. Ikonografie der Angst Deutsche Tatarenbilder im Wandel: Barbaren, Alliierte,
. Ikonografie der Angst Deutsche Tatarenbilder im Wandel: Barbaren, Alliierte, Migranten Dissertationsschrift im Fach Turkologie Promovend: Mieste Hotopp-Riecke Erstgutachter: Prof. Dr. Claus Schönig, Institut für Turkologie, Freie Universität Berlin. Zweitgutachter: Prof. Dr. Uwe Blaesing, Leiden University – LUCL, Niederlande. - 2 - Ikonographie der Angst. Deutsche Tatarenbilder im Wandel: Barbaren, Alliierte, Migranten DISSERTATION zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie (Fach: Turkologie) am Fachbreich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin Institut für Turkologie vorgelegt von Mieste Hotopp-Riecke Berlin, 2011 - 3 - Erstgutachter: Prof. Dr. Claus Schönig Zweitgutachter: Prof. Dr. Uwe Blaesing Tag der Disputation: 8. November 2011 Quellen der Cover-Veröffentlichung gemeinfrei (v.o.l.n.u.r.): Worgitzki, Max: Tatarensturm. Berlin: Junge Generation, Die Trommler-Bücher, 1935. Knötel, Richard: Preußen. Tatarenpulk. 1798. In: (ders.): Uniformenkunde. Lose Blätter zur Geschichte der Entwicklung der militärischen Tracht in Deutschland, Bd. XV, Rathenow: Babenzien; 1932 ; Bl. 29. Knötel, Richard: Preußen. Bosniak. Um 1760. In: (ders.): Uniformenkunde. Lose Blätter zur Geschichte der Entwicklung der militärischen Tracht in Deutschland, Bd. VI, Rathenow: Babenzien; 1895 ; Bl. 31. Meisner, Daniel / Kieser, Eberhard: Stadtansicht Magdeburg. In: THESAURUS PHILO-POLITICUS. Das ist: Politisches Schatzkästlein guter Herren und bestendiger Freund, Frankfurt a.M., 1623. - 4 - Inhaltsverzeichnis 1.1. Einleitung 4 1.2. Aufbau 6 1.3. Zielstellung 7 1.4. Hypothese 8 1.4.1. Forschungsdesign und Methodik 10 1.5. "Tatarenbild" und Stereotypenforschung 13 1.5.1. Erinnerungsorte und "lange Dauer" (longue durée) 16 1.6. Forschungsstand 18 1.7. Begriffsdiskurse Tataren und Ethnizität 23 1.7.1. Deutschsprachige Gebiete, Deutsche Literatur 25 1.7.2. Europa, Tartarei, Ost-Mitteleuropa 27 1.7.3. Semantik, Konnotation, Assoziation 28 1.8. Relevanz des Untersuchungsgegenstandes 42 1.8.1. Gesellschaftspolitische Relevanz 42 1.8.2. Wissenschaftliche Relevanz 43 2. (Vor-)Geschichte und Ursprünge. Ethnogenese oder Ethnisierung? 43 2.1. Europäische Tatarenbilder. Erste Kontakte 46 2.1.1. Tatern, Tottern, Dadern - Zigeuner oder Tataren? 52 2.1.2. „Serenissimo Muradun Gerey…“ Preußisch-tatarische Beziehungen 55 3. Ikonografie der Angst: Tatarenbilder 80 3.1. Belletristik 81 3.1.1. Barbaren aus dem Osten. Trivialliteratur und Comics 93 3.1.1.1. Buchcover und Illustrationen 110 3.1.2. Reiter, Liebhaber, Retter. Romane und Erzählungen 112 3.1.2.1. Im Land der Freunde: Tatarenliteratur in der DDR 130 3.1.2.2. Auf der anderem Seite: Emigrantenliteratur in der BRD 164 3.1.3. Kinder- und Jugendliteratur 189 3.1.3.1. Fantasy und Science Fiction 197 3.1.4. Heimkehrer-Literatur 205 3.1.5. Vertriebenen-Literaur / Aussiedlerliteratur 236 3.1.5.1. Das Erbe Ostpreußens und Schlesiens: Sagen und Erinnerung 238 3.1.5.2. Von Konfrontation zu Akkulturation. Dobrudscha-Deutsche und Tataren 248 3.1.6. Sekundärstereotype: Tartarennachricht und Hacksteak Tartar 273 - 5 - 3.1.7. Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert 300 3.2. Tatarisches Erbe? Ethnonyme in der Toponymie 303 3.2.1. Forschungsstand und Materialsuche im Kontext von Toponymie / Onomastik 311 3.2.2. Differenzierung und Kategorisierung 312 3.2.2.1. Morphologische Typen / Etymologie 324 3.2.2.2. Topografie und Isogenie 332 3.2.2.3. Narrative Differenz: Zigeuner und Tataren 333 3.2.2.4. Toponyme ohne BW TaRtAr- 365 4. Fazit und Ausblick 375 4.1. Tatarenbilder von gestern – Feindbilder von heute? 378 Danksagung 383 5. Anhang 384 5.1. Literaturverzeichnis 384 - 6 - 1.1. Einleitung „Добрый день, Германия! Die Russen kommen!“ so titelte 2006 die FAZ1 und ihr Redakteur Winand von Petersdorff-Campen, der „gerne über die Energiewirtschaft, Globalisierung und darüber, was ihm sonst noch einfällt und auffällt“, schreibt2, berichtete über die neureichen russischen Oligarchen Miller, Goryayev, Abramowitsch und Aksenenko. Schon im ersten Satz fällt das Wort Wodka, ein schönes altes Russen-Klischee. Russen? Klang da nicht auch etwas mit von „Die Tataren kommen!“ – also gleich drei Assoziationen in Überschrift und erstem Satz: Wilde Horden, getarnt als Millionäre, überrennen den Westen und bringen ihre Wodka-Unkultur mit? Doch auf den zweiten Blick verrät dieser platte Artikel mehr, als man meint: Er spiegelt nämlich nichts weniger als die komplexe Materie von Ethnizität und Fremdwahrnehmung in transkulturellen Räumen wieder. Er machte mich hellhörig. Denn für mich tat sich die Frage auf: „Sehen alle Deutschen diese Russen als Russen an oder machen sie auch Unterschiede zwischen Leuten wie Miller mit russlandeutschem, Abramowitsch mit jüdischem und Aksenenko oder Goryayev mit muslimischem Hintergrund?“. Und wie sehen denn die Russen selbst ihre Nachbarn und Mitmenschen im Osten? Auf diese Fragen kam ich nicht von ungefähr. Bei vielen Treffen mit tatarischen Kollegen kamen immer wieder Stereotype zur Sprache, die sich auf das Ich und das Andere bezogen: „Ungebet´ner Besuch ist schlimmer als die Tataren“ oder „Kratze an einem Russen, so scheint ein Tatar hervor“ sind wohl die gebräuchlichsten – und halmloseren - Redewendungen in diesem Kontext. Auf letzteren Spruch beziehen sich wohl auch die Zeilen von Marat Abrarov in der Islamischen Zeitung „Ich bin kein Russe, ich bin Tatare.“ Diese Wörter, die er oft wiederholen müsse, schreibt Abrarov, „ernten meist großes Erstaunen, als ob man uns für ein längst ausgestorbenes Volk hält oder sich uns ganz und gar anders vorstellt. Tatsächlich sind Tataren physiognomisch von Russen (oder Europäern) eigentlich nicht zu unterscheiden, zumal es bereits zum Sprichwort geworden ist, dass jede russische Familie mindestens eine tatarische Großmutter habe.“3. Das Gegenüberstellen von Europäern und den Tataren als dem asiatischen Anderen sowie die Verortung der Russen als zwittriges Dazwischen, dem beide Ethnizitäten inne sind, ist ein immer wiederkehrender Topus in der deutschen Literatur. Werden Schweden, Franzosen, Türken oder Polen in den letzten Jahrhunderten mal als Barbaren stigmatisiert, mal als Alliierte und Mit-Europäer beschrieben oder als orientalische 1 “Guten Tag, Deutschland” vgl.: Petersdorff 2006, S.a.: Bieker, Christian / Wolf, Thomas: Übernahmen. Russisches Roulette. In: FOCUS-MONEY | Nr. 47 (2006), S. 68-73. 2 Vgl.: Redaktion online unter URL: http://www.faz.net/s/RubD87FF48828064DAA974C2FF3CC5F6867/Doc~E4CAA 9748AEBB4F41B3916752CE53099E~ATpl~Ecommon~Scontent.html [22.9.2010]. 3 Abrarov 2004, online unter URL: http://www.islamische-zeitung.de/?id=4677 [16.4.2011]. - 7 - Fremde exotisiert, so zieht sich die negative Wahrnehmung von anderen Völkern wie etwa der Tataren, Juden oder Zigeuner scheinbar bruchlos durch die Zeiten seit ihrem Auftauchen aus dem Osten. „Die Geschichte der Selbstwahrnehmung Europas ist eine Geschichte der Wahrnehmungen des ,Anderen‘“, schreibt Joachim Eibach zu Beginn seines Beitrags „Annäherung – Abgrenzung – Exotisierung“, mit dem der Sammelband „Europäische Wahrnehmungen 1650-1850“ eröffnet wird. Betrachtet man den Zeitraum seit dem Auftauchen der dschingisidischen Reiterheere im 13. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hinsichtlich der obigen Aussage, kann anhand der Perzeption des Fremden das Selbstverständnis der Europäer in all seinen Kontinuitäten und Brüchen nachvollzogen werden4. Dabei scheint der `Tatarensturm` über alle Kulturepochen hinweg ein fester Bestandteil im Kanon deutscher Erinnerungsorte geblieben zu sein: „Der ´Mongolensturm` und das Mongolenreich stellen in unserem Geschichtsbewußtsein eigenartig singuläre Erscheinungen dar, die sich episodenhaft am Rande Europas zugetragen zu haben scheinen“ schreibt Hermann Kulke in seinen einleitenden Gedanken zu „Mongolen in Asien und Europa?“5. Die Bilder von Tataren, die sich im kollektiven Gedächtnis der Deutschen des 21. Jahrhunderts scheinbar herauslesen lassen, wurden wohl von zweierlei Seiten beeinflusst: Erstens von einer konkreten Bedrohung durch tatarische Reiterarmeen, wofür die Schlacht von Liegnitz als besonders nachhaltig prägendes Ereignis gelten kann. Dabei bestimmte später mehr und mehr die Weitergabe von Imagination und Rezeption das Bild der Tataren, waren sie doch nicht ständige Nachbarn oder Feinde wie die Osmanen. „Es war vor allem der schreckliche Ruf, der den Tataren voraneilte und sie so unbesiegbar werden ließ.“6 Zweitens wurde dieses primäre Bild der langen Tradition der „Tatarenangst“ im 20. Jahrhundert abgeschwächt, gewandelt oder beeinflusst durch die politisch-militärischen Erschütterungen der Weltkriege und Blockkonfontation. Das Bild des pfeilbewaffneten reitenden Tataren bekam Risse oder vergilbte durch beginnende tatarische Migration nach Deutschland Anfang des letzten Jahrhunderts. Durch die Gründung der Sowjetuinion und das Eingehen der Tataren in den „homo sovieticus“ sowie nicht zuletzt durch die Blockkonfrontation nach dem II. Weltkrieg verblasste ein eigenständiges Bild der Tataren scheinbar weiter, erfuhr aber auch neue Facetten: In der Bundesrepublik rückten die Tataren als unterdrückte Nation und Opfer des Stalinismus ins Blickfeld, in der Deutschen Demokratischen Republik eher als `Neue Menschen`, als Teil des großen sowjetischen Brudervolkes. Diesen Wandlungen nachzugehen, soll diese Studie ein Stück weit Denkanstöße liefern. 4 Eibach 2008, 13-73. 5 Kulke 1997, S. 21. 6 Ackerl 1983, S. 48. - 8 - 1.2. Aufbau Als erstes ist zu klären, welche Diskurse zu Termini, die in der Arbeit verwendet werden zur Zeit vorherrschen. Wie sind Kernbegriffe aus dem Forschungskontext dieser Arbeit wie Image, Stereotyp und Tatar semantisch belegt? Den ersten Teil wird die Beschreibung der Geschichte und Rezeption der ersten Kontakte von Mitteleuropäern mit Tataren und die Ausformung des Tatarenbildes in der Vergangenheit einnehmen, welches sich dem Fremdbild zum Beispiel der Skythen, Hunnen und Awaren anzuschließen scheint. Auch positiven Nuancen in der recht negativen Gesamtheit des Tatarenbildes – etwa analog der `Alla Turca`-Mode in Westeuropa – soll hier Raum gegeben werden7. Ausführlich gehe ich dann auf die Assoziationen, auf die Semantik und Konnotationen des Lexems Tatar ein. Die Arbeit kann so verdeutlichen, wie realitätsfremd die immer noch starken Vorbehalte gegen die Ethnie der Tataren heute sind und was diese pejorative Tradition möglicherweise zu tun hat mit der rezenten Xenophobie, die immer mehr in die Mitte nicht nur der bundesdeutschen und russländischen Gesellschaft vordringt. Im dritten Teil untersuche ich die Images der Tataren in unterschiedlichen Bereichen. In der deutschsprachigen Literatur ab dem Beginn des 19. Jahrhundert eruiere ich empirisch und interlinear relevante Schemata und Stereotype. Für den Bereich Literatur untersuche ich ausgewählte Formen aller drei Literaturgattungen wie Romane, Erzählungen, Comics und Sagen. Wenn einige Literaturgenres oder –gattungen (Romane, Comics) sowie bestimmte Zeitabschnitte (etwa die Zeit der Weltkriege im 20. Jh.) im uploads/Litterature/ ikonografie-der-angst.pdf
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- Publié le Jan 11, 2022
- Catégorie Literature / Litté...
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