Martin Hose Der Prometheus-Mythos: Fortschrittsdiskussion in der Antike Der Tit
Martin Hose Der Prometheus-Mythos: Fortschrittsdiskussion in der Antike Der Titanen-Sohn Prometheus1 gehört zu den Schöpfungen des griechischen Geistes, die in die Weltliteratur eingegangen sind2. Er ist der Schöpfer der Menschen, zu deren Gunsten er Zeus bei einem Opfer betrügt; er stiehlt für die Menschen von Hephaist, dem Gott des Schmiede- handwerks, das Feuer und lehrt sie verschiedene Techniken und Künste. Doch die Götter sind darüber erbost. Zeus läßt Hephaist und Athene, so erzählt der frühgriechische Epiker Hesiod3, ein schönes und listiges weibliches Wesen schaffen, Pandora4, die `AllgeberinA - oder `All- begabteA. Hermes bringt Pandora zu Epimetheus, dem Bruder des Prometheus; dieser nimmt sie gegen den Rat des Bruders auf. `EpimetheusA heißt `Nachträglich-BedenkerA. Der Sinn dieses Namens ist recht klar, denn Pandora öffnet den Deckel eines Vorratsgefäßes (in der Rezeption würde eine 'Büchse' daraus werden). Mühsal, Plage und Krankheiten entweichen aus ihm und fallen über die Menschheit her. Einzig die Hoffnung bleibt im Gefäß. Auch an Pro- metheus selbst nimmt Zeus Rache: Er läßt ihn an einen Felsen im Kaukasus schmieden, so stellt es eine dem Aischylos5 zugeschriebene Tragödie, der Gefesselte Prometheus, dar. Erst nach 1 Vgl. insgesamt K. Bapp, Prometheus, in: W. H. Roscher (Hrsg.), Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Bd. 3, Leipzig 1897-1909, 3022-3110. Siehe ferner J.-R. Gisler, Prometheus, in: LIMC VII.1 (1994), 531- 553. 2 Vgl. den Überblick bei Elisabeth Frenzel, Stoffe der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte. Stuttgart, 7. Aufl. 1988, 622-627. Siehe ferner Timothy Wutrich, Prometheus and Faust: The Prometheus Revolt in Drama for Classical Antiquity to Goethe, Westport; London 1995. Eine leicht zugängliche Zusammenstellung der wichtigsten Materialien zur Rezeptionsgeschichte bieten W. Storch, B. Damerau (Hrsgg.), Mythos Prometheus, Ditzingen o.J. (Reclam). Die Verwendung des Mythos als Chiffre für die Frage nach dem Nutzen von `FortschrittA scheint bis in die jüngste Gegenwart ungebrochen, vgl. etwa Friedrich Maier, Prometheisches Feuer - epimetheische Hoffnung. Die Herausforderung der geisteswissenschaftlichen Fächer, Forum Classicum, 43. Jahrgang, 2/2000, 68-75. 3 Werke und Tage V. 42-105. 4 Vgl. zu Pandora und der Rezeption des Motivs Richard Kannicht, Pandora, in: Heinz Hofmann (Hrsg.), Antike Mythen in der europäischen Tradition, Tübingen 1999, 127-151. 5 Auf die Diskussion um die Echtheit des Stückes kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. 2 vielen hundert Jahren kommt Prometheus durch die Hilfe des Herakles frei. In der Rezeption ist Prometheus insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert immer wieder Sinnbild für ein uns heute immer noch ungelöst erscheinendes Problem gewesen, die Frage nämlich, ob der technische Fortschritt, den Prometheus durch den Raub des Feuers und seine Lehren eröffnet, für den Menschen Fluch oder Segen bedeutet. Die Spannbreite der Antworten ist weit: Bei Karl Marx etwa ist Prometheus der 'Töter der Götter', derjenige, der die Menschen lehrt, ihren Weg aus Elend und Not zu einer besseren Zukunft selbst zu finden6. Den anderen Pol bildet z. B. Mary Shelley. Ihr Roman Frankenstein trug 1818 den Untertitel: 'Or the Modern Prometheus'. 6 Vgl. L. P. Wessell, Prometheus Bound: The Mythic Stucture of Marx's Scientific Thinking, Baton Rouge 1984. Bezeichnenderweise wurde aber der Gefesselte Prometheus in den kommunistischen Staaten kaum rezipiert, vgl. dazu W. M. Calder III, Aischylus, Prometheus: A DDR Interpretation, in: R. Faber, B. Seidensticker (Hrsgg.), Worte, Bilder Töne. Studien zur Antike und Antikerezeption, Würzburg 1996, 323-329. 3 Wie steht es aber mit der Bedeutung des Prometheus in der Antike? Der Titan gehört zum griechischen Mythos; sein Name ist wahrscheinlich eine rein griechische Bildung, der `VorausdenkerA. Versuche, ihn auf das Sanskrit-Wort für Feuerholz, pramantha, zurück- zuführen, sind wohl irrig7. Ein Mythos ist nach Walter Burkert8, dessen Konzept ich nur kurz in Erinnerung rufen will, eine traditionelle Erzählung, die eine Anwendungs-Dimension enthält. Ein Mythos begründet und erklärt; er liefert etwa eine Herleitung politischer Ansprüche oder Privilegien, oder er offenbart, verallgemeinernd gesprochen, Strukturen der Welt und des menschlichen Lebens. Nun gibt es keinen Mythos schlechthin, sondern nur spezielle Kon- kretisationen9, also jeweils einzelne Erzählungen oder schriftlich festgehaltene bzw. künstlerisch geformte Versionen. Nur der zweite Typus ist uns heute zugänglich. Infolge der Basis-Eigen- schaft des Mythos, 'anwendungsbezogene' Facetten zu entwickeln, liefert jede Konkretisation Aufschlüsse darüber, welche `allgemeinen AktualitätenA10 in der Gegenwart des Erzählers oder Schriftstellers als in diesem Medium verhandlungswürdig erscheinen konnten. Der Prometheus- Mythos ist in diesem Zusammenhang besonders interessant, weil er um die Entstehung der menschlichen Kultur kreist. Man kann an ihm eine mentalitätsgeschichtlich bedeutsame Fra- gestellung untersuchen, nämlich wie Menschen Veränderungen wahrnehmen und sich zu ihnen verhalten. Gerade eine neuzeitliche Interpretationskategorie - der 'Fortschritt' -, die bekanntlich im engeren Sinne der Antike fremd ist11, kann dabei bei der gebotenen methodischen Vorsicht 7 Siehe zusammenfassend Bapp 3033/4. Zu möglichen Anleihen der Prometheus- Geschichte bei mesopotamischen Mythen siehe Stefanie West, Prometheus Orientalized, Museum Helveticum 51, 1994, 129-149, die die Parallelen zu den Traditionen über Ea bzw. Enki herausarbeitet. 8 Siehe zuletzt Walter Burkert, Antiker Mythos-Begriff und Funktion, in Hofmann, Antike Mythen 11-26. 9 Auf die Frage des Verhältnisses zwischen sprachlicher und bildlicher Repräsentation eines Mythos in archaischer Zeit gehe ich nicht ein. 10 Begriff nach Burkert, Antiker Mythos 21. 11 Siehe hierzu E. R. Dodds, The Ancient Concept of Progress, in: ders., The Ancient Concept of Progress and other Essays on Greek Literature and Belief, Oxford 1973, 1-25; Christian Meier, Ein antikes Äquivalent des Fortschrittsgedankens: Das `Könnens-BewußtseinA des 5. Jhdts. v. Chr., in: ders., Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt 1980, 435-499. Vgl. ferner Verf., Der alte Streit zwischen Innovation und Tradition. Über das Problem der Originalität in der griechischen Literatur, in: Jürgen Paul Schwindt (Hrsg.), Zwischen Tradition und Innovation. Poetische Verfahren im Spannungsfeld Klassischer und Neuerer Literatur und Literaturwissenschaft, 4 durchaus auch an antiken Quellen verwendet werden. Ich habe nun vor, im folgenden vornehm- lich drei Behandlungen des Prometheus-Mythos zu untersuchen, nämlich seine Präsentation bei Hesiod, bei Platon und bei Aelius Aristides. Diese Texte bieten zugleich einen Zugriff auf drei verschiedene Epochen der griechischen Kultur, die Archaik, die Klassik und die Kaiserzeit; mein Vortrag versucht daher an einem exemplarischen Bereich, ein Stück griechischer Kultur- geschichte nachzuzeichnen. München; Leipzig 2000. Neben Homer ist Hesiod der zweite Epiker der Archaik, von dem wir vollständige Werke besitzen. Bereits seit der Antike streiten sich die Philologen in der Frage, wem von beiden die Priorität gebührt, also ob Homer an das Ende des 8. Jhdts. und Hesiod an den Beginn des 7. Jhdts. gehört - oder umgekehrt. Eine Antwort auf diese Frage ist nicht zuletzt deshalb schwierig, weil die beiden Dichter verschiedene Formen epischer Dichtung schufen: Homer verfaßte mit Ilias und Odyssee Heldenepen, Hesiod mit der Theogonie und den Werken und Tagen etwas, was man zusammenfassend `LehrgedichteA nennt. Die Theogonie (`EntstehungA - oder `Geburt der GötterA) entfaltet den griechischen Götterhimmel in genealogischer Form: Von Chaos und Gaia bis zu den mythischen Helden, die als Söhne oder Töchter aus der Verbindung von Göttern mit sterblichen Frauen stammen, stellt Hesiod einen gewaltigen Zusammenhang her; eine Art präphilosophischer und pränaturwissenschaftlicher Ordnung der Welt wird so von ihm geleistet. Im Rahmen dieses Systems hat auch Prometheus einen genau bestimmten Platz: Gaia, die Urmutter der Götter, gebiert dem Uranos, dem alles umspannenden Himmel, ganze Generationen von Göttern, darunter die Titanen Japetos und Hyperion (V. 134). Japetos hat von der Okeanos- Tochter Klymene vier Söhne: Atlas, Menoitios, Prometheus und Epimetheus. Alle vier widersetzen sich Zeus und werden von ihm schwer bestraft. Menoitios trifft der Blitz des Zeus, Atlas muß den Himmel tragen und Prometheus wird an einen Fels geschmiedet, wo täglich ein Adler seine stets nachwachsende Leber frißt (V. 507-532). Darauf folgt ein Referat über die Ursache den Zorn des Zeus. Prometheus hatte den Göttervater bei einem Opfer zugunsten der Menschen betrogen, doch der rächte sich: 5 Unaufhörlich seit dieser Zeit des Truges gedenkend, weigerte der dem Holz der Eschen, ein Feuer zu brennen, um den sterblichen Menschen, den Erdbewohnern, zu schaden. Aber der tapfere Sohn des Japetos konnte ihn täuschen: raubte des ewigen Feuers weithin leuchtende Flamme in einem hohlen Rohr. Da stieg ihm die Galle zu Herzen, Zeus, dem Donnerer, tief getroffen vom Biß der Verletzung, sah er doch unter den Menschen das weithin leuchtende Feuer.12 (V. 562-69). Der Zeus der Theogonie läßt daraufhin Hephaist und Athene ein `Unheil für die Menschen zur Vergeltung für das FeuerA (V. 570) anfertigen, nämlich ein reizendes, schönes junges Mädchen. Das, so Hesiod, war jedoch für die Menschen ein schrecklicher, undurchschaubarer Betrug: stammt doch von ihr das Geschlecht der allzu zarten Frauen, ja von ihr das böse Geschlecht und die Stämme der Frauen, die als großes Leid bei den sterblichen Männern wohnen, die nicht verzehrende Armut (mit den Männern) gemeinsam tragen, sondern nur Reichtum. (V. 590-94) 12 Die hier und im Folgenden gegebenen Hesiod-Übersetzungen entstammen Hesiod, Theogonie. Werke und Tage, griechisch und deutsch, hrsg. u. übers. von A. von Schirnding, München; Zürich 1991. Zeus schickt den Menschen - d. h. hier: den Männern - einen Frauen-Typus zur Strafe, den man in Anlehnung an ein bekanntes Lied der amerikanischen Pop-Sängerin Madonna als `material girlA bezeichnen könnte. Aber nicht nur das; denn Hesiod fährt fort: Wer, die Ehe zu fliehen und das gräßliche Treiben der Frauen sich nicht zur Heirat entschließt, der bleibt, wenn das uploads/Geographie/ kultur-promet-hues.pdf
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