OLZ B A N D 97 J U L I - O K T O B E R 2002 HEFT 4 - 5 Zur Frage des Meeres in
OLZ B A N D 97 J U L I - O K T O B E R 2002 HEFT 4 - 5 Zur Frage des Meeres in ägyptischen Texten von Joachim Friedrich Quack"'' Das vorliegende Werk macht es jedem potentiellen Rezensenten nicht leicht. Dafür ist es viel zu sehr eine weitere Etappe in einer teilweise erbittert geführten Aus- einandersetzung über den geographischen Horizont der Alten Ägypter. Der Autor gehört dabei zusammen mit Alessandra Nibbi zu den Hauptproponenten einer drasti- schen Reduktionstheorie, welche viele sonst von der Forschung in Vorderasien lokalisierte Orte in Ägypten oder seiner nächsten Umgebung wiedererkennen will.' Dabei werden auch alle bislang für das Meer in An- spruch genommenen Textstellen auf binnenländische Szenerien umgedeutet. Durch eine quasi umfassende Prä- sentation aller Belegstellen für den Ausdruck wic-wr hofft der Autor, seine bislang minoritäre Position einem größeren Kreis von Fachkollegen schmackhaft machen zu können. Bislang hat diese PubHkation bereits eine sehr ausführ- liche Rezension durch Kitchen erfahren, der in einem kri- tischen Durchgang durch die Belege wenigstens für einen gewissen Bestand an Texten beim Bedeutungsan- satz „Meer" bleiben würde.^ Darauf hat Vandersleyen bereits geantwortet und sein Festhalten an früheren Positionen bekräftigt.^ Obgleich der Rezensent gerade bei den im Zentrum der Debatte stehenden Texten Kitchens Interpretation zustimmen würde, scheint es ihm nicht sinnvoll, diese notorischen Streitfälle nochmals durchzugehen. Vielmehr soll der Schwerpunkt hier auf einige bislang eher am Rande stehende Bereiche gelegt werden. Dies betrifft zum einen manche Punkte gerade der religiösen Literatur, zum anderen besonders den Begriff ym, der als innerägyptische Ubersetzung zum wic-wr der älteren Sprache automatisch relevant ist. Für letzteren Punkt sind auch die demotischen Quellen von Bedeutung, für welche weder Vandersleyen noch seine hauptsächlichen Kritiker Spezialisten sind, so daß eine Neudiskussion besonders sinnvoll scheint. Zugleich eine Rezension von: Vandersleyen, Claude: Ouadj cur, wif-wr. Un autre aspect de la vallee du Nil. Bruxelles: Connais- sance de l'Egypte ancienne 1999. 447 S. 8° = £tude, 7. Brosch. BEF 1580. ISBN 2-87268-006-3. ' Dies müßte logischerweise dann eine entsprechend größere Ausdehnung des Herrschaftsterritoriums von Staaten wie besonders dem Hethiterreich zur Folge haben, mit dem Ägypten nachweislich in Kontakt stand - aber eine Argumentation in diesem Sinne anhand der Keilschriftquellen haben die betreffenden Forscher bislang nicht vor- gelegt. 2 K. A. Kitchen, DE 46 (2000), S. 126-138. ' C. Vandersleyen, Encore Ouadj our, DE 47 (2000), 95-107. Ein generelles Wort vorweg sei erlaubt: Die Präsenta- tion sämtlicher Textbelege'' in Hieroglyphen, Translitera- tion und Übersetzung mit Bibhographie ist - ungeachtet mancher Lücken in letzterem Bereich^ - an sich eine sehr beachtliche Leistung, unabhängig davon, wie man über die Interpretation der Details denkt. In der konkreten Anordnung hätte man allerdings einiges besser machen können. Hauptproblem ist bereits, daß Vandersleyen eine Vorlage allein nach alphabetischer Anordnung (meist nach Standort oder heutiger Aufbewahrung) vornimmt. Dadurch bekommt die Dokumentation keine reale Struk- tur, sondern wird zur amorphen Masse, in der jeder Beleg gleichwertig für alles herangezogen werden kann, und dies entspricht auch genau der Argumentations- struktur des Autors, der abschließend (S. 155) von einer Homogenität der Quellen spricht. Sinnvoller wäre es gewesen, nicht so sehr eine einfache chronologische Abfolge zu etablieren (die über S. 365-373 immerhin relativ leicht zu erreichen ist), sondern vorrangig nach Verwendungskontexten zu differenzieren. Dabei sollte dann auch klarer zutage treten, daß Vandersleyens Argu- mente schwerpunktmäßig auf einem fixen Genre, näm- lich den Nilprozessionen beruhen, daneben auch noch auf manchen anderen religiösen Texten. Die alltagswelt- lichen Inschriften dagegen sind gerade diejenigen Quel- len, bei denen der unbefangene Leser zunächst nichts gegen eine Ubersetzung als „Meer" einzuwenden hätte. Ebenso sollten all diejenigen Belege separiert werden, in denen wic-wr die unumstrittene Bedeutung „Fayum" hat. Ferner wird der Wert des Kataloges durch manche Details beeinträchtigt. Einiges (vor allem kleinere Tipp- fehler) wird in einem Blatt mit Errata (Stand 2/9/99) korrigiert, die wirklichen Problemfälle jedoch nicht. Einerseits ist es unvorteilhaft, wenn verschiedene Zeugen desselben Textes durch die Zufälle der Alphabetisierung voneinander getrennt werden. Ferner sind die Grenzen der Textzitate nicht immer gut gezogen und der zitierte Kotext generell so knapp, daß für eine wirkliche Über- prüfung auf die Originale zurückgegriffen werden muß. Schließlich ist das philologische Niveau nicht immer das Der Rezensent möchte als zusätzlichen Beleg S. Sauneron, La porte ptoltoai'que de l'enceinte de Mout ä Karnak, MIFAO 107 (Kairo 1983), T. XIII, Z. 12 nennen, wo kbn(.t)-SchiHe im Zusammenhang mit dem wii-wr genannt werden, die mit Produkten des Gotteslandes beladen sind. Aufgrund des weitgehend zerstörten Kotextes weniger aussagekräftig ist W. M. F. Petrie, Athribis, BSAE 14 (London 1908), S. 23, T. XXXIV, Z. 17. ^ Hier sei nur darauf hingewiesen, daß Dok. 65 und 257 zwei Handschriften der Lehre eines Mannes an seinen Sohn sind; zur Stelle dort s. zuletzt H.-W. Fischer-Elfert, Die Lehre eines Mannes für seinen Sohn, ÄA 60 (Wiesbaden 1999), S. 101-104. - 10.1524/olzg.2002.97.45.453 Downloaded from PubFactory at 08/23/2016 05:48:59PM via University of California - Los Angeles - UCLA Library 455 Orientalistische Literaturzeitung 97 (2002) 4 - 5 456 beste. Auch wenn manches den Kern der Argumentation nicht berührt, wirft es einen Schatten auf die Qualität der Arbeit. Auf einige Fälle, in denen bedenkliche Über- setzungen als wichtige Basis dienen, wird der Rezensent später noch zu sprechen kommen. Ein Problem ist bereits der Startpunkt des Buches überhaupt, nämlich eine Diskussion über wie „grün" (S. 41f.). Vandersleyen will es spezifisch auf Vegetation beziehen, was sein letztliches Ergebnis erheblich beein- flußt. Aber das Farbwort kann im Ägyptischen ebenso gut für Mineralien, Pigmente u. ä. stehen. Zudem ist im Ägyptischen, das einen relativ geringen Bestand an pri- mären Farbausdrücken hat, die Palette anders definiert als bei uns, d. h. „grün" schließt auch „blau" ein, für das ein ursprüngliches Wort fehlt, ähnlich wie „rot" auch Farbtöne beinhaltet, die wir als „gelb" betrachten wür- den. Eine von Vandersleyens Stützen ist seine Behauptung, im wic-wr befinde sich süßes Wasser (S. 42f.). Einige sei- ner Belege sind damit zweifellos in Ubereinstimmung, allerdings zum Gutteil solche, die zweifelsfrei nur die ohnehin unbestrittene Verwendung von wic-wr für das Fayum zeigen (114, 129, 133, 135, eventuell auch 190, 192,^ und 197). Dagegen hat er einen Gegenbeweis über- sehen, den er in seinem Katalog zwar zitiert, aber schlecht separiert hat, nämlich Urk. VI 125,21-127,2 (Dok. 215). Dort heißt es im Rahmen einer Ausmalung zu verhütender Umkehrungen der normalen Weltor- dung auch „nicht soll das wic-wr süß werden, so daß man aufschlürft, was in seinem Wasser ist" bzw. in der protodemotischen Übersetzung „nicht soll das Meer (ym) süß werden und man von ihm trinken". Diese Stelle zeigt unzweideutig, daß nach dem Verständnis zur Zeit der Abfassung dieses Textes die Begriffe wic-wr und ym ohne zusätzliche Festlegungen für ein Gewässer stehen, das eben nicht süß ist, sondern untrinkbar, also salzig. Großes Gewicht legt Vandersleyen ferner auf die Ver- bindung mit Osiris (S. 44-46). Dem ist entgegenzuhalten, daß gemessen an der unendlichen Vielfalt von Belegen für Osiris an sich dessen Bezug auf das wic-wr markant selten ist. Von den Belegen sind 149 u. 156 schon ihrer Herkunft nach (Hawara und Kahun) sicher auf Osiris- kulte im Fayum zu beziehen. In 218 und 219 ist wohl eher „der das GemetzeF der beiden Länder und des wic-wr richtet" zu lesen, Osiris also keinesfalls selbst als wic-wr bezeichnet. Die Angabe, das Haus des Osiris sei als wic-wr bezeichnet, dürfte nur einem Textfehler zu verdanken sein. Im betreffenden Passus cii=k si ^^^ wic-wr ist nach allen phraseologischen Parallelen nämlich nmi-k wic-wr zu verstehen, also Klärungsbedürftig ist auch der Passus, die Ausflüsse des Osiris und des Verstorbenen würden ins wic-wr bzw. nach dem Demotischen ins ym gelangen (286). Van- ' Die Bezeichnung ki si in 190 u. 192 spricht für den Bezug zum Fayum. ' Kenntnis der typischen Phraseologie für Osiris zeigt, daß wpi tti.wi zu lesen ist, nicht das von Vandersleyen angenommene wpi ctt ß.wi. dersleyen führt unter Verweis auf Plutarch, De Iside Kap. 32 aus, angesichts der Abneigung des Osiris gegen das Meer könnte wic-wr nicht letzteres sein. Gerade Plutarch liefert aber das beste Gegenargument, da er De Iside Kap. 39 (366 E-F) berichtet, wie Priester zum Meer hinabgingen, dort Wasser nähmen und den Fund des Osiris verkündeten. Dies dürfte sich auf ein konkretes Naturereignis beziehen, nämlich die Tatsache, daß die Wassermenge des flutenden Nils ausreicht, um Süßwas- servorkommen in dem Bereich jenseits der Küstenlinie zu bewirken, wo sonst Meereswasser vorhanden ist. Typisch für die Vorgehensweise des Autors sind die Bemerkungen zu Dok. 184. Vandersleyen will daraus einen Beweis dafür ziehen, daß die Überflutung {h'^pi) eben wic-wr sei. Eine Überprüfung anhand der Edition (De Morgan, Kom Ombo Nr. 104) zeigt, daß in der betreffenden „Nilprozession" jede Figur einem textlich erwähnten Gott gegenübergestellt wird; und im Falle des einschlägigen Textes ist dies gerade Sobek von Krokodi- lopolis (shk stti), dem auch die Notiz „das ist wic-wr" durch eine Inversion der Blickrichtung der Hierogly- phen eindeutig zugeordnet ist. Erneut liegt also einfach ein Bezug auf das Fayum vor. Auch 123, 179 und 190 sind mit einiger Wahrscheinlichkeit auf diesen Spezial- fall zu beziehen. Gerade wenn im „Nilhymnus" davon gesprochen wird, h'-pi würde sich mit dem wic-wr ver- einen, ist der grundsätzliche uploads/Litterature/ zur-frage-des-meeres-in-a-gyptischen-texten.pdf
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- Publié le Jan 10, 2021
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