Dieter W. Halwachs unter Mitarbeit von Gerd Ambrosch / Ursula Glaeser / Kathari

Dieter W. Halwachs unter Mitarbeit von Gerd Ambrosch / Ursula Glaeser / Katharina Martens / Michael Wogg MORPHOLOGIE DES ROMAN Arbeitsbericht 3A des Projekts Kodifizierung und Didaktisierung des Roman Verein Roma/Oberwart 1998 2 Herstellung und Druck gefördert von: Bundeskanzleramt / Volksgruppenförderung Bundesministerium für Wissenschaft Bundesministerium für Unterricht 3 Vorwort Die als Arbeitsbericht 3A vorliegende Morphologie des Roman (= Selbstbezeichnung der Burgenland-Roma für ihre Romani-Variante) ist eine überarbeitete, korrigierte und modifi- zierte Version des 1996 erschienenen Arbeitsberichts 3 – Morphologie des Roman. Basis- grammatik der Romani-Variante der Burgenland-Roma – und entspricht dem Morpholo- gieteil des 1998 bei Drava in Klagenfurt erscheinenden ersten Buchs zum Roman - Amaro Vakeripe Roman Hi - Unsere Sprache ist Roman. Primäres Ziel dieser Arbeit ist es, die Morphologie oder, um die traditionelle Termino- logie zu verwenden, die »Formenlehre« des Roman zu beschreiben. Der Aufbau bzw. die Gliederung folgt in etwa dem Vorbild traditioneller Formenlehren: Nomen und Pronomen, Verb und Partikel. In diesem vorgegebenen Rahmen ist grundsätzlich nicht vorgesehen, die Herkunft und die spezifischen Verwendungen der jeweiligen Strukturen umfassend zu klären, sondern es geht einzig und allein darum, die im Roman möglichen Formen aufzulisten und durch Bei- spiele zu illustrieren. Es sei in diesem Zusammenhang einerseits auf die derzeit in Arbeit befindliche Syntax verwiesen, andererseits aber auch auf die im Rahmen des Projekts ge- plante umfassende Datenbankdarstellung des Roman, deren allgemeine Zugänglichkeit mit Abschluß der Kodifizierungsarbeiten geplant ist. Dieter W. Halwachs AN WEITEREN PROJEKT-PUBLIKATIONEN SIND DERZEIT ERHÄLTLICH: Dieter W. HALWACHS / Gerd AMBROSCH / Dieter SCHICKER (1996) Roman, seine Verwendung und sein Status innerhalb der Volksgruppe. Ergebnisse einer Befragung zu Sprachverwen- dung und Spracheinstellung der Burgenland-Roma, Arbeitsbericht 1 des Projekts Kodifizie- rung und Didaktisierung des Roman, Oberwart: Publikation des Vereins Roma. Dieter W. HALWACHS (1996) Die Verschriftlichung des Roman, Arbeitsbericht 2 des Projekts Kodifizierung und Didaktisierung des Roman, Oberwart: Publikation des Vereins Roma. Dieter W. HALWACHS / Erika HORVATH / Gerd AMBROSCH / René SARKÖZI (1996) Amen Ro- man Pisinas, Klagenfurt: Hermagoras. Christiane FENNESZ-JUHASZ / Dieter W. HALWACHS / Mozes F. HEINSCHINK (1996) Sprache und Musik der Österreichischen Roma und Sinti (= Sonderdruck aus den Grazer Linguisti- schen Studien 46, S. 61-110). 4 5 Inhaltsverzeichnis 1 NOMEN UND PRONOMEN ........................................................................................7 1.1 Substantiv ..............................................................................................................7 1.1.1 Kasus .....................................................................................................................8 1.1.1.1 Akkusativ...............................................................................................................8 1.1.1.2 Dativ ......................................................................................................................8 1.1.1.3 Genitiv ...................................................................................................................9 1.1.1.4 Instrumental / Soziativ...........................................................................................9 1.1.1.5 Ablativ ...................................................................................................................9 1.1.1.6 Lokativ.................................................................................................................10 1.1.1.7 Zusammenfassung ...............................................................................................11 1.1.2 Substantivklassen.................................................................................................12 1.1.2.1 Maskulina ............................................................................................................12 1.1.2.2. Feminina ..............................................................................................................20 1.1.2.3 Plural-Substantiva................................................................................................24 1.2 Artikel..................................................................................................................25 1.3 Pronomen.............................................................................................................26 1.3.1 Personalpronomen ...............................................................................................26 1.3.1.1 Klitisches Personalpronomen ..............................................................................27 1.3.2 Possessivpronomen..............................................................................................27 1.3.2.1 Reflexives Possessivpronomen............................................................................28 1.3.3 Reflexivpronomen ...............................................................................................29 1.3.4 Demonstrativpronomen .......................................................................................29 1.3.5 Relativpronomen .................................................................................................32 1.3.6 Interrogativpronomen ..........................................................................................32 1.3.7 Indefinitpronomen ...............................................................................................33 1.4. Adjektiv ...............................................................................................................36 1.4.1 Deklinable Adjektiva...........................................................................................36 1.4.1.1 Derivationelle Adjektiva......................................................................................38 1.4.2 Indeklinable Adjektiva.........................................................................................40 1.4.2.1 Deutsche Entlehnungen .......................................................................................41 1.4.3 Komparation ........................................................................................................42 1.5 Numerale..............................................................................................................43 1.5.1 Kardinalzahlen.....................................................................................................43 1.5.2 Ordinalzahlen.......................................................................................................45 1.5.3 Multiplikativzahlen..............................................................................................45 2 VERB ....................................................................................................................47 2.1 Tempus ................................................................................................................47 2.1.1 Präsens.................................................................................................................47 2.1.2 Futur.....................................................................................................................48 2.1.3 Präteritum ............................................................................................................49 2.2 Verbklassen..........................................................................................................53 2.2.1 Klasse e................................................................................................................53 2.2.2 Klasse a................................................................................................................56 2.2.3 Klasse Ø...............................................................................................................57 2.2.4 Sonderformen ......................................................................................................60 6 2.2.4.1 'sein' .....................................................................................................................60 2.2.4.2 'werden'................................................................................................................62 2.2.4.3 Impersonalia ........................................................................................................63 2.3 Modus..................................................................................................................64 2.3.1 Imperativ..............................................................................................................64 2.3.2 Konditional..........................................................................................................65 2.3.3 Konjunktiv...........................................................................................................66 2.3.3.1 'Erlaubnis' ............................................................................................................67 2.3.3.2 'Möglichkeit'........................................................................................................67 2.3.3.3 'Fähigkeit'.............................................................................................................68 2.3.3.4 'Notwendigkeit, Zwang, Nötigung'......................................................................68 2.3.3.5 'Auftrag, Aufforderung, Forderung'.....................................................................69 2.3.3.6 'Wunsch' ..............................................................................................................70 2.4 Infinite Formen....................................................................................................70 2.4.1 Infinitiv................................................................................................................70 2.4.2 Partizip Perfekt Passiv.........................................................................................71 2.4.3 Partizip Präsens ...................................................................................................73 2.5 Passiv...................................................................................................................74 2.5.1 Analytisches Passiv .............................................................................................74 2.5.2 Periphrastisches Passiv........................................................................................75 3 PARTIKEL .............................................................................................................77 3.1 Adverb.................................................................................................................77 3.1.1 Semantische Gruppen..........................................................................................80 3.1.1.1 Lokaladverbia......................................................................................................80 3.1.1.2 Temporalaverbia..................................................................................................80 3.1.1.3 Modaladverbia.....................................................................................................81 3.1.1.4 Kausaladverbia ....................................................................................................81 3.1.1.5 Interrogativadverbia.............................................................................................81 3.1.2 Graduierung der Adverbia...................................................................................82 3.2 Präposition...........................................................................................................82 3.3 Konjunktion.........................................................................................................83 3.4 Negationspartikel.................................................................................................84 3.5 Modalpartikel ......................................................................................................85 3.6 Gradpartikel.........................................................................................................86 3.7 Konjunktivpartikel...............................................................................................86 3.8 Komparationspartikel..........................................................................................87 3.9 Narrativpartikel ...................................................................................................87 3.10 Interrogativpartikel..............................................................................................87 3.11 Verbalpartikel......................................................................................................87 ÜBERBLICK - SUBSTANTIVKLASSEN .....................................................................88 ÜBERBLICK - VERBKLASSEN ................................................................................88 GRAPHEME UND MORPHEME DES ROMAN............................................................89 LITERATUR ...........................................................................................................90 ABKÜRZUNGEN/ZEICHENERKLÄRUNG..................................................................91 7 1 Nomen und Pronomen Unter dieser Überschrift sind alle deklinablen Wortklassen – Substantiv, Artikel, Prono- men, Adjektiv und Numerale – subsumiert, die auch in dieser Abfolge behandelt werden. Die Kategorien des Nomens sind: – Genus: maskulin : feminin – Numerus: Singular : Plural – Belebtheit:[+ belebt] : [− belebt] – Kasus: casus rectus : casus obliquus 1.1 SUBSTANTIV Die Kategorie Kasus mit ihrer für alle Nomina geltenden Dichotomie – casus rectus : casus obliquus – bezeichnet Heinschink (1994) im Zusammenhang mit dem daraus resultierenden »zweistufigen Kasussystem« in der Deklination der Substantiva, das sich auch im »Hindi und anderen neuindischen Sprachen wiederfindet«, als »indisches Erbe« des Romani. »Es gibt morphologisch gesehen zwei Grundformen, den Nom. und den Obliquus; an die Obliquusform treten die übrigen Kasusmorpheme an, sodaß – wie in den neuindischen Sprachen – eine Folge von zwei Kasusmorphemen (bzw. Kasusmorphem + Postposition) zustandekommt. Außerhalb dieses Schemas steht der Vokativ.« (Boretzky/Igla 1994: 372) Zur Illustration dieser Zweistufigkeit das folgende Beispiel nach Heinschink (1994: 119): Nominativ = casus rectus: gav 'Dorf' casus obliquus: gav-es- Dativ: gav-es-ke 'dem Dorf' Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Substantiv-Deklination zwischen dem Ro- man und dem Romani illustriert die folgende Tabelle: m. Sg./A m. Sg./R f. Sg./A f. Sg./R Pl./A Pl./R Obl. -es -e -a -a -en -en Dat. -es-ke -es-ke -a-ke -a-ke -en-ge -en-ge Abl. -es-tar -es-tar (Präp.) -a-tar -a-tar (Präp.) -en-dar -en-dar (Präp.) Lok. -es-te -es-te (Präp.) -a-te -a-te (Präp.) -en-de -en-de (Präp.) Instr. -es-(s)a -e-ha -a-sa -a-ha -en-ca -en-ca Gen. -es-ko(ro) -es-ki(ri) -es-ke(re) -es-kero -es-keri -es-kere -a-ko(ro) -a-ki(ri) -a-ke(re) -a-kero -a-keri -a-kere -en-go(ro) -en-gi(ri) -en-ge(re) -en-gero -en-geri -en-gere Vok. -(ej)a Nom. -(ij)e Nom. -ale(n) Nom. R = Roman; A = nach Boretzky/Igla (1994: 372 f.) Der auffälligste Unterschied ist der Vokativ-Verlust. Abgesehen von einigen fossilierten Formen – roma 'Rom!', phrala 'Bruder!' – wird der Nominativ verwendet. 8 1.1.1 KASUS 1.1.1.1 AKKUSATIV Der Akkusativist Träger der Dichotomie [± belebt]. Bei belebten Sustantiva ist er immer gleich dem Obliquus und hat im mask. Sg. die Endung /-e/1, fem. Sg. /-a/, Pl. /-en/:2 Nom.: rom 'Mann/Rom' [+ belebt] Akk. = Obl.: rome Nom.: phen 'Schwester' [+ belebt] Akk. = Obl.: phenja Nom.: manuscha 'Menschen' [+ belebt] Akk. = Obl.: manuschen Der Akkusativ unbelebter Substantiva ist in der Regel immer gleich dem Nominativ: Nom.: tor 'Axt' [− belebt] Akk. = Nom.:tor Nom.: len 'Fluß' [− belebt] Akk. = Nom.:len Nom.: botschkori 'Schuhe' [− belebt] Akk. = Nom.:botschkori Logischerweise sind Personen belebt und alle Dinge und Sachen unbelebt, wobei es eine Art soziokulturell determinierten Übergangsbereich gibt: Bei Tieren ist beispielsweise 'Pferd' belebt, Nom.: gra, Akk.: graste, 'Käfer' hingegen unbelebt, Nom. = Akk.: bogari.3 1.1.1.2 DATIV Der Dativ, der Kasus des indirekten Objekts, wird in der Regel gleich wie im Romani ge- bildet: mask. Sg. /-es-ke/, fem. Sg. /-a-ke/, Pl. /-en-ge/: Ov le pajtaschiske parikerel. 'Er dankt dem Freund.' Ov la dschuvlake parikerel. 'Er dankt der Frau.' Ov le raklenge parikerel. 'Er dankt den Buben.' Wie aus einem Text von Knobloch (1953: 30) ersichtlich, wird statt Dativ manchmal der analytische Präpositionalkasus verwendet: raj fir o cilo Burgenland 'Herr für das ganze Burgenland' Solche analytischen Bildungen – Präposition + Nominativ – werden von kompetenten Sprechern meist als »Deutsch« klassifiziert und durch synthetische Dative »korrigiert«: raj le cile Burgenlandeske 'Herr für das ganze Burgenland' 1 Die Veränderung in der Obliquusendung im Akk. Sg. mask. belebter Substantiva – /-es/ → /-e/ – zeigt den Prozeß der /s/-Elision im absoluten Auslaut, der das Roman als »s-lose« Variante charakterisiert. 2 Auf die Funktionen der einzelnen Kasus wird in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen. Die Kasusfunktionen werden im Rahmen der Syntax des Roman (= Arbeitsbericht 6) ausführlich behandelt. 3 Beim Nom. gra 'Pferd' ist die auslautende Konsonantengruppe /-st/ ausgefallen. Daß diese ursprünglich auch im Roman vorhanden war, zeigen neben dem Akk. graste u. a. Instr. grasteha 'mit dem Pferd' und Nom. Pl. grasta. Gleiches gilt für va 'Hand', Instr. Pl. vastenca 'mit den Händen'. 'Hand' und 'Fuß', pro, sind übrigens unbelebt. 9 1.1.1.3 GENITIV Von den Möglichkeiten der Genitivbildung im Romani, nämlich einsilbige Kurzformen und/oder zweisilbige Langformen, treten im Roman ausschließlich Langformen bzw. zwei- silbige Morpheme auf: Sg. {/kero/keri/kere/}, Pl. {/gero/geri/gere/}. Der Genitiv hat – wie die Numerus- und Genusdifferenzierung andeutet – eine Sonder- stellung. Er wird formal wie ein Adjektivattribut behandelt und kongruiert mit dem jewei- ligen Bezugsnomen in Genus und Numerus:4 le dadéskero auteri 'das Auto des Vaters' le dadéskere autoreha 'mit dem Auto des Vaters' la dajákeri kefa 'die Bürste der Mutter' la dajákera kefaha 'mit der Bürste der Mutter' le rakléngere kereki 'die Fahrräder der Buben' le rakléngere kerekenca 'mit den Fahrrädern der Buben' Der bestimmte Artikel kongruiert in der determinierten Nominalphrase mit dem Possessi- vattribut und hat folglich die obliquue Form. Ausnahme hiervon sind Nominalphrasen mit Possessivattribut, die in etwa deutschen Substantivkomposita entsprechen: i kanéskeri karika 'der Ohrring' o dandéngero badari 'der Zahnarzt' 1.1.1.4 INSTRUMENTAL / SOZIATIV Die Singularformen des Instrumental bzw. Soziativ fungiert, unterscheiden sich vom Ro- mani durch den Prozeß /-VsV/ → /-VhV/: mask. Sg. /-es+sa/ → /-eha/, fem. Sg. /-a+sa/ → /-aha/. Die Pluralendung ist gleich dem Romani: /-enca/. Beispiele für den Instrumental: Le vasteha marel. 'Er/sie schlägt mit der Hand.' La kataha tschinav. 'Ich schneide mit der Schere.' Le svirenca buti keras. 'Wir arbeiten mit den Hämmern.' Beispiele für den Soziativ: Pre phraleha khelel 'Er spielt mit seinem Bruder.' Mra dajaha khere dschav. 'Ich gehe mit meiner Mutter nach Hause.' Le pajtaschenca buti keren. uploads/Litterature/ morphologie-des-roman-dieter-w-halwachs.pdf

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