Sechster Tag Erlebnisse Heuristiken Pl¨ ane Zuk¨ unfte Und Gott machte die Tier
Sechster Tag Erlebnisse Heuristiken Pl¨ ane Zuk¨ unfte Und Gott machte die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art und alles Gew¨ urm des Erdbodens nach seiner Art. (...) Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib. (...) Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag. Genesis 1, 25–31 Am selben Tage jedoch, da die Worte des PHILOSOPHEN derlei marginale Spielchen der ausschweifenden Phantasie rechtfertigen w¨ urden, wahrlich, ich sage dir, am selben Tage w¨ urde das Mar- ginale ins Zentrum springen, und die Mitte w¨ are verloren. Umberto Eco, Der Name der Rose Da wir nicht wissen (...), wie wir geboren wurden, ist unser Na- bel, eine ontogenetische Notwendigkeit, f¨ ur uns ein ontologisches R¨ atsel, ein Geheimnis oder ein Witz. Heinz von Foerster, Betrifft: Erkenntnistheorien Dem T¨ uchtigen ist diese Welt nicht stumm! Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen? Was er erkennt, l¨ aßt sich ergreifen. Er wandle so den Erdentag entlang; Wenn Geister spuken, geht er seinen Gang. Johann Wolfgang von Goethe, Faust II New ideas have a way of popping up precisely when, in a certain sense, one least wants them to, and so one simply has to go with the flow. Douglas R. Hofstadter, Le Beau Ton de Marot 213 Die Statue gewinnt nur dann die volle Vernunft, das volle Leben, wenn sie ihre eigene fr¨ uhere Leere erkennt, wenn sie die Kon- struktion erkennt, aus der sie wurde. Dies aber ist es, was wir in Ihnen erahnen m¨ ussen, Sir. Lawrence Norfolk, Lempri` ere’s W¨ orterbuch Jeder Satz, den ich schreibe, meint immer schon das Ganze, also immer wieder dasselbe und es sind gleichsam nur Ansichten eines Gegenstandes unter verschiedenen Winkeln betrachtet. Ludwig Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen 214 Soweit ich mich erinnere, widmen wir uns jetzt den Mythologi- en, Strategien, Technologien, Witzen etc., etc., die dieser Foer- ster verwendet, um seine merkw¨ urdigen geistigen Seifenblasen zu verkaufen. Ist das richtig? In unserer großen Spielkiste finden sich unz¨ ahlige Programme. Wir sind auf der Suche nach den Foerster-Modulen. Foerster-Module, Programme, programmiert ..., ich bin in die- sem Augenblick nicht gl¨ ucklich, die Konzepte von Programmen zu verwenden. Ich gebrauche nat¨ urlich auch das Konzept des Programms, wann immer ich hoffe, daß daraus eine wichtige Un- terscheidung, eine fruchtbare Heuristik entsteht. Die Menschen wissen ja, was das Wort ”Programm“ bedeutet. Im Falle der Un- terscheidung von trivialen und nicht-trivialen Maschinen scheint diese Trennung gut funktioniert zu haben, viele Menschen haben diese Unterscheidung ¨ ubernommen und adoptiert, viele Leute sa- gen: ”Aha, jetzt verstehe ich mehr ¨ uber meine Umgebung“ etc. In unseren Gespr¨ achen ¨ uber die ”Magie der Rekursion“ begegne- ten wir zwei Typen von Operatoren: Operatoren erster Ordnung und Operatoren zweiter Ordnung, welche die Operatoren erster Ordnung auf die Reise schicken. Versuchen wir gespr¨ achswei- se – vielleicht unterst¨ utzt durch den Ausdruck ”Modul“ – solche Foerster-Operatoren erster und zweiter Stufe zu finden. Bevor du auch noch in die Ausarbeitung der Programmzeilen gehst, m¨ ochte ich dich vor etwas warnen. Es gibt einen wichtigen Grund, warum mir die Idee des Programms und der Foerster- Operatoren so wenig behagt. Mir ist n¨ amlich aufgefallen, auch schon zu fr¨ uheren Zeitpunkten, daß ich selten ¨ uber mich reflek- tiere. Ich denke zwar oft ¨ uber das ”Ich“ nach, aber ¨ uber mich selbst eigentlich nie. Ich glaube, Psychoanalytiker h¨ atten Schwie- rigkeiten, mit mir irgend etwas anzufangen. Wenn mich jemand fragt: ”Was f¨ uhlst du beim X?“, oder: ”Was geht in dir beim Y vor?“ ... keine Ahnung! Ich scheine eher spontan zu sein. Wenn die Situation so ist, mach’ ich das, wenn sie anders ist, mach’ ich jenes durch. Was immer ich tue, ich tue es nicht mit Absicht oder von langer Hand vorbereitet. Es kommt einfach, und dann agiere ich, so gut ich kann. Ich weiß nicht, ob wir mit ”Programmen“, 215 ”Operatoren“ oder ”Modulen“ sehr weit bzw. ¨ uberhaupt von der Stelle kommen. Segeln wir – zumindest metaphorisch – weiter unter der Pro- gramm-Flagge. Programme k¨ onnen ja sehr viele Zufallskompo- nenten enthalten, sich als flexibel und als rekonfigurierbar erwei- sen! Verwenden wir die Heuristiken mit den Operatoren erster Stufe, zweiter Stufe – und betrachten wir solche Operatoren als ”Module“, die uns zusammen zum ”Foerster-Programm“ f¨ uhren, und beginnen wir, als Einstimmung, mit den Operatoren erster Stufe. Ich wiederhole mich: Ich habe keinen Plan, keine Absicht, verste- he nicht, wieso ich dieses und jenes durchf¨ uhre. Und deswegen bin ich wahrscheinlich auf die Unerkl¨ arbarkeit in vielen Berei- chen gestoßen, weil ich mich selbst nicht erkl¨ aren oder vorher- sagen kann. Wenn daf¨ ur Programme und Module helfen, dann operieren wir mit ihnen. Versuchen wir es einmal mit jenem Operator, den ich f¨ ur das wichtigste Foerster-Modul halte, n¨ amlich die ”Inversion“, das Umdrehen, das Umst¨ ulpen von eingelebten, ¨ uberkommenen Re- lationen. Ein bißchen kommt mir dieser Operator als Begriffs- Jakobiner vor: ”Der K¨ onig muß fallen, lang lebe die Revolution!“ Na, das gef¨ allt mir wieder besser. Und da f¨ allt mir gleich eine wichtige Episode aus meiner Studienzeit ein. Einer meiner Kol- legen auf der Technischen Hochschule sagte zu mir: ”Heinz, ich habe da ein paar Vorlesungen an der Universit¨ at geh¨ ort, da mußt du hingehen. Morgen ist wieder eine, gehen wir zusammen hin!“ Wir gingen gemeinsam zur Universit¨ at. Der Vortragende war ein Professor Scheminzky, und der Titel: ”L¨ aßt sich Leben k¨ unstlich darstellen?“1 Ich betrat den H¨ orsaal, und der war be- reits gesteckt voll. In der ersten Reihe saßen nat¨ urlich die großen Professoren der Biologie und andere Respektabilit¨ aten. Der Vor- sitzende k¨ undigte an: ”Professor Scheminzky wird jetzt ¨ uber das Problem sprechen: ’L¨ aßt sich Leben k¨ unstlich darstellen?‘“ Dar- aufhin standen die M¨ anner in der ersten Reihe geschlossen auf und marschierten aus Protest hinaus. Die Gruppe mit den re- spektablen B¨ arten, die großen Professoren, waren einfach weg. Wir Jungen sagten uns nat¨ urlich, das muß der richtige Weg sein; 216 diese Vortragsreihe und ihre Inhalte sind das Richtige f¨ ur uns. Die beste Propaganda f¨ ur irgendeine Idee ist f¨ ur mich noch immer: Die Orthodoxie marschiert zur T¨ ur hinaus. Diese Vortragsreihe wurde seinerzeit vom ”Wiener Kreis“ organisiert.2 Noch ein weiteres Beispiel: Du siehst wahrscheinlich immer wie- der, daß ich einen Prozeß oder eine Relation besonders dann gerne umdrehe, wenn darin eine Asymmetrie angedeutet wird. Finde ich in irgendeinem Satz eine begriffliche Asymmetrie, dre- he ich sie sofort um und untersuche, was f¨ ur Konsequenzen da- mit verbunden sein k¨ onnten. Ein ganz modernes Wort bei uns ist derzeit die ”bottom line“, der ”Schlußstrich“. Die amerikanische ¨ Okonomie besteht heute ausschließlich aus solchen ”Schlußstri- chen“. Die ”bottom line“ findet sich am Ende einer Rechnung, in der geschrieben steht: ”Das waren unsere Gewinne, das unsere Verluste, das unsere Einnahmen, das die Ausgaben an die An- gestellten, die Ausgaben f¨ ur den Rauchfangkehrer – Schlußstrich – ”bottom line“ – minus zweitausendzweihundertsechsundsiebzig komma dreiundzwanzig. Alles schaut gebannt auf die ”bottom line“, den Schlußstrich. Und in einem solchen Fall beginne ich zu invertieren: ”Also, Sie schauen immer so fasziniert auf die ’bottom line‘, sehr gut. Wis- sen Sie was, ich schaue immer auf die ’top line‘ – die ’Kopfzeile‘ oder den ’Anfangsstrich‘. Vielleicht l¨ auft in Ihren Ans¨ atzen be- reits da oben etwas fundamental schief. Wollen wir doch einmal gemeinsam intensiv auf die ’top line‘ schauen!“ – Solche Inver- sionen f¨ uhre ich immer wieder begeistert durch. Lautet ein Satz ABCD, dann interessiere ich mich f¨ ur DCBA. Ich glaube, auch die Theorien des Humors behaupten, daß solche Umdrehungen – vor allem wenn sie unerwartet passieren – die Grundlage, den Kern, den ”Witz“ des Witzes und des Humors bilden. Wenn du willst, kannst du sagen, mein Zentralthema ist – der Witz. Aus deinen Wiener Tagen stammt ja auch ein sehr aufschlußrei- cher Inversionsversuch – du hast S¨ atze des ”Tractatus“ ”umge- dreht“. 217 Ich habe ja gewisse Schwierigkeiten, Wittgenstein meinen kon- struktivistischen Freunden zu ”verkaufen“ oder wenigstens n¨ aher- zubringen. Warum? Da gibt es einige S¨ atze im ”Tractatus“, die ¨ uberhaupt nicht konstruktivistisch interpretiert werden k¨ onnen, sie stellen gewissermaßen Ohrfeigen f¨ ur Konstruktivisten dar. Nimm zum Beispiel das ”Abbildungstheorem“ von Wittgenstein, dieser ber¨ uhmte Satz 2.12: ”Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit.“ Ernst von Glasersfeld sagte mir dazu einmal: ”Als ich zu dieser Stelle kam, legte ich das Buch weg – und las es nicht mehr weiter. F¨ ur mich ein v¨ olliger Unsinn – zuerst wird die Welt postuliert, und dann kommt die Abbildung hinterher. Wir sind keine Ab- bildner!“ Gut, jetzt kommt der Heinz von Foerster und beginnt sein ”Um- drehspiel“: ”Die Wirklichkeit ist ein Modell des Bildes.“ Hier wird das Bild zur Ursache, und die ”Welt“, unsere ”Wirk- lichkeit“, die Folge, nicht umgekehrt. Und mit dieser Inversion sind die Konstruktivisten nat¨ urlich ganz gl¨ ucklich, denn so sehen sie diese Verbindung auch. Ger¨ uploads/Geographie/ sechster-tag-heinz-von-foerster-pdf.pdf
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- Publié le Mai 14, 2021
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