MARKUS KÖHBACH EIN FALL VON VAMPIRISMUS BEI DEN OSMANEN I So alt wie die Mensch

MARKUS KÖHBACH EIN FALL VON VAMPIRISMUS BEI DEN OSMANEN I So alt wie die Menschheit selbst sind die Ängste, die sie begleiten. In den Angstvorstellungen aller Völker begegnen wir immer wieder dämonischen Wesen, die den Lebenden ihre Lebens-Kraft, ihr Blut entziehen oder die Einge­ weide ausreißen, vampirhafte Dämonen, wie etwa die Gestalt des personifi­ zierten Alpdruks bei den Turkvölkern, die Albasti, die besonders den Wöch­ nerinnen zusetzt und ihre Kräfte raubt, um schließlich ihren Opfern die Leber auszureißen und zu verzehren. Wenn auch die Albasti in ihrem Charakter ausgeprägte Vampireigenschaften aufweist, so ist sie doch von ihren Grundzü­ gen her der Drud im deutschen Volksaberglauben vergleichbar1 2 3 . 1. Zur Gestalt der Albastı und ihrer Wesenszüge vgl. Ulla Johansen, “Die Alpfrau. Eine Dftmonengestalt der türkischen Völker**, in: ZDMG109/1959, pp. 303-316. Michèle Nicolas, Croytmces et pratiques populaires turques concemant les naissances (Région de Bergama), Paris 1972, Chapitre IV, Les mauves génies des accouchées, A) Al, “L’ecarlate”, pp. 132-134. 2. Hans Naumann, Primitive Gemeinschaftskultur. Beiträge zur Volkskunde und Mytho­ logie, Jena 1921, pp. 25-40. Lebender Leichnam, pp. 81-97. Vampyr und Drachentöter, Blau­ bart und Däumling, besonders pp. 83 ff. 3. Die Dämonenklasse ičgäk/ičkäk wird genannt in: TT (— Türkische Turfantexte) I, 38,166, 208, TT V A, 84, 97, 114, TT VI, 131, TT VII, 13.10, 13.49, 27.5, 40.36, TT VIII, 09, TT IX, 21, TT X, 14,102,249,327, Uigurica H, 67/13.5, BT (- Berliner Turfantexte) V, 285,532, S. Tekin, Uygurca Metinleri I, 30. Unter Vampir wollen wir in vorliegender Arbeit das Phänomen des blut­ saugenden Wiedergängers verstanden wissen, das jener Gruppe von Vorstel­ lungen zugeordnet wird, für die H. Naumann den aus der deutschen Rechts­ geschichte übernommenen Terminus “lebender Leichnam” in die Volkskunde eingefuhrt hat1. Vampirvorstellungen, die dieser bestimmten Art angehören, fehlen bei den Türken weitgehend. Zwar besitzt das Altuigurische im Wort ičgäk/ičkäk (Trinker, (Đlut]sauger) eine sehr treffende Bezeichnung für Vampir, wir bege­ gnen ihm aber ausschließlich in Übersetzungen aus dem Sanskrit bzw. Chine­ sischen oder davon abhängigen buddhistischen Texten, wo ičgäk/ičkäk eine bestimmte Kategorie im indischen Pandämonium wiedergibt8. Die Frage, wel­ che ursprünglichen Vorstellungen sich mit diesem Begriff verbinden, oder ob er etwa gar die gelungene Sprachschöpfung gelehrter Übersetzer darstellt, 84 Markus Köhbach kann mangels an Belegmaterial über die Volksreligion in dieser Zeit nicht entschieden werden. Eine besondere Blüte erlebte der Vampirglaube in Osteuropa, speziell auf dem Balkan4, wo natürlich auch die Osmanen damit konfrontiert wurden. Zwei aktenkundige Fälle von Vampirismus am Beginn des 18. Jhdts. sind uns in ei« ner anonymen Chronik der Staatsbibliothek Berlin5 6 überliefert. Hammer, der diese Handschrift benützte, gibt in GOR VII, p. 45 f., eine kurze Mitteilung davon. Hier sollen nun diese Belege ausführlich vorgestellt und kommentiert werden. 4. Über die Vampirvorstellungen der Balkanvölker vgl. Wörterbuch der Mythologie, hrsg. von W. Haussig, 1. Abt., Die alten Kulturvölker, Bd. II, Götter und Mythen im alten Europa, pp. 163-208, Norbert Reiter, Mythologie der alten Slaven, pp. 199-202 s.v. Vampir. F. S. Krauss, Slavische Volksforschungen. Abhandlungen über Glauben, Gewohnheitsrechte, Sitten, Bräuche und die Guslarenlieder der Südslaven, vorwiegend auf Grund eigener Erhe­ bungen, Leipzig 1908, V. Der Vampir, pp. 124-136. 5. Es handelt sich um die Handschrift Diez A. 4°. 75 an der Staatsbibliothek Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Orientabteilung. Eine Beschreibung gibt W. Pertsch, Die Hands­ chriftenverzeichnisse der königlichen Bibliothek zu Berlin, 6. Bd., Verzeichniss (sic!) der türkischen Handschriften, Berlin 1889, p. 245, Nr. 216. Laut Pertsch umfaßt dieses Werk die osmanische Geschichte von 1099/1687-88 bis 1116/1704-5. Hammer, der diese Hs. benützt und, wie oben erwähnt, in seine GOR eingearbeitet hat, zitiert sie als Gesch. der Bert Bibi. Nro. 75. 6. Der Autor bringt in seinem Werk die vorliegenden Aktenstücke in verkürzter Form. II Transkription des Textes der Hs. Diez A. 4°. 15,fol. 160v, Z. 15- fol. 16 Iv, Z. 8: cädü mäddesi ičün Edrene qäżlsinüq iclämi: macrüž-i däcI-i devletleri budur-ki mahrüse-i Edreneye täbic Marcaš năm qarye ehălïsi meclis-i šercde taqrir-i kelâm èdüb frälä qarye-i mezbürede väqic maqberede muqaddimen fevt olan Biyiqli CA1I nâm kimesneniq qabrindan ervâh-i habise calä’imi ?ăhir ü müšăhede olunub ol vech-ile ehäli-i qarye-i merqümeye vehm ü havf mü­ stevli olmišdir dèyü ištikä étmeleriyle, fï’l-väqi0 viläyet-i Rümèlinde kefere |ä’- ifesinden heläk olan zimmlnig maqberesinde ol maqüle cală’im yuhüri muhaq- qaq olur ise bir qaziq ile göbeğinden mlljlene. mündefic olmaz ise maqberesi ačilub qabra vażc olundıgı gibi olmayub tağayyür-i vaż® ile levninde hümret müšähede olunur ise bašmi kesüb ayagi cänibine qoyalar. yine mündefic olmaz ise čiqarub ijiräq èdeler dèyü merhüm Ebü’s-sucüd Efendi hażretleri huşüş-i mezkün kefere fraqqmda iftä buyurmišlar dèyü yazilmiš lakin carabl kitäblarda biz yerini bulmamišiz dèyü carż eylemiš. şüret-i buyuruldi: Edrene qäžlsi fażlletlü Efendi5! ehäll-i qaryeniq vähi- Ein Fall von Vampirismus bei den Osmanen 85 mesi[nf def® ičün taraf-i šercden bir mu°temed ve efrväl bilür nä’ib qošub ta'yin olunan čavuš ma°rifetiyle mahalline varsunlar. tekrăr su’ăl èdüb haber vèrdikleri üzere erväh-i habise “alä’imi çähire oldi déyü ittifäq èderler ise me­ zarı ačub qabra vaż® olundiği gibi olmayub tagayyür-i vażc ile levninde hümret müSähede olur ise icläm eyleyesiz. bir def®a dahi väqi* olduqda yazılan buyuruldı: su baši! Edrenede El- fläcc Şarrăf mahallesi ehällsi meclis-i šerce varub mafralle-i mezbüre qurbinde väqi® meqăbir-i müslimlnde üc ay muqaddem vefăt eden Cennet näm hatunug qabnnda cädü ®alä’imi Tuhür èdüb cümlemize vehm ®änz olmišdir dèyü ištikă ve taraf-i šercden nä’ib tacyin olunduqda mezdürenig qabn üzerine vanlub dört nefer hatun müteveffät-i mezbürenig acżäsina na?ar étdiklerinde fï’lväqi® cesedi münfesih olmamiš ve levni dahi hümret ile müteğayyir olduği mufraq- qaq ve evşăf-i mezbüre cädü ®alä’imidir déyü ihbär olunmağ-ila qabr-i mezbü- reyi ačub def®-i vafcšet ičün ne vech-ile đef®i mü'täd ise ehälï-i mahallenig vähimeleri defninde ihtimam eyleyesiz. III ÜBERSETZUNG Meldung des Richters von Edirne bezüglich eines Vampirs8. “Die Eingabe dessen, der für Euer Glück betet8, ist folgende: Die Bevölkerung des Dorfes Mar'aš, das zum wohlbehüteten Edirne gehört, hat beim Gericht Meldung erstattet und Klage geführt, daß nunmehr auf dem Friedhof, der in dem genau- Besonders deutlich zeigt sich das am Weglassen bzw. der starken Verkürzung der Elqäb-For- mel (Inscriptio) am Beginn der drei Schreiben. Eine Zusammenstellung der Elqäb der wich­ tigsten Staatsbeamten gibt L. Fekete, Einführung in die osmanisch-türkische Diplomatik der türkischen Botmäßigkeit in Ungarn, Budapest 1926, pp. XXXIII-XXXVI. 7. In do* Hs. orthographisch fehlerhaft vählmesi (ebenso fol. 161v, Z. 8, ...vähimeleri). Es muß natürlich korrekt vähime (Nominalform fä®il) sein, außerdem verlangt im vorlie­ genden Passus def® ein direktes Objekt, daher Akk. vähimesin. 8. Gegenüber dem Alttürkischen, genauer dem Altuigurischen, das, wie oben erwähnt, ein treffendes eigenes Wort für Vampir besaß bzw. bei der Übertragung von religiösen Texten schuf, besitzt das Osmanische keine eigenständige, eindeutige Bezeichnung, sondern verwen­ det das persische Wort cädü (in moderner türkischer Aussprache cadi), eigentlich: Zauberei, Magie; Zauberer, Hexe(r) etc., dann auch Gespenst, Nachtmahr und eben Vampir, vgl. dazu die einschlägigen Wörterbücher des Osmanischen bzw. modernen Türkischen und des Persis­ chen. Interessant ist, daß aus den Sprachen der Volksgruppen, bei denen diese Vorstellunr gen heimisch sind, Südslawen und Griechen, keine Entlehnung erfolgte. 9. Wörtlich: ...dä®I-i devletleri - der für sein Glück betet (Ich habe mir erlaubt, die unpersönliche Höflichkeitsform in der 3. Pers. PI. in die persönliche der 2. Pers. PI. zu ver­ ändern), eine Phrase der Bescheidenheit zur Umschreibung der ersten Person vor Höherge­ stellten. 86 Markus Köhbach nten Dorf liegt, aus dem Grab eines gewissen Biyiqli cAlï, der bereits vor eini­ ger Zeit ve rstorben ist, die Anzeichen böser Geister aufgetreten und beobachtet worden sind. Auf diese Weise haben sich der Bevölkerung des erwähnten Dor­ fes Furcht und Schrecken bemächtigt. Tatsächlich soll der selige Ebü’s-sucüd Efendi das genannte Problem hinsichtlich der Ungläubigen [so] entschieden haben: Wenn in der Provinz Rumeli das Auftreten solcher Anzeichen am Grabe eines verstorbenen Zimmi von der Gruppe der Ungläubigen erwiesen ist, soll man [dden Leichnam] mit einem Pfahl durch den Nabel nageln. Wird [der Vampir] dadurch nicht vertrieben, soll man sein Grab öffnen, und wenn man sieht, daß er nicht mehr [in der Stellung] ist, wie man ihn ins Grab gelegt hat, [sondern] die Lage verändert und in seiner [Gesichts] färbe Röte ist, soll man seinen Kopf abschneiden und ihn zu seinen Füßen legen. Wenn er auch da­ durch nicht vertrieben wird, soll man ihn [nochmals] herausholen und ihn verbrennen. Er soll [dazu] mitgeteilt haben: [So] soll es geschrieben stehen, aber in den arabischen Büchern haben wir diesen Passus nicht gefunden. Abschrift des Erlasses [des Großvezirs]: Richter von Edirne, Eure Eminenz! Um die Furcht der Bevölkerung des Dorfes zu zerstreuen, möge man von Seiten des Gerichtes durch einen [dazu] bestimmten Čaušen, dem man einen vertrauenswürdigen und erfahrenen Nä’ib (Unterrichter) beigibt, [die Sache untersuchen lassen]10. Sie sollen sich an den Platz [des Vampirs] begeben. Wenn bei einer abermaligen Befragung [die Ein­ wohner] übereinstimmend erklären, daß die Anzeichen von bösen Geistern aufgetreten sind, wie gemeldet wurde, [so] soll man das Grab öffnen, und wenn [der Leichnam] nicht mehr [in der Lage] ist, wie er ins Grab gelegt wurde, und man [an ihm] eine Veränderung der Lage und Röte in seiner [Gesichts] färbe wahmimmt, [so] sollt Ihr es melden. 10. Der Originaltext ist an dieser Stelle sprachlich nicht ganz korrekt. Ich habe versucht, durch die vorliegende Ergänzung die Stelle uploads/Geographie/ koehbach-ein-fall-von-vampirismus-bei-den-osmanen.pdf

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