Vili. Beiträge zur griechischen Rechtsgeschichte. Von Herrn Professor Dr. Heinr

Vili. Beiträge zur griechischen Rechtsgeschichte. Von Herrn Professor Dr. Heinrich Swoboda in Prag. I. Kritisches zur Achtung. AVenn ich an dieser Stelle eine wichtige Frage aus dem griechischen Strafrecht, die auch für die politische Geschichte von nicht geringem Interesse ist, bespreche, nämlich die Achtung, so ist dafür zunächst ein, wenn ich so sagen darf, persönlicher Grund maßgebend; ich habe seinerzeit, soviel ich weiß zum erstenmale, auf die Stellung dieser Strafe im griechischen Recht, auf ihr Alter und die Art, wie sie ver- hängt wurde, kurz auf die wichtigsten Fragen, welche sich an sie knüpfen, hingewiesen.1) Dieselben vollständig zu erledigen, war bei der Beschränkung, welche mir der Zweck meiner Abhandlung auferlegte, unmöglich (sie war in erster Linie der Untersuchung einer geschichtlichen Episode ge- widmet); und Arbeitsverpflichtungen anderer Natur machten den Wunsch zunichte, auf das mir nicht zum mindesten durch die Diskussionen, die sich an meinen Aufsatz knüpften, stets interessant gebliebene Thema zurückzukommen. Um so dankbarer begrüße ich es, daß ein jüngerer Fachgenosse, Paul Usteri, sich entschloß, die Achtung im griechischen Rechte in größerem Zusammenhang zu behandeln2), wobei er, wie er selbst hervorhebt, von meiner Untersuchung An- regung und Ausgang genommen hat. Eines der wichtigsten ') In meiner Abhandlung ,Arthmios von Zeleia', Arehäol. epigraph. Mitteilungen aus Österreich-Ungarn XVI 1893, 49 ff. — 2) Paul Usteri, Achtung und Verbannung im griechischen Rechte. Berlin, Weidmann 1903. Brought to you by | Nanyang Technological University Authenticated Download Date | 6/1/15 4:37 AM 150 Heinrich Swoboda, Ergebnisse, zu welchen ich kam, war, daß der Ausdruck άτιμος im attischen Recht in älterer Zeit nicht die Bedeu- tung ,ehrlos', sondern ,rechtlos (vogelfrei)' gehabt habe; ich konnte einige Fälle in der Geschichte feststellen, für welche dies galt. Während ich mich im Zusammenhang mit meinen sonstigen Ausführungen der Hauptsache nach auf das attische Recht beschränken mußte, ist Usteri der Achtung im grie- chischen Rechte überhaupt nachgegangen und hat sich dann im speziellen bemüht, noch eine größere Zahl von Fällen, sowohl in Athen als in den übrigen griechischen Staaten, aufzuzeigen, in welchen, wie er glaubt, άτιμος in der von mir postulierten Bedeutung zu verstehen sei. Es braucht nicht bemerkt zu werden, daß durch diese breitere Grundlage, wenn sie richtig ist, auch unsere Ansichten über die Anwendung der Achtung und über die Art, wie sie ver- hängt wurde, Berichtigungen erfahren müssen. Anderseits hat Usteri darauf aufmerksam gemacht, daß einige Fälle, für welche ich ebenfalls Achtung annahm, von mir mit Un- recht herangezogen wurden und daher auszuscheiden sind.1) Bei der Wichtigkeit, welche Usteris Annahmen sowohl in juristischer als in geschichtlicher Hinsicht zukommt und dem Umstände, daß seine Arbeit von großer Solidität zeugt, wird es geraten sein, sie einer Nachprüfung auf die Halt- barkeit ihrer Ergebnisse hin zu unterziehen.2) Es ist dabei ') Um diese Dinge gleich vorwegzunehmen, so halte ich jetzt mit Usteri (S. 32) für sicher, daß gegen Philon und Stratokies nach der bekannten Urkunde von Amphipolis (Dittenberger Syll. 2 113) Verban- nung, nicht Acht ausgesprochen ward, und daß in der Strafandrohung des Dekrets der Nasioten (Michel, Bec. d'inscr. grecques η. 363 = Solmsen, Inscr. graecae ad inlustr. dialectos selectae n. 7 = Dittenberger, Orientis gr. inscr. sel. I 4) b Z. 39ff. (Z. 92 ff.) άτιμος in der Bedeutung von ,capite deminutus' zu verstehen sei. Auch darin, daß die An- hänger des Isagoras in Athen nicht geächtet, sondern als Hochverräter gerichtet wurden, hat Usteri (S. 52ff.) gegen mich recht. — 2) Von den mir zur Kenntnis gekommenen ausführlichen Rezensionen von Usteris Buch beschäftigt sich diejenige von Erich Ziebarth in der Wochenschrift f. kl. Philol. 1904, nr. 22, Sp. 593ff. vorzugsweise mit dessen zweitem Teil, der von der Verbannung handelt. Thalheims Rezension (Beri, philol. Wochenschrift 1904, nr. 36, Sp. 1138ff.) ist nur berechtigt, insoweit sie Usteris Übertreibungen trifft; in dem Sonstigen, besonders in seiner Anschauung, daß άτιμος nicht .geächtet' bedeutete, Brought to you by | Nanyang Technological University Authenticated Download Date | 6/1/15 4:37 AM Beiträge zur griechischen Rechtsgeschichte. 151 Pflicht hervorzuheben, daß diese kritische Betrachtung nur dadurch möglich wurde, daß üsteri das Material in mög- lichster Vollständigkeit zusammengebracht hat. Meine nächste Aufgabe ist es, festzustellen, ob die weiteren Fälle von Äch- tung, welche Usteri über meine Ergebnisse hinaus annahm, wirklich als solche anzusehen sind oder es sich um eine andere Strafe handelt. Naturgemäß wirkt die Entscheidung darüber zurück auf die allgemeinen Fragen, welche sich auf die Achtung beziehen und auf die ich meine Prüfung gerne ausdehne — um so lieber, als Usteri mir gerade in dieser Beziehung manchmal fehlgegriffen zu haben scheint und sich anderseits mir die erwünschte Gelegenheit bietet, einige meiner früheren Aufstellungen weiter auszuführen und umfassender zu begründen. Am wichtigsten erscheint mir für die Erkenntnis der Fälle, in welchen die Atimie zur Anwendung kam, die präzise Feststellung der Terminologie; und nach dieser Rich- tung hin liegt, wie ich glaube, die Hauptschwäche von Usteris Argumentation, der ohne weiteres und viel zu häufig für άτιμος die Bedeutung ,vogelfrei' annimmt. Es ist zuzu- geben, daß in älterer Zeit der Begriff der Atimie weiter war als später und ich halte noch heute an meiner früheren Aufstellung fest, daß unter den άτιμοι im Restitutions-Edikte" Solons (Plut. Sol. 19) die verurteilten Verbrecher, die am- nestiert wurden, schlechthin zu verstehen seien. Die älteste Bedeutung von άτιμος ist jedesfalls, wie ich ebenfalls schon früher (a. a. 0 . 64ff.) bemerkte, ,rechtlos (friedlos)', ,vogel- frei' gewesen. Gegen meine damals ausgesprochene An- sicht, daß άτιμος τε&νάτω dahin zu erklären sei, daß der davon Betroffene getötet wurde ,ohne Strafe', ohne daß der Mörder die übliche Buße zu erlegen hatte, und daß die ursprüngliche Bedeutung von ατιμία nicht der Verlust der bürgerlichen Ehre gewesen sei, der jemandem angedroht ward, sondern die Straflosigkeit für denjenigen, der den Geächteten niederschlägt1), hat Kaibel sprachliche Bedenken sondern nur den ,Verlust des Anspruchs auf den Schutz der Gesetze' für den Betreffenden, kann ich sie nur als ,irreführend' ansehen. ') Inzwischen ist, wie ich zu meiner Genugtuung sehe, 0. Schräder (Reallexikon der indogerman. Altertumskunde 836) unabhängig von Brought to you by | Nanyang Technological University Authenticated Download Date | 6/1/15 4:37 AM 152 Heinrich Swoboda, erhoben1), und auch mein verstorbener Freund Ferdinand Dümmler hat sich mir gegenüber brieflich in ähnlichem Sinne dahin ausgesprochen, daß es kein Beispiel für die Gleichsetzung von ατιμον mit ά&ωον, απατον, νηποινεί gebe. Auf den Einwurf Kaibels, daß das Adverb statt des Adjek- tivs stehen müßte, war ich allerdings von seiten eines so her- vorragenden Kenners der griechischen Sprache nicht gefaßt: der Gebrauch des Adjektivs an der Stelle adverbialer Aus- drücke im Griechischen — gerade auch um die Art und Weise auszudrücken — ist eine zu bekannte Erscheinung, als daß er hier irgendwie befremden könnte.2) Anderseits bin ich heute in der Lage, darauf hinzuweisen, daß bei Homer άτιμος in der von mir angenommenen Bedeutung einmal vorkommt. In der Odyssee π 431 ff. macht Pene- lope dem Antinoos den Yorwurf του [des Odysseus] νυν οίκον ατιμον εδεις, μνάα δε γυναίκα παΐδά τ' αποκτείνεις, εμε δε μεγάλως άκαχίζεις. Schon Eusthatius (vgl. Ebeling, Lexikon Homer, s. u.) hat bemerkt, daß ατιμον hier die Bedeutung von προίκα, δωρεάν, μη καταβαλών τιμήν δ εστι τίμημα των εο&ιο μένων haben müsse ; der zitierte Satz ist also zu übersetzen : ,Dessen Haus Du ohne Ersatz aufzehrst'. Die Erklärung von άτιμος in dem anderen Sinn, wie es noch bei Homer vorkommt, mir — er scheint meine Arbeit nicht zu kennen — zu einer ganz ähn- lichen Ansicht gekommen. *) Stil und Text der Πολιτεία 'Αθηναίων des Aristoteles 164, 1: ,Von einem so Geächteten heißt es, νηποινεί τεϋνάτω und in den Mord- gesetzen (Dem. 9, 44) άτιμος τεϋνάτω. Letzteres faßt Swoboda genau in dem Sinne des νηποινεί. Aber abgesehen davon daß es mindestens άτιμεί, άζημιεί heißen müßte, so kann doch kein Mensch aus dem bloßen ατιμία oder άτιμος εοτω dasselbe herauslesen.' Über letztere Einwen- dung später. — "-) Ygl. Kühner, Ausführliche Grammatik der griech. Sprache 2 II 284ff. Mein Kollege Erich Berneker, welcher mit meiner Auffassung von ατιμία ganz einverstanden ist, erinnert daran, daß diese Setzung des Adjektivs für das Adverb in den indogermanischen Sprachen überhaupt, speziell in den älteren Perioden und infolge davon auch später noch in erstarrten formelhaften Wendungen üblich ist und ver- weist mich dafür auf Brugmann, Griech. Grammatik 3 § 482 (in Iwan Müllers Handbuch der klass. Altertumsw. II 1), B. Delbrück, Vergi. Syntax der indogerm. Sprachen I § 206 (S. 453) und Miklosich, Vergi. Grammatik der slavischen Sprachen 2 IV 16. Brought to you by | Nanyang Technological University Authenticated Download Date | 6/1/15 4:37 AM Beiträge zur griechischen Rechtsgeschichte. 153 ,ηοη honoratus, contemtus', ,unehrenhaft, verachtet', oder die willkürliche Gleichsetzung von οίκον ατιμον mit άτιμηϋέντα (,Du verzehrest sein Haus, so daß es verunehrt werde') ver- dirbt den Sinn der ganzen Stelle.1) Parallelen aus der Ausdrücksweise anderer Sprachen werde ich später bei- bringen; das Mitgeteilte dürfte aber schon jetzt genügen, um die Bedenken zu entkräften, welche gegen die von mir vorgeschlagene Etymologie vorgebracht wurden. Daß auch die Geschichte des Strafmittels, wie sie sich mir und Usteri ergeben hat, für die älteste Bedeutung der Atimie als Acht spricht, wird meine darauf bezügliche Darlegung zeigen. Anderseits geht aber aus uploads/Geographie/ swoboda-beitraege-zur-griechischen-rechtsgeschichte.pdf

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