BERICHTE UND DISKUSSIONEN Neue Forschungen zum Neuplatonismus (1995 – 2003). Te

BERICHTE UND DISKUSSIONEN Neue Forschungen zum Neuplatonismus (1995 – 2003). Teil II Carlos Steel und Christoph Helmig, Leuven 4. Die Schule nach Plotin (Longin, Porphyrios, Iamblichos) 4.1. Longin Dem Plotinschüler Longin ist in letzter Zeit vermehrte Aufmerksamkeit zugekom- men. Es existieren zwei längere Darstellungen von L. Brisson und M. Patillon im ANRW.1 Auch die Fragmente sind von beiden gesammelt und übersetzt worden. Schließlich hat I. Männlein-Robert eine umfangreiche deutsche Gesamtinterpretation Longins, ebenfalls mit einer Sammlung von Fragmenten, vorgelegt.2 4.2. Porphyrios Für den Zeitraum von 1940 bis 1994 liegt eine umfangreiche und reich kommentier- te Bibliographie von G. Girgenti vor.3 Einen Forschungsüberblick von 1913 bis 1987 bietet der Artikel von A. Smith in ANRW.4 Seiner Sammlung von Fragmenten hat Smith ein Werkverzeichnis beigefügt.5 Eine italienische Einführung ist von G. Gir- genti verfaßt worden.6 Derselbe Autor hat auch eine umfangreiche Monographie zu Porphyrios vorgelegt.7 Die Grundschwierigkeit der Porphyriosforschung besteht ohne Zweifel darin, daß der größte Teil seiner Werke verloren ist. Daher bedeutete die Publikation der Fragmen- te durch A. Smith im Jahre 19938 eine wichtige Etappe zum besseren Verständnis die- 1 „I. Longinus Philosophus“, in: W. Haase (Hg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt (i.f.: ANRW) II, 36.7 (1994), 5214-5299, und „II. Longinus Philologus“, in: ANRW II, 34.4 (1998), 3023-3108. 2 Longin/Rufus, Fragments. Art rhétorique (Collection des Universités de France), Longin: texte établi et traduit par M. Patillon et L. Brisson. Rufus: texte établi et traduit par M. Pa- tillon, Paris: Les Belles Lettres 2001; I. Männlein-Robert, Longin – Philologe und Philo- soph: Eine Interpretation der erhaltenen Zeugnisse (Beiträge zur Altertumskunde, 143), München/Leipzig: Saur 2001. Vgl. dazu die Besprechung von D.J. O’Meara in Gnomon 75 (2003), 730-733, die einen kurzen Vergleich der beiden Bücher enthält. 3 Porfirio negli ultimi cinquant’anni: Bibliografia sistematica e ragionata della letteratura primaria e secondaria riguardante il pensiero porfiriano e i suoi influssi storici (Temi me- tafisici e problemi del pensiero antico, Studi e testi, 35), Presentazione di Giovanni Reale, Milano: Vita e Pensiero 1994. 4 A. Smith, „Porphyrian Studies since 1913“, in: ANRW II, 36.2, 717-773. 5 Wie Anm. 8, L-LIII. 6 G. Girgenti, Introduzione a Porfirio („I filosofi“, 75), Roma/Bari: Laterza 1997. 7 Il pensiero forte di Porfirio: Mediazione fra henologia platonica e ontologia aristotelica, Milano: Vita e Pensiero 1996. 8 Porphyrii philosophi fragmenta, edidit A. Smith, fragmenta arabica David Wasserstein in- terpretante, Stuttgart: Teubner 1993. Vgl. dazu den Artikel von O. Ballériaux, „Porphyre ses so einflußreichen und reich rezipierten Philosophen. Darüberhinaus wurde die Edition seiner Schrift De Abstinentia in der „Collection des Universités de France“ (Budé) abgeschlossen.9 Dieser Text ist nun auch vollständig ins Englische übersetzt worden.10 Porphyrios’ Einführung (Isagoge) hatte ihren festen Platz im antiken Curriculum. Mit ihr wurden die Studenten mit Vokabular und Inhalt der aristotelischen Logik vertraut gemacht. Auf diese Weise präpariert konnten sie sich sodann dem Studium der Kategorienschrift zuwenden. Zu diesem zentralen Text liegt nun eine ausgezeich- nete zweisprachige Ausgabe (griechisch/französisch) mit umfassendem Kommentar sowie eine englische Übersetzung, ebenfalls mit sehr umfangreichem Kommentar, vor.11 Im Gegensatz zu seinem Lehrer Plotin zeigt Porphyrios wesentlich deutlichere Affi- nitäten zur mittelplatonischen Philosophie. Eine genauere Bestimmung seiner man- nigfachen Beziehungen zu präplotinischen Platonikern wie z.B. Plutarch, den er häu- fig zitiert, ist daher von besonderem Interesse. Dieser Aufgabe ist die Dissertation von M. Zambon nachgegangen, die weiter unten noch ausführlicher zu besprechen sein wird.12 Erschienen ist ferner eine neue Edition der Fragmente Contra Christia- nos.13 Zudem bereitet M. Chase eine Sammlung von Fragmenten der Schrift Ad Ge- dalium vor. Eine Sonderepisode in der Beschäftigung mit dem Philosophen aus Tyros bildet die Debatte um die Autorschaft des Anonymen Kommentars zu Platons Parmenides, der nach einer These von P. Hadot dem Porphyrios zuzuschreiben ist. Mit dem Erschei- nen seiner Dissertation hat G. Bechtle Hadots Forschungsergebnisse bestritten und für einen mittelplatonischen Autor der fragmentarisch erhaltenen Schrift plädiert.14 226 Carlos Steel und Christoph Helmig et Aristote: quelques fragments à ajouter aux Porphyrii philosophi fragmenta d’Andrew Smith“, in: A. Motte/J. Denooz (Hg.), Aristotelica secunda: mélanges offerts à Christian Rutten, Liège : Centre Informatique de Philosophie et Lettres 1995, 221-231. 9 Porphyre, De l’abstinence, tome III, livre IV, texte établi, traduit et annoté par M. Patil- lon et A.-Ph. Segonds, avec le concours de L. Brisson, Paris: Les Belles Lettres 1995. 10 Vgl. Teil I [AZP 29 (2004)], S.146 Anm.18. 11 Porphyre, Isagoge, texte grec, Translatio Boethii, traduction par A. de Libera et A.Ph. Se- gonds, introduction et notes par A. de Libera (Sic et non), Paris: Vrin 1998; Porphyry’s Introduction, edited by J. Barnes, Oxford: Clarendon Press 2003. Vgl. ferner die italie- nische Übersetzung Porfirio, Isagoge, ed. G. Girgenti, Milano: Rusconi 1995, und die deutsche Übersetzung Aristoteles, Kategorien. Hermeneutik oder vom sprachlichen Aus- druck (De Interpretatione), beigegeben sind Porphyrios: Einführung in die Kategorien des Aristoteles (Isagoge). Pseudo-Aristoteles: Einteilungen (Divisiones). Pseudo-Platon: Begriffsbestimmungen (Definitiones), herausgegeben, übersetzt, mit Einleitungen und Anmerkungen versehen von H.G. Zekl, griechisch-deutsch, Hamburg: Felix Meiner Ver- lag 1998 [Band 2 der Gesamtübersetzung des Organon]. 12 M. Zambon, Porphyre et le Moyen-Platonisme (Histoire des Doctrines de l’Antiquité Classique, 27), Paris: Vrin 2002. 13 Porphyrius, Contra Christianos, ed. A. Linguiti, in: Corpus dei papiri filosofici greci e latini, testi e lessico nei papiri di cultura greca e latina, parte I.1, Firenze: Olschki 1999, 623-633. 14 G. Bechtle, The Anonymous Commentary on Plato’s „Parmenides“ (Berner Reihe philo- sophischer Studien, 22), Bern/Stuttgart/Wien: Haupt 1999. Zur Diskussion ist außerdem Band 9 der Res Orientales (1996) zu vergleichen: 1) M. Tardieu, „Recherches sur la for- mation de l’apocalypse de Zostrien et les sources de Marius Victorinus“, 7-114; 2) P. Ha- dot, „‚Porphyre et Victorinus‘: Questions et Hypothèses“, 115-125. Bechtles Wagnis hat kaum Anhänger finden können. Daß Vokabular und Lehre des Anonymus Taurinensis schwerlich vorplotinisch sein können, ist vor allem durch den Beitrag von A. Linguiti gezeigt worden.15 Die Autorschaft des Porphyrios ist aber da- mit noch nicht zweifelsfrei geklärt. Wenn nicht Porphyrios selbst der Autor ist, dann aber sicherlich ein Philosoph aus seinem Zirkel. M. Zambon, Porphyre et le Moyen-Platonisme (Histoire des Doctrines de l’An- tiquité Classique, 27), Paris: Vrin 2002, ISBN 2-7116-1534-0, 42€ In seinem Aufsatz „Die Schultradition im Mittelplatonismus und Porphyrios“ hat Heinrich Dörrie vor fast 40 Jahren über Porphyrios geschrieben, daß er „in bestimm- tem Sinne der letzte Mittelplatoniker“ genannt werden dürfe.16 Wie das zu verstehen ist, hat nun Z. mit seiner eindrucksvollen Monographie zu Porphyrios’ vielfachen Beziehungen zum Mittelplatonismus ausführlich dargelegt. Nach Dörrie, mit dem Z. in dieser Frage weitestgehend übereinstimmt, sieht Porphy- rios eine starke Einheit innerhalb der platonischen Tradition. Das erklärt seine Ten- denz – die so bei seinem Lehrer Plotin nicht nachzuweisen ist –, Platon und Aristo- teles zu harmonisieren, aber auch seinen Blick auf den Mittelplatonismus als ganzen; dessen Kontinuität zur Philosophie Plotins herzustellen, Porphyrios bemüht war. Ein gutes Beispiel für diese Arbeitsweise ist wohl das bei Simplikios (In Phys. 230, 34 – 231, 24) erhaltene, aus Porphyrios’ Feder stammende Referat der Prinzipienleh- re des Moderatos. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Porphyrios den Neupythagoreer sozusagen mit ‚plotinischer Brille‘ gelesen hat (211f.).17 Vor dem Hintergrund dieser von Porphyrios vertretenen Kontinuität der Tradition ist auch die so häufig in der Sekundärliteratur angenommene Entwicklung seiner philo- sophischen Position fragwürdig. Man unterscheidet hier gewöhnlich eine vor- und eine nachplotinische Periode. Doch das steht sicherlich im Widerspruch zu dem Kon- tinuitätsgedanken. „Porphyre ne considérait pas la philosophie de Plotin comme dis- tincte des doctrines traditionelles, et ne sentait nullement de besoin d’insister sur les innovations que Plotin avait introduites dans le platonisme.“ (34) Ebenfalls in Rech- nung zu stellen bei der schwierigen Rekonstruktion einzelner philosophischer Lehr- 227 Neue Forschungen zum Neuplatonismus (1995–2003). Teil II 15 Commentarium in Platonis „Parmenidem“, ed. A. Linguiti, in: Corpus dei papiri filoso- fici greci e latini, testi e lessico nei papiri di cultura greca e latina, parte III, Firenze: Olschki 1995, 63-202 [eine neue Ausgabe des Textes mit französischer Übersetzung wird von A. Linguiti und A. Segonds für die „Collection des Universités de France“ (Budé) vorbereitet]; ders., „Sulla datazione del Commento al Parmenide di Bobbio: Un’analisi lessicale“, in: Il Parmenide di Platone e la sua tradizione, Atti del III Colloquio Interna- zionale del Centro di Ricerca sul Neoplatonismo. Università degli Studi di Catania, 31 maggio – 2 giugno 2001, a cura di M. Barbanti e F. Romano, 307-322. Eine exzellente Zusammenfassung der Forschungsdiskussion bietet M. Zambon (Anm. 12), 35-41. 16 Entretiens sur L’Antiquité Classique 12 (1965), 1-25 [wieder abgedruckt in: H. Dörrie, Platonica Minora (Studia et Testimonia Antiqua, 8), München: Fink 1976, 406-419]. Das Zitat steht auf S. 3. 17 Der Text (= Frg. 236 Smith) wird bei Zambon auf S. 211f. en passant erwähnt (die Stelle fehlt allerdings im Index s.v. ‚Simplicius‘ wie auch die meisten anderen Referenzen zu der Simplikiosstelle. Diese sind aber im Index unter ‚Pophyrius, peri hulês‘ verzeichnet). Zur Forschungsdiskussion um das Moderatosreferat vgl. den exzellenten Aufsatz von Chr. Tornau, „Die Prinzipienlehre des Moderatos von Gades: Zu Simplikios in Ph. 230,34 – 231,24 Diels“, in: Rheinisches Museum für Philologie N.F. 143 (2000), 197-220. meinungen des Porphyrios ist der oft tendenziöse Charakter gewisser Fragmente oder Testimonien etwa eines Augustinus oder eines Eunapios (34). uploads/Litterature/ neue-diskussionen-ueber-neoplatonismus.pdf

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