5. K A P I T E L DIE EINWIRKUNG DES GRIECHISCHEN AUF DIE ENTSTEHUNG DER KOPTISC

5. K A P I T E L DIE EINWIRKUNG DES GRIECHISCHEN AUF DIE ENTSTEHUNG DER KOPTISCHEN LITERATURSPRACHE Über die Stellung des Koptischen in der Geschichte der ägyptischen Sprache und über die Herausbildung des Koptischen als Literatursprache sind wir durch die Forschungen von Kurt Sethe, Hermann Grapow und Fritz Hintze einerseits1, von Carl Schmidt, Siegfried Morenz und Georg Steindorff andererseits2 gut unterrichtet. Daß der Einwirkung des Grie- chischen bei der Entstehung des Koptischen eine wesentliche Rolle zu- kommt, wird allseits hervorgehoben; doch will es scheinen, daß die grie- chische Schrift und der griechische Anteil am Wortbestand des Koptischen zu einseitig in den Vordergrund gerückt werden3. Die folgenden Überle- gungen versuchen, dem Einfluß des Griechischen auch in der koptischen Morphologie, Wortbildung und -bedeutung sowie in der Syntax nachzu- gehen. i Das Koptische als die letzte, in christlicher Zeit gesprochene und ge- schriebene Sprachstufe des Ägyptischen hat sich in Fortsetzung des Wechsel- 1 K. Sethe, Das Verhältnis zwischen Demotisch und Koptisch und seine Lehren für die Geschichte der ägyptischen Sprache, ZDMG 79 (1925), S. 290—316. — H. Gra- pow, Vom Hieroglyphisch-Demotischen zum Koptischen. Ein Beitrag zur ägyptischen Sprachgeschichte, Sitzungsberichte d. Preuß. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse, 1938, S. 322—349. Ders., Ägyptisch. Vom Lebenslauf einer altafrikanischen Sprache, in: Der Orient in deutscher Forschung, Leipzig 1944, S. 205—216. -—• Fr. Hintze, Die Haupttendenzen der ägyptischen Sprachentwicklung, ZPh 1 (1947), S. 85-—107. 2 C. Schmidt, Die Urschrift der Pistis Sophia, ZNW 24 (1925), S. 218—240. — S. Morenz, Das Koptische, in: Handbuch der Orientalistik I 1, Leiden 1959, S. 90 bis 114. — G. Steindorff, Bemerkungen über die Anfänge der koptischen Sprache und Literatur, in: Studies Crum S. 189—214. Im folgenden übernehme ich einige Formu- lierungen meines Referates „Der Ursprung des Koptischen", Das Altertum 13 (1967), S. 78—84, das sich seinerseits auf die in Anm. 1 und 2 genannten Arbeiten stützt. 3 Die einleitenden Bemerkungen von H. J. Polotsky, Modes grecs en copte ? In: Studies Crum S. 73—90, treffen heute ebenso zu wie vor zwanzig Jahren. Brought to you by | Universiteit Leiden / LUMC Authenticated Download Date | 1/16/19 1:45 PM 328 Ä G Y P T E N spieles zwischen Schrift- und Volkssprache, das den gesamten Lebenslauf der ägyptischen Sprache durchzieht und je eine neue Entwicklungsstufe durch den Sieg der Volks- über die Literatursprache markiert, als Volks- sprache aus dem Neuägyptischen herausgelöst. Als paralleler schriftsprach- licher Ausläufer des Neuägyptischen steht dem Koptischen das Demo- tische, welches diesen Namen als „literarisch-juristische Kunstsprache" (S. Morenz) zu Unrecht führt, gegenüber4. Das eigentliche „Demotische", wenn wir es im Wortsinne verstehen, ist vielmehr das Koptische, das seinerseits durch Christentum und Gnosis in die Rechte der Literatur- sprache erhoben wurde und den Lebenslauf der ägyptischen Sprache be- schloß. In dem Ablauf: Altägyptisch-Mittelägyptisch-Neuägyptisch samt seinen parallelen, wenn auch ungleich langen5 Ausläufern Demotisch und Koptisch bezeichnet nur das Neuägyptische einen tieferen Einschnitt in der ägyp- tischen Sprachgeschichte. Die jüngeren Sprachstufen des Ägyptischen, vom Neuägyptischen an bis einschließlich des Koptischen, faßt Kurt Sethe unter dem einheitlichen Begriff „Neuägyptisch" zusammen6. Jenes „Neuägyptisch" hat Fritz Hintze7 als das Ergebnis eines System- umbaues der ägyptischen Sprache erkannt, dessen Tendenzen im älteren System selbst angelegt sind. Das Wesen der ägyptischen Sprachentwicklung, die schließlich einen typologischen Umbau herbeiführte, läßt sich nach Hintze auf zwei Prinzipien zurückführen: „Konversion" und die Tendenz zur analytischen Sprachform. Vereinfacht ausgedrückt, stehen im Alt- ägyptischen die grammatischen Signifikanten hinter dem Bedeutungs- träger, im Neuägyptischen davor (z. B. Abfall von Genus- und Numerus- endung, Vorantritt des Artikels). Die analytische Tendenz drückt sich z. B. darin aus, daß die alte sdm./-Konjugation zugunsten von Umschrei- bungen mit Hilfsverben des „Tuns" und „Seins" abgebaut wird, wobei im 4 S. Morenz, Das Koptische S. 90. Es ist jedoch zu beachten, daß Herodot II 36 mit den Bezeichnungen „Hieratisch" und „Demotisch" auf den Unterschied zwischen sakralem und profanem Gebrauch zielt (Siacpaaioiai 8£ yp&nnaai yptavTai, Kai tcc h£v IpA, t¿t 8i SriiiooTiKÄ KaXirrai). 6 Formuliert im Anschluß an H. Grapow, Vom Hieroglyphisch-Demotischen zum Koptischen S. 323; s. dazu auch die graphische Darstellung bei K. Sethe, ZDMG 79 (1925), S. 316. 6 K. Sethe, a. a. O. S. 304—311. 7 Fr. Hintze, ZPh 1 (1947), S. 85—107, bes. 88—90. Brought to you by | Universiteit Leiden / LUMC Authenticated Download Date | 1/16/19 1:45 PM V. EINWIRKUNG DES GRIECH. AUF DIE KOPT. LITERATURSPR. 3 2 9 Einklang mit der „Konversion" Konjugationsthema und Subjekt vor dem Verbum stehen. Ist das Koptische also typologisch durchaus dem Neuägyptischen ver- bunden, so erscheint es seiner äußeren Gestaltung nach, in Schreibweise und Schrift, als Fremdling in der ägyptischen Sprachgeschichte. Das vorkoptische Ägyptisch wurde in solchen Zeichen und Zeichengruppen fixiert, die nur den Konsonanten oder Konsonantengruppen darstellen und folglich allein das Skelett des Lautkörpers wiedergeben. Die hie- roglyphische Schrift samt ihren hieratischen und demotischen Deri- vationen ist der Darstellung nach den Grenzen einer Bilderschrift verhaftet geblieben8. Bis an die Schwelle des Koptischen gelangte die ägyptische Sprache nicht zu einer Kongruenz zwischen dem gesprochenen und ge- schriebenen Wort, auch nicht in dem günstigen Falle, wenn soeben der aktuelle Stand der Volkssprache normiert wurde. Erst das Koptische bricht mit der Tradition und erlangt seiner Darstellungsweise nach einen Sonderstatus; denn das Koptische wird mit solchen Schriftzeichen fixiert, die dem Kontinuum des Sprechaktes entsprechen. Mit diesem Kontinuum meine ich die im Sprachsystem geregelte Abfolge von konsonantischen und vokalischen Phonemen. Die Einbeziehung vokalischer Zeichen war schrift- geschichtlich ein revolutionärer Akt und stellte die ägyptische Sprache vor eine neue Ausgangsposition. Sie führte erstmals zur Kongruenz zwi- schen dem Sprechverlauf und seiner zeichenhaften Darstellung. Diese Schreibung war freilich keine „Lautschrift" in dem Sinne, daß das Schrift- bild die tatsächliche Aussprache wiederzugeben imstande wäre (so Grapow, Steindorff). Die koptische Schrift hat wie die griechische phonologischen Charakter, da ein Schriftzeichen nicht das gesamte Spektrum der lautlichen Realisierungsmöglichkeiten erfaßt. Man weiß durch Grapows anschauliche Schilderung9, in welchem Auf- lösungsprozeß sich das komplizierte und auch konträre (traditionelle und traditionslose Schreibung) demotische Schriftsystem befand und wie seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. behutsam tastende Versuche zur Translittera- 8 S. besonders Grapow, a. a. O. S. 324!. Grapows Urteil über den Charakter der ägyptischen Schreibung trifft trotz der beachtlichen und erfolgreichen Versuche zur Rekonstruktion des ägyptischen Vokalismus (Sethe 1923, Edel 1954, Fecht i960) immer noch zu — bezeichnend ist eben, daß der ägyptische Vokalismus nicht aus der „Schrift" als solcher hervorgeht, sondern auf dem Wege der Rekonstruktion ermittelt werden muß. 9 Grapow, a. a. O. S. 339—348. Brought to you by | Universiteit Leiden / LUMC Authenticated Download Date | 1/16/19 1:45 PM 330 ÄGYPTEN tion mit griechischen Buchstaben einsetzten, bis die koptische Schrift mit ihren 24 griechischen und 7 einheimischen10 Zeichen etabliert worden ist. Die Übernahme des griechischen Schriftsystems, die erste und nach- haltigste Einwirkung des Griechischen auf die Entstehung der koptischen Schriftsprache, war seit der mit dem 7. Jahrhundert v. Chr. einsetzenden, seit der Ptolemäerzeit im großen erfolgenden griechisch-ägyptischen Sym- biose naheliegend, aber nicht selbstverständlich11. Eine Vereinfachung hätte sich den demotischen Schreibern dadurch an- bieten können, daß sie nach Art der aramäischen Sprache ein Alphabet schufen, das nur aus Einkonsonantenzeichen bestand. Das Demotische hatte ja für alle konsonantischen Phoneme einkonsonantische Zeichen zur Verfügung — oder man hätte das in Ägypten bekannte aramäische Alpha- bet in extenso übernehmen können: Sämtliche konsonantischen Phoneme des Ägyptischen waren durch das aramäische Alphabet gedeckt. Das Ara- mäische hatte in dieser Hinsicht einen bedeutsamen Vorsprung vor dem griechischen Alphabet, das für die Anwendung auf das Ägyptische noch der Ergänzung durch einheimische Zeichen bedurfte. Das aramäische Alphabet wäre wohl fremd, aber homogen, das gräko-ägyptische ( = kop- tische) Alphabet ist gleichfalls überwiegend fremd und zudem heterogen! Der Vorzug des griechischen Alphabets bestand einzig in dem Vorhanden- sein vokalischer Zeichen, aber dieser Vorzug war durchschlagend. Gewiß ist das griechische Schriftsystem zuerst in einheimischen Zauber- texten adaptiert worden, kommt es doch im Zauber streng auf den Wort- laut an, damit sich bei falscher Aussprache die magische Formel nicht gegen den Beschwörenden selbst kehre. Indessen sind solche Versuche nicht über die Anfänge hinausgediehen und sollten daher nicht überschätzt werden. Die einheimisch-heidnischen Kreise, bei denen derartige Texte im Umlauf waren, haben von einer generellen und — worauf es ankommt — aus- schließlichen Aneignung des griechischen Schriftsystems abgesehen und schon gar nicht den aktuellen Laut- und Formenstand mittels der grie- 10 Nicht eingerechnet die durch diakritische Zeichen weiterentwickelten Formen der Grundbuchstaben 2 (> „gestrichenes" 2 des achmlmischen Dialektes) und (j) • 1 • (> 6) in der Ascensio Isaiae, vgl. P. E. Kahle, Bala'izah I, London 1954, S. 205). Ein eigenes Problem bieten die in Papyrus Bodmer VI (Livre des Proverbes, ed. par R. Kasser, Louvain i960 = CSCO 194) verwendeten demotischen Zeichen, die nach unserer Kenntnis auf diesen Text beschränkt sind und sich in der koptischen Schrift- geschichte jedenfalls nicht durchgesetzt haben. 11 Vgl. zum folgenden P. Nagel, Das Altertum 13 (1967), S. 82I Brought to you by | Universiteit Leiden / LUMC Authenticated Download Date | 1/16/19 1:45 PM V. E I N W I R K U N G D E S GRIECH. A U F D I E KOPT. L I T E R A uploads/Litterature/ die-einwirkung-des-griechischen-auf-die-entstehung-der-koptischen-literatursprache.pdf

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