Herbert Gottschalk DER ABERGLAUBE - Wesen und Unwesen - 1. ABERGLAUBE – STIEFKI

Herbert Gottschalk DER ABERGLAUBE - Wesen und Unwesen - 1. ABERGLAUBE – STIEFKIND DER VERNUNFT Obgleich wir Menschen unser Dasein mit den Maßen der Vernunft messen, geistert Aberglaube durch unser Leben. Es gab Situationen, in denen er Weltgeschichte machte. Er ist alt wie die Kulturmenschheit und groß wie die Angst unseres Herzens. Viele von uns lachen über den Aberglauben und spielen zugleich wie Kinder damit. Sie meinen vor ihm sicher zu sein, und doch sind die meisten Menschen im letzten Winkel ihrer Seele abergläubisch. Sie reden abfällig über ein Zeitungshoroskop und lesen es trotzdem. Sie klopfen dreimal gegen Holz, um das Schicksal zu berufen, hängen ein Maskottchen ins Auto, um Unfälle abzuwenden, stellen sogenannte Erdentstrahler unters Bett, um besser schlafen zu können, und bevorzugen oft den Wunderdoktor vor dem ordentlichen Arzt. Sie fürchten sich vor der schwarzen Katze, vor der Zahl 13, drücken jemandem die Daumen, wünschen ihm Hals und Beinbruch. Das vierblättrige Kleeblatt, der Schornsteinfeger und das Hufeisen sind ihnen Zeichen des Glücks. Und dabei sind das noch die harmlosesten Formen modernen Aberglaubens. Man könnte fast von konventionellen Gewohnheiten reden, käme es auf bestimmte äußerliche Verrichtungen und nicht auf die dahinterstehende seelisch geistige Haltung an. Es genügt nicht, daß der moderne Mensch im allgemeinen zwischen Glauben und Aberglauben unterscheidet. Man wird immer wieder feststellen können, daß der Glaube des einen dem anderen als Aberglaube erscheint und umgekehrt Aberglaube für Glaube gehalten wird. Die Grenzen verschieben sich. Wo ist der gültige Maßstab zu finden? Man sollte meinen, daß er im letzten Stand wissenschaftlicher Erkenntnis liegt. Das mag für den vernünftig Denkenden stimmen. Aber nur ein kleiner Teil der Menschen weiß trotz aller Publikationsmittel über die Wahrheit der Wissenschaft als ständiger Selbstkorrektur des Lebens Bescheid. Und auch diese richten sich in ihrem persönlichen Leben nur selten nach der Theorie wie wenig erst die anderen. Der Mensch ist eben kein reines Vernunftwesen. Er hat unbewußt alles in sich zu verarbeiten, was die Überlieferung auf ihn gehäuft hat. Dazu gehört auch das Erbe der Seele. Aus der Psychologie wissen wir, daß die seelische Entwicklung beim einzelnen nie mit den Erkenntnissen der Vernunft Schritt hält. Das Unbekannte, Untergründige und Naturhafte der Primitivperson hält uns mit starken Stricken am Menschlich Allzumenschlichen, das sich durch die Jahrtausende stets wiederholt, mag es in noch so verschiedene Gewänder gekleidet sein. Andernfalls hätten wir kaum noch Konflikte. So aber liegt der Mensch beständig mit sich selbst im Kampf. Und je nach seiner inneren Überwindungskraft bewältigt er die Probleme. Daraus ergeben sich die unzähligen Meinungen, die nie auf einen Nenner gebracht werden können. Darum leben unter uns längst vom Wissen überholte Standpunkte neben modernen, oft in ein und derselben Persönlichkeit verkörpert. Man könnte sagen: Vernunft schützt nicht vor Aberglauben. Sie hindert den einzelnen nicht, an das eine oder das andere zu glauben. Leider aber wirkt der Aberglaube ansteckend. Seine kritiklosen Vertreter führen die Menschen irre, machen ihr tägliches Leben von Hirngespinsten abhängig, schädigen Besitz und Gesundheit und untergraben selbst das Ansehen der Wissenschaft. Manch einer wird solche Worte denn doch für zu hart halten. So ein bißchen Spielerei mit dem Wochenhoroskop sollte jemandem schaden? Für sich selbst hat er sogar vielleicht recht. Aber das ist nur ein harmloser Anfang. Der Weg führt uns im folgenden von den kleinen Gesellschaftsspielen bis zu den Abgründen des Wahns, die immer wieder unschuldige Menschenleben forderten. 2. Der Aberglaube im Alltag Im allgemeinen ist es uns gar nicht bewußt, wie sehr das Alltagsleben mit alten abergläubischen Bräuchen durchsetzt ist. Wir geben ihnen trotz Vernunft und Logik fast unbewußt nach, oft ohne den ursprünglichen Sinn noch zu kennen. Wer eine Entscheidung nicht selbst treffen möchte, bedient sich einer Münze als Orakel. Kopf oder Adler heißt es dann. Vorher wird ausgemacht, was man als Kopf und was als Adler gelten lassen will. Das Geldstück wird in die Luft geworfen, die Seite, auf die es fällt, entscheidet. Man kann eine Entscheidung auch durch das Ziehen eines Loses herbeiführen. Schon die Gladiatoren im alten Rom bestimmten die Art ihres Kampfes durch das Los. Heute werden meistens verschieden lange Streichhölzer als Lose verwendet. Wer das längere Streichholz zieht, hat den Vortritt oder hat gewonnen. Wenn wir jemandem Hals und Beinbruch zum Gelingen wünschen, wollen wir die neidischen Dämonen überlisten. Wer sie herbeiruft, gewinnt ihre Sympathie. Da Dämonen dumm sind, merken sie nicht, daß sie angeführt werden. Wer mit dem linken Fuß aufsteht, setzt sich den ganzen Tag über dem Verdruß aus. Bei den frühen Völkern wurde schon immer links mit falsch und ungünstig gleichgesetzt. Jemandem die Daumen halten bedeutet ihm Erfolg wünschen. Der Daumen als Glücksfinger beschützt die übrigen vier Finger, wenn man ihn darüber einschlägt, wie man es bei diesem Ausspruch zu tun pflegt. Den vier Fingern kann also nichts Böses geschehen. Nach einer lobenden Äußerung muß man dreimal auf Holz klopfen, damit Unglück abgewendet wird. Denn wenn die neidischen Dämonen auf das Glück des Menschen aufmerksam werden, versuchen sie es zu verhindern. Böse Geister scheuen den Lärm, daher verscheucht sie das Klopfen. Auf diesen Dämonenaberglauben gehen auch die Böller in der Silvesternacht, der Polterabend vor den Hochzeiten und der Kanonendonner zurück, der etwa bei der Geburt eines Königssohnes üblich ist und auch bei Staatsempfängen eine Rolle spielt. Das Stolpern hat einen bösen Beigeschmack. Wer stolpert, soll umkehren, besagt eine alte Redensart. Gemeint war das Stolpern über die Hausschwelle, unter der die Ahnen hausen. Dadurch kann der »Hausgeist« verärgert werden und sich rächen, indem er Mißerfolge herbeiführt. Wer den bösen Blick besitzt, bringt jedem Unheil, den er ansieht. Dieser Aberglaube ist vor allem im Orient, aber auch in Italien und Frankreich weit verbreitet. Eine Braut darf sich auf dem Weg zur Trauung nicht umblicken, da die bösen Geister hinter ihr hergehen. Ihnen ins Gesicht zu sehen, bringt Unglück. Ein vierblättriges Kleeblatt erinnert an ein Kreuz und gilt daher als Zeichen des Glücks. Auch der Schornsteinfeger bringt Glück, ein Aberglaube, der mit der glückbringenden Bedeutung des Herdes zusammenhängt. Wer einem Hasen eine Pfote abschneidet und sie in sein Haus hängt, der ist vor Unglück und Unfruchtbarkeit sicher. Denn der Hase als heiliges Tier der Venus wehrt vor allem Unfruchtbarkeit ab. Spinne am Morgen bringt Kummer und Sorgen, heißt es im Volksmund. Dabei ist der Ausspruch nicht auf die Spinne bezogen, sondern auf das Spinnen. Wer schon am Morgen am Spinnrad sitzen muß, dem geht es nicht gut. Später wurde dieser Spruch auf Spinnen im Sinne von Spintisieren bezogen. Wer schon am Morgen grübelt, darf keinen guten Tag erwarten. Spinnen am Abend dagegen, zumal im geselligen Kreise, verspricht Freude und Entspannung. Maikäfer bringen Glück, erzählen noch heute die Eltern ihren Kindern. Marienkäfer tragen auf ihrem Rücken sieben Punkte, die sich zur heiligen und glückbringenden Zahl Sieben vereinigen. Sie sind daher Vorboten des Gelingens. Wenn ein Käuzchen schreit, ist's zum Sterben nicht mehr weit, besagt ein alter Volksspruch. Er entstand zu einer Zeit, als die Menschen mit den Hühnern zu Bett gingen und nur diejenigen wachten, die etwa einen Kranken zu pflegen hatten oder selbst krank waren. Daß Käuzchen vom Licht angezogen werden, wußte man damals noch nicht. Salz verschütten bringt Unglück. Da in alten Zeiten das Salz wegen seiner Seltenheit als etwas Besonderes galt, mußte damit sparsam umgegangen werden. Im Orient wird es noch heute als heilig angesehen. Eine Schere darf man nicht verschenken, denn sie zerschneidet die Freundschaft. Sie ist ein Werkzeug der Hexen. Glück im Spiel, Unglück in der Liebe, prophezeit ein oft zitierter Ausspruch. Er wird verständlich, wenn man bedenkt, dag derjenige, der sich dem Spiel hingibt, wohl nur wenig Zeit für die Liebe haben dürfte. Wer einen Spiegel zerschlägt, hat sieben Jahre Pech. Denn er hat seine »zweite Erscheinungsform« vernichtet. Die Glückszahl Sieben hebt sein Pech wieder auf. Befindet sich ein Toter im Hause, müssen Spiegel verhängt werden, da der Tod, der durch das Spiegelbild doppelt anwesend ist, sonst noch ein zweites Opfer fordern könnte. Scherben bringen Glück, denn das Klirren vertreibt die Dämonen und Kobolde. Glück bringen auch Hufeisen. Sie werden mit Vorliebe vor dem Eingang eines Hauses und selbst auf der Kühlerhaube eines Autos angebracht. Die Glücksindustrie unserer Tage liefert solche Hufeisen in jeder gewünschten Größe. Ihre Bedeutung ist alt. Sie geht auf die Zeiten zurück, als den Germanen das Pferd noch heilig war. Außerdem symbolisiert Eisen Kraft und die Form des Hufeisens das Mondhorn. Maskottchen in unseren Autos ersetzen die einstigen Teufelsfratzen, die den Dämonen Angst machen sollten. Wenn Bilder von der Wand fallen, die Personen darstellen, ist es gefährlich, in dem Hause zu bleiben. Denn der Tod geht um. Bei manchen Völkern glaubt man daran, dag die Toten in die Bilder einziehen oder dag Bilder von Todesbringern bevölkert werden. Perlen bedeuten Tränen, weil sie den Tränen so ähnlich sehen, Der Speichel galt von jeher als Gegenzauber. Auch das »Toi, toi, toi! « gehört hierher. Es gilt als die Lautnachahmung des Spuckens. Wer etwa schon vom Unheil betroffen ist, kann es damit wieder ausstoßen. Im Allgäu soll es Bäuerinnen geben, die aus diesem Grund auf alles spucken, was sie weggeben, auch auf ihr Obst, das sie auf den Markt bringen. Selbst Briefe, die Erfolg uploads/Litterature/ aberglaube-magie-reiki-tarot-karten-wahrsager-astrologie-zauberei-wunder-religion-esoterik-phi-lo-sophie-bibel-jesus-gott-glaube-religion.pdf

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