB des Hervorgehens aus Gott und der R3ckkehr zu ihm stoische Vorstel- lungen von der EK?up(Dcn.<; und der darauf erfolgenden 6iaK6Jpqaig dcr Welt in Anspruch nehmen wollen.2 Dieser Deutungsversuch trifft jedoch nicht zu, denn Origenes bekdmpft die Lehre der Stoa gerade in diesem Punkt, da sonst die Willensfreiheit nicht langer gewahrleistet bliebe.3 Andererseits hat die Forschung gnostische Elemente bei Origenes nach- weisen wollen,4 weil das Schema: ursprungliche Vollkommenheit, Fall und Wiederherstellung das Wesensmerkmal aller gnostischen Systeme darstellt. Aber auch in diesem Fall ist zu beachten, daB Origenes sich energisch gegen jegliche gnostische Richtung wendet, die die Menschen in verschiedene Gruppen einteilt und somit die Willensfreiheit in gleicher Weise aufhebt.5 Es ist ein besonders charakteristischer Zug des gesamten 1 So z.B. bei: E. v. Ivanka, Zur geistesgeschichtlichen Einordnung des Origenismus, By Z 44 (1951) 291-303; A. Méhat, «Apokatastase», Origène, Clement d'Alexandrie, Act. 3,21, VC 10 (1956) 196-214; G. Müller, Origenes und die Apokatastasis, Th Z 14 (1958) 174-190; W. Theiler, Ammonios der Lehrer des Origenes, in: Forschungen zum Neuplatonismus (Berlin 1966) 1-45. 2 Vgl. Chr. Lenz, Art. Apokatastasis, RAC I, 510-516 mit Verweis auf Plut. Comm. not. 1067 A: 3 Origenes, C. Cels. 5,20 = GCS II, 21,23-22,19; 5,21 = GCS II, 22,20-23; 8,72 = GCS II, 288,21-289,10 und De princ. 2,3,4 = GCS V, 119,4-17, vgl. dazu A. Méhat, a.a.O. 198. 4 Z.B. H. Jonas, Origenes' ein System patristischer Gnosis, Th Z 4 (1948) 101-119, und A. Méhat, a.a.O. 199; dagegen E. v. lvanka, a.a.O. 295. 5 De princ. 2.9.5 = GCS V, 168,12-28. 283 origenischen Werkes, daB das Ringen um die Willensfreiheit im Vorder- grund steht. Da Origenes aber nicht losgelost vom Denken seiner Umwelt lebte, ist nicht auszuschlieBen, daB geistige Stromungen, die zu seiner Zeit eine bedeutende Stellung einnahmen, eine Wirkung auf ihn ausubten. Stoa und Gnosis wurden bereits erwdhnt; als ein weiterer Faktor ware die Astrologie zu nennen.6 Es ware jedoch verfehlt, wollte man den EinfluB einer bestimmten Stromung als eine vbllige Abhangigkeit von ihr bestim- men. Gerade Origenes kam es darauf an, durch Auseinandersetzungen mit den verschiedenen geistigen Richtungen den eigenen Standpunkt zu klaren und deutlicher hervortreten zu Im Rahmen dieser Erorterung soll auf einen weiteren Baustein, der das Konzept der Apokatastasislehre mittrdgt, hingewiesen werden. Wenn man seit Origenes unter Apokatastasis die Ruckkehr aller geschaffenen rationabiles naturae zu ihrem Urzustand versteht, so ist der Grund daf3r in der platonischen Komponente - insbesondere in der Interpretation des Phaidrosmythos - zu sehen. Denn obwohl einige Voraussetzungen, von denen Origenes ausgeht, auch schon f3r Markion und Irendus sowie Kle- mens von Alexandrien G31tigkeit besitzen, sind diese doch nicht bereit, daraus auf die Wiederkehr aller Geistwesen zu schliel3en. Diese Konse- quenz, die sich bei Klemens von Alexandrien allenfalls andeutet,7 zieht Origenes aus voller Llberzeugung. Somit wird ersichtlich, daB er einen anderen Weg gegangen ist, der ihm einmal durch die damalige Schul- philosophie wie auch durch den beginnenden Neuplatonismus gewiesen wurde. Diese Moglichkeit visierte zunachst H. Koch an.8 W. Theiler hat dann in verschiedenen Untersuchungen9 das Dunkel, das uber Ammonios Sakkas und dem Sch31erverh£ltnis des Origenes zu ihm liegt, aufgehellt, so daB man nicht mehr auf vage Vermutungen angewiesen ist, und es muBig erscheint, erneut auf diesen Themenkomplex einzugehen. 6 Ps. Pl. Axiochus 370 c 1; C. Herm. 8,4; 11,2, vgl. G. Bien, H. Schwabl, Art. Apokatastasis, Historisches Wörterbuch der Philosophie 1 (1971) 440, und A. Méhat, a.a.O. 213. 7 Strom. 6,9,75,2 in soteriologischer Beziehung: 8 Pronoia und Paideusis, Studien über Origenes und scin Verhältnis zum Platonismus, Arbeiten zur Kirchengeschichte 22 (Berlin 1932). 9 Ammonios und Porphyrios, Entretiens sur l'antiquité classique 12, Porphyre (Vandoeuvres-Genève 1965) 87-123 ; Ammonios der Lehrer des Origenes, in: Forschungen zum Neuplatonismus (Berlin 1966) 1-45, und Die Seele als Mitte bei Augustin und Origenes, in: Untersuchungen zur antiken Literatur (Berlin 1970) 554-563. 284 Aus einem Fragment des Porphyrios, das Eusebios'O bewahrt hat, wissen wir von der Hochschatzung, die Origenes Platon und zeitgenbssi- schen Philosophen verschiedener Richtungen, sowohl Platonikern und Pythagoreern wie auch Stoikern, entgegenbrachte. Wenn die Platonzitate oder Anklange an Platon bei Origenes nicht fber einen bestimmten Rahmen hinausgehen, hat man dabei keineswegs nur an die Benutzung einer Florilegiensammlung zu denken; vielmehr beschrankt er sich auf Texte, die im sog. Mittelplatonismus zum Kanon der Platonlekture ge- worden waren und zu denen auch die Kernsatze des Phaidros gehörten.11 Besonders deutlich ist diese Auswahl im Werk Contra Celsum festzustelien, da eine Entgegnung auf die Einwande des Kelsos ein Heranziehen des Fundus, aus dem jeder Platoniker fur seine Exegese schopfte, notwendig machte.12 Es geht nun darum aufzuzeigen, welche Ansatze zur Entfaltung der Apokatastasisvorstellung Origenes innerhalb der platonisch geprdgten Lehrtradition vorfand, so daB dieser Begriff fiir seine Uberlegungen iiber die ocoinpta und die Eschatologie eine solche Relevanz annehmen konnte. Zunachst muB auf eine wichtige Stelle bei Numenios verwiesen werden, die Porphyrios iiberliefert hat,13 an der der Ausdruck 6xoKa3iJiaJ3ai im Zusammenhang mit einer Allegorie aus der Odyssee (k 122) vorkommt. Dort bedeutet die Heimkehr ins Vaterland fur die Seele die Befreiung aus dem Fall ins Werden. Ahnlich interpretiert Plotin (Enn. 1,6,8,16-21) die Irrfahrten des Odysseus und seinen Aufenthalt bei Kirke und Kalypso (t 29 ff. und K 483-84). Nach seiner Meinung befindet sich das Vaterland da, von wo wir herkamen;14 d.h. er spricht die Ruckkehr der Seele zu ihrem Ursprung an. Dabei gilt es zu bedenken, daB fur den Platoniker das 10 Hist. eccl. 6,19,6ff.: 11 Vgl. H. Dörrie, Vom Transzendenten im Mittelplatonismus, Entretiens sur l'antiquité classique 5 (Vandoeuvres-Genève 1960) 195. 12 Vgl. K. Romaniuk, Le Platon d'Origène, Aegyptus 41 (1961) 44-73. In C. Cels. 5,21 und 42 wird auf die für unseren Zusammenhang wichtigen Sätze Phaedr. 249 ange- spielt. Dazu auch H. Koch a.a.O. 170. 13 Numenios, Frg. 33 (des Places) = 45 (Leemans): Vgl. W. Theiler, Ammonios der Lehrer des Origenes, in: Forschungen zum Neuplatonismus (Berlin 1966) 27 Anm. 48. 14 Enn. 1,6,8,21: 285 Bose im Werden, in der Abfolge der Reinkarnationen, besteht. Sobald sich die Seele aber auf den Weg der aufsteigenden Erkenntnis begibt, entrinnt sie dem Werden und findet sich mit dem Sein konfrontiert, von dem sie ausgegangen bzw. abgeirrt war. Diesen Gedanken verbindet Origenes mit dem Wort des Herrn an Jeremias (Jer. 15,19): tàv tmcr'"C pÉ\j/1] ç, Kai 6xoKaiaJifiJo crE.14a Der wesentliche Unterschied zur platonischen Deutung besteht darin, daB die EjnoTpo(pf) nicht mehr Angelegenheit des Menschen allein ist, vielmehr entspricht dem Wollen des Menschen der Anruf Gottes, der zur tmcr'"Cpo<PTl auffordert. Fiir die Schwierigkeit, die im zweiten Teil der Aussage be- schlossen liegt: Kai d7roKaTacrTf)o(o JE, sieht Origenes die Losung im Sinn der Ruckkehr zum Ausgangspunkt: oubsis 6xoKa3iJiaiai siS wva c6Tcov J..lllõaJ..lroç Tcore yrv6pevog dTTOKaTdoTaotf; E6mv siS Td oiKEia. Diesen Gedanken erlautert er mit einem medizinischen Vergleich vom Einrenken eines Gelenks. Danach spricht Origenes von der Riickkehr eines Verbannten in sein Vaterland und ebenso von der Riick- versetzung eines Soldaten zu seiner urspriinglichen Einheit. Wenn diese Beispiele aus dem taglichen Leben auch zunachst einen Zusammenhang mit den dargestellten Uberlegungen bei Numenios und Plotin nur vage erscheinen lassen, zwingt die Einordnung des Ganzen in das Geschehen von dn:o<7Tpo(pf) und e7TtaTpo(pf) mit dem Ausblick auf die Eschatologie in der Erwahnung von Apg. 3,21 zu der Annahme, dal3 Origenes mit der vordergrundig klingenden Erklarung Tieferes und fur die philosophisch Gebildeten unter seinen Zeitgenossen durchaus Verstandliches sagen will.15 Nach diesem Hinweis auf die platonischen Grundlagen der Worterkld- rung, die Origenes geschickt in die Schriftexegese eingebaut hat, soll einer weiteren Voraussetzung fiir seine Apokatastasislehre nachgegangen wer- den. Betrachtet man die platonischen Mythen, die vom Schicksal der Seele nach dem Tod sprechen, so weisen die Dialoge Gorgias (525 a-526 c), Phaidon (113 e) und Politeia (614 d-616 a) eine Einteilung der Seelen in drei verschiedene Wertklassen auf. Einteilungskriterium ist das ethische 14a Hom. in Jer. 14,18 = GCS III, 124,17. 15 Hom. in Jer. 14,18 = GCS III, 124,27-125,6: ...; vgl. De princ. 2,3,5 = GCS V, 120,19-20: in "restitutione omnium", cum ad perfectum finem universa pervenient ... 286 Verhalten des Menschen wdhrend seines Lebens. Zur ersten Gruppe ge- h6ren diejenigen, die sich um Gerechtigkeit und die 6poioJig 9Ew Kaid TO õuva'"Cóv bemuht haben und daraufhin ihren Lohn im Jenseits erhalten. Die zweite Kategorie wird von den Menschen gebildet, die Verfehlungen begangen haben und dafiir zunachst eine Strafe erdulden mussen, die sie zur Besserung fiihren soll. Als dritte Ordnung erscheinen die Unheilbaren, denen auch Strafen keine Besserung bringen kbnnen. Sie sind unfahig, je wieder aufzusteigen, dienen aber den anderen als abschreckendes Beispiel. Unter einem ganz anderen Aspekt sieht der Phaidrosmythos das Los der Seelen.16 Hier geht es nicht um die auf dem Lebenswandel basierende Einteilung der postmortalen Seelen in drei Gruppen, sondern Phaedr. 248 d-e kennt aufgrund der unterschiedlichen Schau der Seelen wdhrend ihrer Praexistenz eine neunfache Abstufung der moglichen Lebensformen - angefangen vom philosophischen ?3ioS bis hinab zum tyrannischen -, in uploads/Litterature/ maria-barbara-von-stritzky-die-bedeutung-der-phaidrosinterpretation-fuer-die-apokatastasislehre-des-origenes.pdf

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