Bochumer Philosophisches Jahrbuch für Antike und Mittelalter 7 (2002) © 2002 Jo

Bochumer Philosophisches Jahrbuch für Antike und Mittelalter 7 (2002) © 2002 John Benjamins B.V., Amsterdam RÜDIGER ARNZEN Ausgewählte Literatur in ›westlichen‹ Sprachen für das Studium der mittelalterlichen Philosophie in arabischer und persischer Sprache* Nach wie vor findet die mittelalterliche Philosophie in arabischer und persischer Sprache als eigenständiger Gegenstand philosophischen Forschens in der ›westlichen‹1 Welt relativ geringe Beachtung. Zwar konstatiert Hans Daiber in seiner umfangreichen Bibliographie im Jahre 1999 eine deutliche Zunahme der Publikationen zur »Islamic philosophy«,2 und zwar sowohl von Pu- blikationen, die die Eigenständigkeit der Philosophie in arabischer und persischer Sprache in den Vordergrund stellen, als auch von Kapiteln und Einträgen in allgemeinen philosophiege- schichtlichen Darstellungen und Enzyklopädien, wie schließlich von Editionen der Original- schriften und hieran anschließenden Studien; doch ist zu fragen, inwieweit diese Feststellung tatsächlich ein zunehmendes philosophisches Interesse an der mittelalterlichen Philosophie in arabischer und persischer Sprache belegt. Zum einen ist die von Daiber angeführte Zunahme der Publikationen in Relation zu der kaum noch überschaubaren wissenschaftlichen Publikationsschwemme der letzten Jahrzehnte im allgemeinen zu stellen (und es scheint durchaus fraglich, daß sich dann noch ein überpro- portionales Anwachsen der Publikationen zur Philosophie in arabischer und persischer Sprache errechnet), zum anderen ist zu den unterschiedlichen Publikationsformen folgendes zu beach- ten: 1. Alle von Daiber in diesem Zusammenhang angeführten Publikationen, die die Originali- tät und Eigenständigkeit hervorheben, sind in ›orientalischen‹ Sprachen verfaßt und damit der überwiegenden Zahl der Lehrenden der Philosophie(geschichte) nicht zugänglich. (Zudem han- delt es sich hierbei, unabhängig von der Publikationssprache, selbstverständlich nicht um phi- losophische Beiträge im engeren Sinne.) 2. Die Beiträge zu Philosophiegeschichten und Enzy- klopädien sind zumeist von Philosophen verfaßt, die zwar über ein fundiertes philosophiege- schichtliches Wissen verfügen, deren Kenntnisse der Philosophie in arabischer und persischer * Für Anmerkungen und bibliographische Ergänzungen zu einer früheren Version dieses Beitrags danke ich Prof. Dimitri Gutas (Yale University, New Haven). 1 Ich benutze das Wort ›westlich‹ hier und im folgenden in recht unpräziser und unwissenschaftlicher Weise: Der Ausdruck »›westliche‹ Sprachen« dient zur vereinfachten Bezeichnung einer kleinen Gruppe indoeuropäischer Sprachen (allen voran Deutsch, Englisch und einige romanische Spra- chen). Analog spreche ich vereinfachend von der ›westlichen‹ Welt, i. e. dem öffentlichen Raum, in welchem diese Sprachen vorrangig als Wissenschaftssprachen verwendet werden, sowie von ›west- lichen‹ Philosophen etc., i. e. Wissenschaftlern, die sich dieser Sprachen bedienen und Forschung überwiegend oder ausschließlich in diesen Sprachen rezipieren. Gleichermaßen unwissenschaftlich verwende ich den Ausdruck »›orientalische Sprachen« als Sammelbegriff für einige semitische, indo-iranische und altaische Sprachen. 2 H. Daiber, »What is the Meaning of and to What End Do We Study the History of Islamic Philoso- phy? The History of a Neglected Discipline«, in: id., Bibliography of Islamic Philosophy, 2 vols. (Leiden – Boston – Köln 1999), vol. I, S. xi-xxxiii. Literatur für das Studium der MA-Philosophie in arabischer und persischer Sprache Sprache sich aber weitgehend auf die mittelalterlichen lateinischen Übersetzungen (oft gar ohne Berücksichtigung moderner westlicher Übersetzungen des Originals), also auf einen recht limitierten und in seiner Zuverlässigkeit häufig sehr fragwürdigen Ausschnitt aus zweiter Hand, beschränken. In den wenigen Fällen, in denen derartige Beiträge von Arabisten oder Is- lamkundlern beigesteuert werden, handelt es sich hingegen meistens um allgemeine kontextu- elle Orientierungshilfen vom Typ ›Life and Works‹, woran an sich nichts auszusetzen ist, was jedoch nicht mit einer philosophischen Betrachtung der Geschichte philosophischer Probleme, geschweige denn mit systematischen philosophischen Sachaussagen zu verwechseln ist. 3. Umgekehrt ist hinsichtlich der großen Zahl neuer Editionen und Studien, die Daiber schließ- lich anführt, zu bemerken, daß diese, sofern sie sich mit den Originalschriften befassen, zum überwiegenden Teil eben nicht von Philosophen (Philosophiehistorikern), sondern von Arabi- sten, sprich: Philologen und Literaturwissenschaftlern, und von Islamwissenschaftlern angefer- tigt werden, was an ihren philologischen, literaturgeschichtlichen oder allgemein sozio-kultur- wissenschaftlichen und historiographischen Ansätzen und Instrumentarien oft unschwer zu er- kennen ist. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß auch bei einer kursorischen Bestandsauf- nahme des Lehrangebots philosophischer Institute deutscher Universitäten nicht zu konstatie- ren ist, daß sich die – vermutete oder tatsächliche – Zunahme der Publikationen etwa im uni- versitären Lehrbetrieb niederschlüge. Aus diesen einleitenden Bemerkungen wird bereits deutlich, daß wir es mit einem viel- schichtigen Problem zu tun haben, dessen Ursachen hier nicht weiter erörtert werden. Ich möchte an dieser Stelle lediglich drei besonders bedeutsame Aspekte der Problematik anreißen, die allesamt miteinander verwoben sind: 1. Wenn nichts über das Wesen und den eigentlichen Gegenstand der Philosophie eindeutig und unstrittig bestimmt ist, so doch dies, daß diese Un- klarheiten Teil der philosophischen Reflexion sind. Um die Beschäftigung mit der mittelalterli- chen Philosophie in arabischer und persischer Sprache als philosophische Tätigkeit zu etablie- ren, muß sich diese in dem Rahmen unterschiedlicher Philosophieverständnisse, insbesondere in dem Spannungsfeld ›systematische Philosophie versus Philosophiegeschichte‹ irgendwie po- sitionieren. Ohne eine gewisse systematische Fundierung, einen Entwurf von Philosophie (un- ter Berücksichtigung der Frage, ob und inwiefern dabei das Studium der Geschichte der Philo- sophie relevant ist), ist es schlechthin nicht plausibel, die Beschäftigung mit diesem Segment der ›Philosophie‹-Geschichte als von einer umfassenderen Kultur- und Geistesgeschichte diffe- renzierbare, spezifische Aufgabenstellung der Philosophie zu vindizieren. (Dabei ist freilich zu berücksichtigen, daß der Philosophiebegriff selbst Wandlungen unterworfen und gegenüber den jeweiligen historischen Philosophieentwürfen zu problematisieren ist.)3 2. In den vergangenen 150 Jahren sind diverse Zerr- und Vexierbilder der mittelalterlichen Philosophie in arabischer und persischer Sprache entstanden (Stichwörter: Orientalismus, Ethnozentrismus, arabische Philosophie als Mystizismus, Illuminationismus, bloße Vermittlerin antiken Denkens mit Aver- roes als historischem Schlußpunkt, veritas duplex-Theorie etc.). Diese irreführenden Ansätze sind kritisch zu hinterfragen und mit Hilfe einer rationalen Orientierung, also eines so weit wie möglich voraussetzungslosen vernunfttheoretischen Modells, ihrer ideologischen und/oder po- litisch oder ethnisch motivierten philosophiehistorischen Überbauten zu entkleiden.4 3. Herme- 3 Zu diesem Problemfeld vgl. L. B. Puntel, »Zur Situation der deutschen Philosophie der Gegenwart«, in: Information Philosophie 22/1 (1994), S. 20-30; J. Mittelstraß, »Die Philosophie und ihre Geschich- te«, in: H. J. Sandkühler (Hrsg.), Geschichtlichkeit der Philosophie. Theorie, Methodologie und Me- thode der Historiographie der Philosophie (Frankfurt a. M. – Bern – New York 1991), S. 11-30. 4 Die Ursachen der Entstehung und wechselseitigen Überlagerungen dieser Zerrbilder sind sicherlich nicht nur in den ›westlichen‹ Traditionen philosophiegeschichtlicher Ansätze zu suchen, sondern auch in dem Umstand, daß es der arabistischen und iranistischen Forschung bisher offenbar nicht gelungen ist, philosophisches Gedankengut in arabischer und persischer Sprache als solches, d. h. 126 Rüdiger Arnzen neutik und Methodologie stellen ein weiteres großes Problemfeld dar. Oben wurde bereits auf die dominante philologisch-interpretatorische Strömung hingewiesen. Besonderer Beliebtheit bei ›westlichen‹ Islamwissenschaftlern erfreut sich auch ein historisch-soziokultureller Ansatz, der zu manch voluminöser Publikation über einen arabisch schreibenden Philosophen ohne eine einzige gehaltvolle philosophische Aussage führt (womit ich durchaus nicht deren Wert im Hinblick auf islamwissenschaftliche oder historiographische Aspekte in Frage stellen möchte). Die hermeneutischen Instrumentarien und Methoden von Kultur- und Literaturwissenschaft- lern, Historikern und Philosophen können nun aber, unter der Voraussetzung eigenständiger Forschungsinhalte, nicht einfachhin wechselseitig übernommen werden. Für die Untersuchung der mittelalterlichen Philosophie in arabischer und persischer Sprache bedeutet dies die Not- wendigkeit einer schärferen Trennung zwischen den verschiedenen Methoden und einer Pro- blematisierung der Berücksichtigung kontextueller Parameter und historisch-soziologischer Faktoren.5 Es ist jedoch nicht der Zweck der folgenden Literaturübersicht, diese Fragen zu vertiefen, sondern Studierenden und Lehrenden der Philosophie, die keine Kenntnisse des Arabischen und des Persischen haben, eine strukturierte Orientierungshilfe an die Hand zu geben und zu- gleich aufzuzeigen, daß eine Beschäftigung mit dieser Philosophie ohne derartige Sprachkennt- nisse (in einem zwar begrenzten, doch durchaus sinnvollen Rahmen) ebenso möglich ist, wie die heute immer weiter verbreitete Beschäftigung mit der antiken griechischen Philosophie ohne entsprechende Griechischkenntnisse.6 Eine Beschränkung auf die arabische und die persi- sche Sprache wird dadurch nahegelegt, daß dies im islamisch geprägten Raum des Mittelalters die wichtigsten Sprachen des philosophischen Schrifttums sind (mit deutlichem Vorrang des Arabischen), deren sich sowohl Mitglieder diverser Ethnien als auch Angehörige nichtislami- scher Religionsgemeinschaften und Freidenker zur Äußerung ihrer philosophischen Gedanken philosophisch und eben nicht ausschließlich oder überwiegend im historischen Kontext oder in sei- nen Bezügen zur Entwicklung der islamischen Theologie oder Mystik, zu untersuchen und als se- riösen philosophischen Beitrag zu präsentieren. Eine kritische Darstellung einiger dominanter An- sätze des 20. Jahrhunderts wurde jüngst von Dimitri Gutas vorgelegt: D. Gutas, »The Study of Ara- bic Philosophy in the Twentieth Century. An essay on the historiography of Arabic philosophy«, in: British Journal of Middle Eastern Studies 29 (2002), S. 5-25. Eine monographische Untersuchung der politischen Interpretation der arabischen Philosophie bei Leo Strauss bietet G. Tamer, Islami- sche Philosophie und die Krise der Moderne: das Verhältnis von Leo Strauss zu Alfarabi, Avicenna und Averroes (Leiden – Boston – Köln 2001 [Islamic Philosophy, Theology and Science; vol. 43]). Lesenswerte Kritiken des orientalistischen Ansatzes enthalten zudem die beiden folgenden Aufsät- ze: I. B. Madkour, »The Study of Islamic Philosophy«, in: Al-TawhÍd. A Quarterly Journal of Is- lamic Thought and Culture I,1 (1983), S. 83-96, und M. Mahdi, »Orientalism and the Study of Is- lamic Philosophy«, in: Journal of Islamic Studies 1 (1990), S. 73-98. 5 Vgl. hierzu den Sammelband: M. Kusch (Hrsg.), The Sociology of Philosophical Knowledge (Dor- drecht – Boston – London 2000); dort bes. die Beiträge von Volker Peckhaus und Jorge J. E. Gracia. Außerdem: G. Pasternack, »Wahrheit oder Plausibilität? uploads/Philosophie/ arnzen-r-literatur.pdf

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