Sprachen in Kontakt in Griechenland und Kleinasien im 2. Jahrtausend v. Chr: Jo
Sprachen in Kontakt in Griechenland und Kleinasien im 2. Jahrtausend v. Chr: Jose Luis Garcfa Ram6n Institut für Linguistik- Historisch-Vergleichende Sprachwissenschaft, Köln 1 Griechisch-Anatolische Sprachverhältnisse im 2. Jahrtausend v. Chr. Wenn zwei (oder mehrere) Sprachen gemeinsame, gegenüber anderen Sprachen derselben Sprachfamilie spezifische Merkmale aufweisen, kann man die Übereinstimmungen als Indiz für eine oder mehrere Varianten von Sprachkontakt deuten. Wenn es dazu kommt, dass beide (oder mehrere) Sprachen in einem bestimmten geographischen Bereich bzw. in benachbarten Bereichen gesprochen werden, kann man auch mit Mehrsprachigkeit und daher mit Sprachinterferenzen rechnen. Die verschiedenen Varianten des Kon- taktes zwischen zwei oder mehreren Sprachen lassen sich bei modernen Sprachen erkennen, und zwar auf unterschiedlichen Ebenen, als soziale, lokale und institutionelle Varietäten. Leider ist eine eingehende Unter- suchung von Korpussprachen der vorchristlichen Zeit auf diese Art offensichtlich nicht möglich, da das zur Verfügung stehende Sprachma- terial es schon aufgrund seiner Natur nicht erlaubt. Wenn Sprachen, die gemeinsame Merkmale aufweisen, nicht in un- mittelbarer geographischer Nähe zueinander stehen, bieten sich in jedem Falle zwei Möglichkeiten an, die einander grundsätzlich nicht ausschlie- ßen: Die Gemeinsamkeiten können entweder auf eine frühere Phase von Sprachkontakt zurückgehen, wobei Ort und Zeit dieser gemeinsamen Phase sich kaum allein mit sprachlichen Argumenten präzisieren lassen, oder haben sich aus einem Bereich (A) in den anderen (B, auch in andere) ausgebreitet ('areal diffusion'). Im Falle von alten Korpussprachen aus vorchristlicher Zeit ist der Beitrag der Archäologie und der Geschichte bzw. der Geschichtsschreibung und letzten Endes die Zusammenarbeit · Für Hinweise und Kritik bedanke ich mich bei Antje Casaretto (Köln), Luz Conti Ji- menez (Madrid, UAM), Paola Dardano (Siena), Torsten Meissner (Cambridge) und Ana Vegas Sansalvador (Köln). Recht herzlich bedankt seien auch Christina Rehme, Felix Thies und Lena Weiberg (Köln) für ihre Hilfe bei der Herstellung der Tisch- vorlage und des Manuskripts. 24 Sprachen in Kontakt in Griechenland und Kleinasien der verschiedenen Disziplinen wichtig bzw. entscheidend; dennoch ist nicht gesichert, dass sich eine genaue Rekonstruktion auf zeitlicher und räumlicher Ebene ansetzen lässt. Das Griechische und die anatolischen Sprachen waren in geogra- phischen Nachbarbereichen seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. angesiedelt und standen in Kontakt, zumindest in einigen Regionen Westkleinasiens, seit Mitte dieses Jahrtausends. Dem Griechischen und den alten anatolischen Sprachen sind ferner eine Reihe spezifischer Besonder- heiten gemeinsam, die auf historischem Sprachkontakt bzw. arealer Aus- breitung beruhen können. Im vorliegenden Beitrag werden die Sprach- verhältnisse zwischen den beiden Sprachbereichen im 2. Jahrtausend v. Chr. dargestellt und die Interpretationsmöglichkeiten in verschiedene Richtungen anhand von konkreten Beispielen exemplarisch dargestellt. 2 Das Altgriechische und die altanatolischen Sprachen: zwei Sprachbereiche in geographischer Nachbarschaft Es sei kurz an die wichtigsten Aspekte der linguistischen Situation in Griechenland und Anatolien seit der Einwanderung der Sprecher der je- weiligen indogermanischen Sprachen erinnert. (1) Das Altgriechische und die altanatolischen Sprachen (Hethitisch, Lu- wisch, Palaisch) wurden im 2. Jahrtausend v. Chr. in Griechenland resp. in Anatolien gesprochen. Die Sprecher der jeweiligen indogermanischen Sprachen waren schon in beiden Bereichen seit Anfang des 2. Jahr- tausends v. Chr. angesiedelt, obwohl die ersten schriftlichen Texte etwas später zu datieren sind. Das Griechische ist erst durch die mykenischen Tafeln (Ende 15. Jh. - Ende 13. Jh. v. Chr.) belegt, die anatolischen Sprachen seit der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends: Hethitisch und Keil- schrift-Luwisch (17. Jh. - Ende 13. Jh. v. Chr.), Hieroglyphisch-Luwisch (ab 11. Jh. v. Chr.+), Palaisch (17. - 14. Jh. v. Chr.). Sie gehen auf ein rekonstruierbares 'Uranatolisch' zurück.1 Als indogermanische Sprachen hatten Urgriechisch und Uranatolisch eine starke ererbte Komponente, die zu unterschiedlichen Graden auch in anderen Sprachen vertreten ist. Die Möglichkeit einer griechisch-anatolischen Spracheinheit nach der Ausgliederung des Indogermanischen bleibt offen als Zwischenstufe zwischen den beiden Sprach(grupp)en und dem Indogermanischen. 1 Vgl. die Gesamtdarstellungen von Watkins (2001a: 49ff.) = Watkins (1994-2008: 945ff.) und Daues (2008). Jose Luis Garcia Rarn6n 25 (2) Sowohl das Griechische als auch die anatolischen Sprachen sind seit ihrem Aufkommen in den Regionen, in denen sie angesiedelt sind, in Kontakt mit anderen Sprachen gewesen. Die Griechen sind nach ihrer Ansiedlung in Griechenland (um die Wende vom 3. zum 2. Jahrtausend v. Chr.) in Kontakt mit vorgriechischen Substratsprachen und nicht- griechischen Adstratsprachen gewesen (§ 4): Außerdem wurden nicht- griechische Sprachen immer noch in mehreren Regionen Griechenlands bis in die klassische Zeit gesprochen. Ihrerseits waren die anatolischen Sprachen auch im Kontakt mit anderen nicht-indogermanischen Spra- chen, die in Anatolien gesprochen wurden: Hattisch (l;attili) im Norden, eine Sprache, die sich kaum einordnen lässt, ferner Akkadisch (semi- tischf und Hurritisch im Osten (Mittani), das mit dem Urartaischen ver- wandt ist. (3) Griechenland und Anatolien sind geographische Bereiche, die in relativer Kontiguität stehen. Dass es schon Sprachkontakte zwischen dem Altgriechischen und den altanatolischen Sprachen im 2. Jahr- tausend v. Chr. gegeben hat, darf heute als gesichert gelten(§ 5). Auch im Laufe des 1. Jahrtausends v. Chr. wurden bekanntlich in Kleinasien anatolische Sprachen (Karisch, Lydisch, Lykisch, Mylisch, Pisidisch) ge- sprochen,3 die ständig im Kontakt mit griechischen Mundarten standen und sich mit Sicherheit reziprok beeinflusst haben.4 Ob es auch in vor- historischer Zeit Sprachkontakt gab bzw. ob es einen griechisch-anato- lischen Sprachbund gegeben hat, muss offen bleiben. 2 Zu dieser Frage sei auf den Beitrag von P. Dardano (in diesem Band: 47ff.) ver- wiesen. 3 Vgl. den Überblick von Daues (2008: lOff.). 4 Dass die anatolischen Sprachen eine Wirkung auf die griechische Phonetik ausgeübt haben, lässt sich in gewissen Fällen bestätigen. Dies ist bei der Lenisierung der stimm- losen Verschlusslaute oder bei der Neutralisierung der Vokale im Auslaut im Pamphy- lischen der Fall, z.B. 3. Sg. -ötl -"dil3. PI. Ipv. -öul -"du laus *-nton, med. -cröu I -zdu I aus *-ntl'on. Unsere Kenntnisse der kleinasiatischen Sprachen (v.a. Lykisch) erlauben es, die Wirkung der Substrat- und Adstratsprachen zu erkennen. Die Spirantisierung der stimmhaften Verschlusslaute und die Sonorisierung der stimmlosen hinteren Nasale, die man in den griechischen Dialekten in Anatolien seit dem 5.14. Jh. v. Chr. erkennt (besonders im Pamphylischen, z.B. nEÖE lpe"del für Att. nME, 3. pl. Ipv. auf -oöu I -o"dul aus *-onton) und die im Neugriechischen weiterleben, sind auch in den zeitge- nössischen anatolischen Sprachen belegt. Dass ähnliche Erscheinungen in den Dia- lekten Griechenlands seit Ende der klassischen Zeit einer arealen Ausbreitung aus Anatolien zuzuschreiben seien, wie von J. Jasanoff angenommen (bei Watkins 2001a: 59 = Watkins 1994-2008: 955), lässt sich m.E. kaum begründen. 26 Sprachen in Kontakt in Griechenland und Kleinasien 3 Mögliche Erklärungen für gemeinsame spezifische Merkmale: 'areal diffusion', Sprachbund, Ererbtes Tatsächlich lässt sich eine relativ große Reihe von gemeinsamen, spezi- fischen Merkmalen zwischen Griechisch und den anatolischen Sprachen des 2. Jahrtausends v. Chr. feststellen. Dafür bieten sich prinzipiell drei Erklärungen an, von denen zwei auf Sprachkontakt in verschiedenen Epochen beruhen können und zwei mögliche Szenarien widerspiegeln, die einander nicht ausschließen: (1) Areale Ausbreitung ('areal diffusion') in eine Richtung, nämlich Ost --> West, oder umgekehrt. Die erste Möglichkeit, die auch in literarischen und kulturellen Bereichen erkennbar ist, lässt sich gut begründen/ die umgekehrte Richtung ist jedoch nicht ausgeschlossen(§ 6-7). (2) Existenz eines griechisch-anatolischen Sprachkontaktes im Rahmen einer Spracheinheit als Zwischenstufe mit spezifischen gemeinsamen Merkmalen zwischen den beiden Sprach(grupp)en und dem Indogerma- nischen. Eine gemeinsame Vorstufe des Griechischen und des Anato- lischen im Rahmen dieser Hypothese muss nicht unbedingt in Anatolien lokalisiert werden: Der Kontakt wäre auch auf dem Balkan möglich gewesen. (3) Bloßes indogermanisches Erbe, das in anderen Sprachbereichen ver- lorengegangen bzw. durch andere Sprachmittel ersetzt worden ist. Tat- sächlich sind gemeinsame Merkmale des Griechischen und des Anato- lischen als Indiz für Sprachkontakt belanglos, wenn sie auch anderen indogermanischen Sprachen gemeinsam sind, denn dies spricht im Prin- zip für Ererbtes. 4 Griechisch und nicht-griechische Sprachen in Griechenland: Substrate und Adstrate Es muss auf jeden Fall betont werden, dass bei einer solchen Frage- stellung endgültige, unverkennbare Ergebnisse kaum zu erwarten sind. Denn die Vor- und Urgeschichte jeder alten Sprache ist oft so komplex bzw. undurchsichtig, dass sich ein einziges Modell weder geradlinig an- $ Für eine Darstellung der (wohl geradlinig angenommenen) anatolischen bzw. mesopotamischen Komponente in der griechischen Kultur und Dichtung vgl. West (1997). Für die linguistischen Aspekte vgl. u.a. Puhvel (1991), Watkins (1998), Watkins (2001a) und Watkins (2002b). Jose Luis Garcia Ram6n 27 wenden lässt noch als beweiskräftig erweisen kann. Dies wird exempla- risch anhand der Vorgeschichte des Griechischen im Folgenden gezeigt. Das Griechische hat bekanntlich, neben seinem ererbten indogerma- nischen Grundstock, eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen mit dem Indo-Iranischen und dem Armenischen (Augment, Negation *mi!, gene- rell die Struktur des Verbalsystems), ferner mit dem Armenischen, mit dem Phrygischen (Vertretung -ia aus *ih2, athem. Dat. PI. auf -sz): Letztere gehen wahrscheinlich auf den Sprachkontakt im Rahmen eines Konver- genzareals, des sogenannten 'paläobalkanischen' Sprachbundes (Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr.) zurück.6 Seit ihrer Ankunft in Griechenland sind die Griechen in Kontakt mit nicht-griechischen Sprachen getreten.7 Die Existenz von Sprachkontakt (und höchstwahrscheinlich Mehrsprachigkeit) ist explizit bei Homer be- legt, als der Dichter über die Starrunes- und Sprachmischung auf Kreta spricht: Od. 19.175ff. iiAI..l') ö' iiA.Awv yA.Waaa uwwutvn · f:v ~f:v 1\x.awi, f;y ö' 'En:6KpTJ'tE~ ~EYUA:iJ<opE~, f;v of: KuoffiVE~ ~ffiptEE~ 'tE 'tpt'X,O.'iKE~ o'ioi 'tE llEAUayoi 'und die Sprache der einen diese, der anderen jene, ge- mischt. Darauf sind Achaier und darauf uploads/Litterature/ greek-anatolian-language-contact.pdf
Documents similaires










-
22
-
0
-
0
Licence et utilisation
Gratuit pour un usage personnel Attribution requise- Détails
- Publié le Aoû 30, 2022
- Catégorie Literature / Litté...
- Langue French
- Taille du fichier 1.8826MB