Indische und griechische Metaphysik. Von Walter Ruben. Vorbemerkung. Diese Arbe
Indische und griechische Metaphysik. Von Walter Ruben. Vorbemerkung. Diese Arbeit ist als eine vergleichende Untersuchung der wesentlichen Züge der indischen und griechischen Metaphysiken gedacht. Mit Metaphysik ist dabei hauptsächlich die Diskussion des Problems von „Sein" und „Werden" gemeint, ungefähr das, was Aristoteles im Anfang seiner Metaphysik über seine 5 Vorgänger berichtet. Wenn er da mit Thaies beginnt, so ist das auch für die indische Metaphysik ein brauchbarer Anfang; wir haben aber, wie es auch in den Darstellungen der grie¬ chischen und indischen Philosophiegeschichte üblich ist, einige Vorbemerkungen über die religiösen Vorstellungen der mythi- 10 schen, vorphilosophischen Zeit vorausgeschickt, weil sie als Grundlage und charakteristischer Ausgangspunkt der beider¬ seitigen Metaphysiken wichtig sind. Was nun die Berechtigung der Vergleichung heider Kul¬ turen anbetrifft, so muß die Arbeit selber sie erweisen. Der 15 Vergleich als Methode der Geisteswissenschaft ist von Roth¬ ackeb im Handbuch der PhUosophie 1926 und einige Literatur zur Philosopliievergleichung ist in der Orientalischen Literatur¬ zeitung 1931, Sp. 96 ff. zusammengestellt. In der griechischen und indischen Metaphysik liegen wirk- 20 lich vergleichbare Geistesprodukte vor. Anfechtbar aber ist es schon, ob man Termini unserer phUosophischen Sprache — etwa „Philosophie", „Metaphysik" usw. — zur Beschreibung der Phänomene indischer Philosophie gebrauchen darf. Da in¬ dessen eine Übersetzung der indischen Termini unumgänglich 25 ist, imd da es möglich erscheint, die besondere Nuance solcher Zeitsohr. f. Ind. n. Iran. Bd. VIII. 11 148 W. Ruben. Termini, die im Indischen gemeint ist, durch eine in der bei- gegehenen Beschreibung oder im engeren Zusammenhange liegende Erklärung deutlich zu machen, haben wir des öfteren europäische Termini benutzt. Aber man muß sich natürlich 5 darüber klar sein, daß die europäischen Termini nur inner¬ halb der europäischen Philosophie berechtigt und nur aus europäischer Tradition verständlich sind, wie umgekehrt in¬ dische nur aus und in indischer Philosophiegeschichte. Wenn wir z. B. von „Intuitionismus" sprechen und damit den er- 10 kenntnistheoretischen Standpunkt meinen, daß Sätze, wenn sie „evident" sind, keines weiteren Beweises bedürfen, so geht das letztlich auf die Unterscheidung von Denken und Sinn¬ lichkeit bei Parmenides zurück und ist eine Beschreibung eines Standpunktes mit dem psychologischen Begriff der Intuitio. 15 Wenn aber die indische Mimärnsä einen analogen — nicht denselben! — Standpunkt vertreten will, daß nämlich die Richtigkeit einer Erkenntnis keines Beweises bedarf (s. u. S. 162, Anm. 1), gebraucht sie den 1.1. svatah-prämanya, der schließlich auf die Mädhyamika's zurückgeht, die als radikale 20 Skeptiker den Beweis angetreten hatten, daß keine Erkenntnis möglich sei, weil ihre Richtigkeit erst durch eine andere Er¬ kenntnis erwiesen werden müßte, deren Richtigkeit wiederum durch eine andere usw. in infinitum*). Der Standpunkt der 1) Vgl. NS., Erläuterung zu IIa 16. Tucci (Pre-Diiinaga Buddhist Texts on Logic from Chinese Sources, Gaekward's Or. Ser. XLIX, 1929, S. XXVII und Notes zu Vigrahavyävartini, ib. S. 37) erkennt an, daß die NS. gegen Nägärjuna gerichtet sind, sucht aber dies noch zu Uberbieten und meint, daß Nägärjuna seinerseits in dieser Diskussion die NS. zitiert und also mit ihnen (oder diesem Teil der NS.) „gleichzeitig' ist. Er stutzt sich dabei darauf, daß Vätsyäyana in diesem Zusammenhang NS. IIa 19 in zwei Weisen interpretiert, von denen nur die zweite einem Gedanken Nägärjuna's (Vi. vy. 34) entspricht, die erste darüber hinaus ein .Fortschritt' ist, um Nägärjuna's Kritik zu entgehen. Tucci ver¬ sucht aher gar nicht, meinen Hinweis zu widerlegen, daß gerade die .fortgeschrittene' Interpretation in dem NS. selber gemeint ist. Dies Kapitel beginnen (IIa 16) und schließen (II a 19) die NS. mit je einer Analogie; Tucci Ubersieht, daß der Gedanke vou NS. IIa 16 bereits in Vi. vy. 46—.52 (wenn ich seine Übersetzung richtig verstehe) angegriifen ist, und daß — abgesehen von textkritischen Überlegungen — auch gerade ludische und griechische Metaphysik. 149 Mimämsä ist aber in naiver (unbewußter) Form schon sehr viel älter (s. S. 162, Anm. 1) als die Mädhyamika's, und bei der Durchführung dieses Standpunktes bewegt sich die brah¬ manische Diskussion wesentlich auf dem Problemgebiet, was der „Irrtum" und „Zweifel" sei, weil deren Definitionen und s Beschreibungen im Nyäya-Vaiäesika ein Hauptthema der in¬ dischen Logik waren. Wenn man dies weiß und anführt, kann man „svata^i prämänya" mit „Intuitionismus" übersetzen. Solch Einsetzen europäischer Termini ist ein Notbehelf und ist gleich¬ zeitig schon ein Vergleichen. Besser als solches Vergleichen lo aber scheint es, wenn man etwa „präg-abhäva" im Vaiäe§ika mit ßtsQTjGig bei Aristoteles (s. S. 209) nebeneinander stellt, wie wir es im Folgenden versuchen, weil man Termini beider Kulturen auf analoger Stufe der Entwicklung vergleicht. Sol¬ cher Vergleich ist sozusagen ein Transponieren eines Themas i5 (resp. Problems) aus einer Tonart (resp. Kultur) in die andere, und das ist eine Erleichterung zum Verständnis der eigenen wie der fremden Kultur. Es erlaubt, die Kulturen zu charak¬ terisieren und dürfte auch für die Theorie der Geschichte von Bedeutung sein. 20 Wir stellen zunächst die wichtigsten Züge der griechischen und indischen Systeme nach dem Ablauf der griechischen Philo- deshalb die Analogie von NS. II a 19 nicht im Sinne von Nägärjuna (Vi. vy. 34), d. h. im Sinne des , Intuitionismus" der Mlmärnsii, sondern im Sinne der .fortgeschrittenen* Interpretation (die übrigens kom¬ plizierter ist als Tucci's Ubersetzung des Vatsyilyana; das zeigt die NVTT.) des Vätsyäyana zu verstehen ist. Das bedeutet, daß die NS. etwas Uber Nägärjuna hinausgehen, ünd wenn Nägärjuna diese Dis¬ kussion nicht nur mit eiuem einzigen Gedanken angeregt hat, sondern sie mit mehreren, aueh in den NS. vorkommenden Gedanken ausführt, so wird man nicht mit Tucci auf Gleichzeitigkeit dieser beiden Schriften schließen, sondern darauf, daß dies Problem älter als diese beiden Schriften ist. Wie denn das Problem der Vi. vy.: .Darf ein absoluter Skeptiker (positive) Beweise für seine Skepsis gebrauchen?' anch im Pälikanon keimhaft vorkommt, wenn es heißt (Oldbnbero, Buddha', S. 82), daß der, der Alles für unwahr hält, doch zumindest diese Ansicht für wahr halten muß, ein typisch sophistischer Gedanke (vgl. Väkyapadiya III, 3, 25; Nyäyamukha by Tucci, Heidelberg 1930, S. 7; NS. IIa 13; vgl. den Satz des Kreters Epimenides, daß alle Kreter lügen; vgl. 0. Schräder, Über den Stand der ind. Phil. z. Zt. Mahävira's und Buddhas, 1902, S. 60). n* 150 W. BüBBK. Sophiegeschichte dar und erörtern dann erst die Fragen der Chronologie, ohne soziologische Methoden anzuwenden. Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß eine wirk¬ liche Durchdringung heider Traditionen erst allmählich ge- 6 leistet werden kaun und daß ein Indologe die griechische Metaphysik zwangsläufig für den Geschmack eines europäischen Philosophiehistorikers zunächst geradezu harharisch darstellt; so ist diese Arbeit mehr ein Programm als eine Leistung. Für die indische Philosophie ist auf Stb(aus8), „Indische 10 Philosophie" (München 1925), für die griechische auf Z(elleb) verwiesen (1, 1: 6. Aufl. 1919; 1, 2: 6. Aufl. 1920; II, 1: 4. Aufl. 1889; 11,2: 3. Aufl. 1879); für manche Einzelheit sind die Nyäyasütra's (von W. Ruben, Leipzig 1928, abgekürt: NS.) zitiert. 16 1. Die religiösen Grundlagen. Einer der großen Momente von historischer Bedeutung ist es gewesen, daß „Homer" die Götter der griechischen Hoch¬ religion darstellte. Eine Besinnung über die Götter liegt auch in dem anderen ältesten indogermanischen Literaturdenkmal, 20 im ^Ig-Veda, vor. Dabei entspricht — bei aller Verschieden¬ heit dieser beiden Werke — der griechischen Tendenz, Zeus zum Oberhaupt des Götterstaates uud zum Vater der Menschen nnd Götter zu machen, was früh zu einer Art Monotheismus führte (Z. I, 1, 68), in Indien der Kathenotheismus (Str. 22). 26 Die Einzahl Gottes statt der Vielheit der Götter ist im Rg- Veda*) sogar bewußt ausgesprochen. Diese Einheitstendenz in Griechenland ist der in Indien geschichtlich, sozusagen „formal", parallel*), dabei jedoch in einer für beide Kulturen charakteristischen Weise „inhaltlich" verschieden. Die Grie- 30 chen nämlich ordneten die Vielheit der Götter als plastisch bleibende Vielheit einem Eineu unter; die Inder übersahen 1) I, 164, 46; Dbüssen, AGdPh. I, 1, 118 verweist auf llV. VIII, 58,1—2; Belvalkar-Kan ADE , The creative period, S. 23 auf III, 54, 8. 2) Die , Ordnung' der Götter und ihrer bandhu's (Bblvalkab und Ranade, a. a. 0. 61 f.) steht dagegen als theologisches System nicht eben¬ bürtig parallel neben Homer. Indische und griechische Metaphysik. 151 die Vielheit zugunsten einer unplastisch gesehenen Einheit. Diese beiden Tendenzen der Einheits- und Vielheits-Schau werden sehr viel älter sein als Homer und der Rg-Veda; es ist aber sicher kein Zufall, daß sie in beiden indogermanischen Kulturen mit diesen ersten Literaturdenkmälern das Alte ab- 5 schließend und damit die weitere Entwicklung der Geistes¬ geschiehte anregend zur Darstellung gelangten. Während dann der alte Kult der Opfer für die Götter des Polytheismus in beiden Kulturen noch für Jahrhunderte (bis zur „Sophistik", s. S. 195) bestehen bleibt, tritt daneben 10 — und in der geistig höher stehenden Schicht überwiegend — in der folgenden „Periode" ein ganz anderes religiöses Erleben in die Erscheinung (es mag schon länger bestanden haben: s. S. 214, Anm. 1): in der dionysischen Ekstatik der Orphik und der Mysterien in Griechenland und in der magischen 15 Eeligion der indischen Brähmana - und Upanisad -Kultur. Man kann sagen: die Brähmana's stehen zur Rg-Veda-Samhitä wie der pessimistische Grübler Hesiod zum lebensfreudigen Kriegersänger Homer. Aus — oder vielleicht neben (s. S. 214, Anm. 2) — den Familien der „Sänger" (kavi oder rsi) ent- 20 wickelt uploads/Philosophie/ indische-und-griechische-metaphysik.pdf
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- Publié le Apv 17, 2022
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