/ Enzyklopädie der Neuzeit Online Barock (6,655 words) 1. Einleitung Der BegriƦ
/ Enzyklopädie der Neuzeit Online Barock (6,655 words) 1. Einleitung Der BegriƦf des B. dient zur Bezeichnung einer Teilepoche innerhalb der Nz., die in ihren speziƧƬschen ästhetischen und kulturellen Merkmalen in den Bereichen Kunst, Literatur und Musik auf wiss. Vereinbarungen beruht. Der B.-BegriƦf ist folglich keine aus der Epoche gewonnene Bezeichnung (wie z. B. Renaissance, AuƥƵlärung oder Romantik), sondern eine nachträglich im Bereich der Wissenschaft entstandene zeitliche und inhaltliche Konstruktion, um Werke der Kunst, Literatur und Musik und ihre speziƧƬschen Gestaltungen im Zeitraum vom späten 16. bis zum späten 18. Jh. zu charakterisieren. Insbes. die Frage, ob in den Künsten von einem B.-Stil gesprochen werden könne, wird kontrovers diskutiert und auch zu keiner eindeutigen Bestimmung zu führen sein. Dennoch ist nicht nur eine wiss., sondern auch eine kulturhistor. Gegenwärtigkeit und Vitalität des BegriƦfs B. zu konstatieren, die aus dem Bereich der Künste ausstrahlt. Wissenschaftshistorisch gingen die Bestimmungsversuche von der Kunstgeschichte aus, wobei es um die Erfassung von Normen und Formen ging, um überindividuelle Stil-Typologien zu gewinnen, die auch abgelöst von Namen zu Epochenkriterien verhelfen sollten. Als Resultat einer langen kritischen BegriƦfsdebatte kommt in den Disziplinen entsprechend einer sachlichen DiƦferenzierung mittlerweile kein statischer B.-BegriƦf zur Anwendung. Ulrich PƧƬsterer 2. Kunst 2.1. DeƧƬnition, BegriƦfs- und Forschungsgeschichte Der kunsthistor. Stil- und EpochenbegriƦf des B. umfasst den Zeitraum von ca. 1580/1600 bis 1760/80. Während dieser Jahre wurden die neuen, die vorausgehende Renaissance bzw. den Manierismus ablösenden Stilformen sukzessive – zunächst ausgehend von Italien – in ganz Europa und dessen Kolonien adaptiert und weiterentwickelt, bevor sie vom Klassizismus Article Table of Contents 1. Einleitung 2. Kunst 3. Literatur 4. Musik / abgelöst wurden. Allerdings erweist sich der deƧƬnitorisch-explikative Wert des Terminus B. zunehmend als fraglich: Umfasst werden soll damit ein derart weiter chronologischer, geographischer, politischer, geistes- und kulturgeschichtlicher Bereich mit teils so divergierenden Kunstprodukten, dass diese untereinander kaum noch vergleichbar bzw. auf einen Generalnenner reduzierbar scheinen. Darüber hinaus lassen sich eine Reihe von Phänomenen der B.-Kunst als ungebrochene Fortsetzung von Phänomenen des 16. Jh.s verstehen, zumal sich einige Künstler (v. a. der Jahre um 1600) selbst explizit in der Tradition der Renaissance sahen. Nicht endgültig geklärt ist andererseits, ob die letzten Jahrzehnte des Zeitraums als eigenständige Epoche des Rokoko (ca. 1715/30–1750/70) abzugrenzen sind oder ob Rokoko nur als Spezialform des (Innenraum-)Dekors zu verstehen ist. Schließlich sind auch heute noch die Altlasten der im späteren 18. Jh. einsetzenden BegriƦfs- und Forschungsgeschichte mit einseitigen Vorstellungen von überbordender Sinnlichkeit und Regellosigkeit, von Prunk und überwältigendem Pathos als den »eigentlichen Wesenszügen« des Barocken nicht ganz beseitigt. Angesichts dieser Vorbehalte verzichten neuerdings manche Kunsthistoriker ganz auf den BegriƦf B., um im großen Rahmen der Frühen Nz. diƦferenziert Entwicklungen, Traditionen und Neuerungen analysieren zu können [14]. Geprägt wurde der BegriƦf B. um die Mitte des 18. Jh.s zur negativen Charakterisierung einer vermeintlichen Verfallserscheinung (ähnlich wie zuvor schon »Gotik« und »Manierismus«), denn als solche mussten J. J. Winckelmann und seinen – AuƥƵlärung und klassizistische Stilideale verfechtenden – »bürgerlichen« Zeitgenossen die gerade überwundenen, von Adel und Kirche beherrschten Kunstformen v. a. der ersten Hälfte des 18. Jh.s erscheinen. Auch wenn die Etymologie des Wortes B. nicht eindeutig geklärt ist – in Frage kommt eine Ableitung vom portug./span. barocco, barrueco/berrueco für eine schief gewachsene Perle bzw. eine unregelmäßige Gesteinsformation, von ital. Termini für spitzƧƬndige logische SchlussƧƬguren bzw. Wucherzinsen (barocco/baroccolo/barocchio) oder aber von der Bezeichnung skurriler Einfälle in der Literatur –, so liegt doch allen diesen Vorschlägen ein gemeinsames Bedeutungsfeld des Unklassischen, teils Regelwidrigen, des Gewollt-Ingeniösen bis hin zum Lächerlich-Verzerrten, des Überbordend-Vielfältigen, des Sinnlich-Materiell-Prunkvollen und zugleich des Täuschenden zugrunde. Diese Einschätzung, die den B. nur als Dekadenz und »verwilderte[n] Dialekt« ( J. Burckhardt) der Normen der Hochrenaissance und damit indirekt der Antike begriƦf (und deshalb den B. auch schon mit Michelangelo beginnen lassen konnte), erfuhr erst mit den Arbeiten von C. Gurlitt und insbes. H. WölƦƥƷin eine Korrektur. Präsentierten Gurlitts Bände zur B.-Architektur Italiens (1887), denen Arbeiten zu Deutschland bzw. England, Belgien und Holland folgten, erstmals die Denkmälerfülle, so bemühte sich WölƦƥƷin in seiner die röm. B.-Architektur behandelnden Habilitationsschrift (1888) und dann – auf alle Kunstgattungen ausgeweitet – 1915 in den Kunstgeschichtlichen Grundbegriƥfen um eine Abgrenzung von der Renaissance und Bestimmung als eigenständiger Epoche mittels fünf formalanalytischer Gegensatzpaare (linear/malerisch; Fläche/Tiefe; geschlossene/oƦfene Form; Vielheit/Einheit; Klarheit/Unklarheit). Der fachübergreifende Erfolg der Grundbegriƥfe verhalf dem B. endgültig und nun auch in anderen Disziplinen zum Durchbruch. Kunsthistor. Forschungen seit den 1930er Jahren (rezipiert jedoch zumeist erst nach 1945) liefern auch heute noch wegweisende / Abb. 1: Michelangelo Merisi da Caravaggio, Bekehrung des Paulus, 1600/01 (Öl auf Leinwand, Rom, S. Maria del Fragen und Ergebnisse etwa zu Kunsttheorie und Ikonographie [18]; [19]; [21]. Gerade diese mühsam errungene Akzeptanz als Epoche sollte die »eigentliche« B.-Kunst jedoch für lange Zeit auf einen polaren Gegensatz zur Renaissance festlegen (dem etwa auch M. Foucaults »[Tiefen-]Archäologie« der europ. Episteme mit ihrer Unterscheidung zwischen dem älteren Denken in »Ähnlichkeiten« und dem der »Repräsentation« im 17. und 18. Jh. zuarbeitet) – eine Polarisierung, deren Korrektur die Kunstgeschichte erst seit den letzten drei Jahrzehnten unternimmt. 2.2. Entwicklungslinien und historische Bedingungen Als Ursprungsort des B. gilt das Rom der letzten Jahre des 16. Jh.s, für die Malerei kommt als zweiter Ausgangspunkt Bologna mit den Carracci und ihrer Schule hinzu [11]; [13]. Umfassende, tendenziell monokausale Erklärungsversuche für die Genese des neuen Stils, wie die in der Forschung der 1910er bis 1940er Jahre favorisierte Herleitung aus dem kath. Glaubenskampf, insbes. den Vorgaben des Trienter Konzils und der Jesuiten-Mission, erwiesen sich schnell als unzureichend (zudem stand in Frage, ob überhaupt der B. oder nicht eher der Manierismus als »Kunst der Gegenreformation« zu verstehen sei [25]). Allerdings bestätigt sich unter modiƧƬzierter Fragestellung in den letzten Jahrzehnten erneut, dass im Rahmen der Konfessionalisierung Europas theologische und frömmigkeitsgeschichtliche Aspekte eine der zentralen Rollen für die speziƧƬschen Ausformungen, Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen der Künste spielten [10]. Von Anfang an lassen sich in der B.-Kunst jedenfalls große formale Gegensätze konstatieren: In der Malerei verfolgten etwa Annibale Carracci, Domenichino und Caravaggio (vgl. Abb. 1 und Abb. 2), in der Skulptur Bernini und Algardi, in der Architektur wiederum Bernini und Borromini ganz unterschiedliche ästhetische Ziele – die grob mit »eigentlichem B.« und »B.-Klassizismus« zu fassen versucht werden [20]; [6]. Für das europaweite Bekanntwerden dieser Kunstformen (etwa des » Caravaggismus« mit seinem Detailrealismus und der extremen Hell-Dunkelmalerei) sorgte nicht nur der zeitweise Aufenthalt zahlreicher ausländischer Künstler und ihrer Auftraggeber in Rom, sondern auch die zunehmende Verbreitung von Kunstliteratur sowie druckgraphischen Reproduktionen (Reproduktionsgraphik). Während im nordalpin- mitteleurop. Bereich, dem Schauplatz des Dreißigjährigen Krieges, von wenigen Ausnahmen abgesehen, erst ab der Mitte des 17. Jh.s eine intensive Aufnahme der neuen Stilelemente möglich war, orientierten sich etwa Frankreich und Spanien schon früh in gegenseitiger Konkurrenz am ital. Vorbild. In den geteilten Niederlanden scheinen bürgerlicher Wohlstand einerseits, eine in der Kunst manifeste ideologische und religiöse »Selbstversicherung« angesichts feindlicher / Popolo, Cerasi-Kapelle). Caravaggio zielt auf Überraschung und Verunsicherung beim Betrachten seiner Gemälde: Die nahe herangeholte und in starkes Hell-Dunkel getauchte Szenerie erscheint extrem plastisch und bis in kleinste Details realistisch dargestellt; gerade durch diese überzeugende Mimesis entstehen aber Zweifel an Sinn und »Angemessenheit« der Darstellung: So scheint etwa nicht dem am Boden liegenden, in diesem Moment zum Paulus Konvertierten die größte Aufmerksamkeit zu gelten, sondern dem Pferd. Abb. 2: Domenico Zampieri gen. Domenichino, Martyrium des Hl. Petrus Martyr, um 1619/21 (Öl auf Leinwand, Bologna, Pinacoteca Nazionale). Als ein gefeierter Hauptvertreter der Carracci-Schule bemühte sich Domenichino um eine möglichst klar verständliche und Bedrohung andererseits zu den eigenständigen Ausformungen eines ƥƷämischen und holländischen B. geführt zu haben (vgl. Abb. 3) [7]. Mit Ludwig XIV. übernahm Frankreich eine Führungsrolle auch in den Künsten, deren repräsentativ-zeremonielle und politische Funktionen zudem bewirkten, dass immer größere Energien auf schnell wechselnde, ephemere Kunstformen wie Theater-, Trauer- und Festdekorationen, Gartengestaltungen (Gartenarchitektur) und Triumphzüge verwandt wurden. Frankreich entwickelte dabei mit der 1648 gegründeten Académie Royale de Peinture et de Sculpture, durch die ältere, v. a. in Italien entwickelte Formen privater Akademien einer neuen, staatlich gelenkten Funktion nutzbar gemacht wurden, eine einƥƷussreiche und vielfach nachgeahmte Institution, um künstlerische Standards durchzusetzen. Dem Vorbild Ludwig XIV. folgend und mit ihm konkurrierend förderten dann der preuß. und sächs. König ebenso wie der Habsburger- Kaiser in Wien und mit ihm die kirchlich-kath. Institutionen in dessen EinƥƷussgebiet die Künste. Dabei bildete sich – ab ca. 1680 mit dem Vorbild des (röm.) Hoch-B. – ein weiteres künstlerisches Zentrum mit eigenständiger Ausprägung heraus (etwa der »Kaiserstil« Karls VI. oder die süddt. Rokokokirchen). Nur andeuten lässt sich der diesen Entwicklungen parallele Export von Kunstformen in die europ. Kolonien, insbes. nach Mittel- und Südamerika (Kulturkontakt, transatlantischer). Bei alledem spielten schließlich nicht nur Kirche und Höfe, Religion und politische Repäsentation, sondern auch private Kunstsammlungen und ein sich ausbildender internationaler Kunstmarkt eine immer wichtigere Rolle, mit denen eine wachsende Schicht von Connaisseuren– die häuƧƬg auch selbst »dilettantischen« Kunstunterricht (v.a. im Zeichnen) erhalten hatten – einherging [17]. 2.3. Ästhetische Leitkategorien Auch ohne B.-Kunst a priori auf GrundbegriƦfe wie »visuelle Überwältigung«, »Pathos« u.Ä. festzulegen, ließ sich doch für die religiöse wie profane Kunst des 17. und frühen 18. Jh.s ein zunehmendes (in die Renaissance / eindeutige AƦfektregungen bewirkende »Bildsprache« im uploads/Litterature/ barock.pdf
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- Publié le Sep 04, 2021
- Catégorie Literature / Litté...
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