OFFENE TORE 4/06 169 In Bethlehem geboren von Thomas Noack Diese weihnachtliche

OFFENE TORE 4/06 169 In Bethlehem geboren von Thomas Noack Diese weihnachtliche Besin- nung wird am 26. Dezember 2006 um 6:56 Uhr im Deutsch- landradio in der Sendereihe Wort zum Tage ausgestrahlt. L iebe Hörerin, lieber Hörer, Gott wurde in Bethlehem ge- boren. Das Weihnachtsfest erin- nert uns an dieses einmalige Er- eignis vor zweitausend Jahren. Das innere Christentum lehrt uns jedoch, dass diese Geburt, so sehr sie einesteils ein historisches Ereignis war, anderenteils immer wieder in der Seele der Gläubigen aller Zeiten geschehen kann. Die Sohngeburt in der Seele war das große Thema des mittel- alterlichen Mystikers Meister Eck- hart. In seinen Predigten lehrte er: »Der Vater gebiert seinen Sohn im Innersten der Seele und gebiert dich seinem eingebore- nen Sohne als nicht geringer.«1 Die Geburt des Sohnes vollzieht 1 Meister Eckehart: Deutsche Pre- digten und Traktate, herausgege- ben und übersetzt von Josef Quint, München 1985, Seite 356. 170 OFFENE TORE 4/06 OFFENE TORE 4/06 171 sich »im Sein und im Grunde der Seele.«2 Aber die Seele ist nicht einfach nur der Ort dieser mys- tischen Geburt. Denn wenn der ewige Gott in Dir die Gestalt seines Sohnes annimmt, dann wirst Du durch diese Geburt selbst ein anderer, ein neugebo- rener Mensch. Du wirst ein Sohn und eine Tochter Gottes. Meister Eckhart predigte: »Wo der Vater seinen Sohn in mir gebiert, da bin ich derselbe Sohn und nicht ein anderer«3 Diese Wandlung von einem bloß irdischen zu einem spirituellen Menschen ist der große Nutzen der immer- währenden Sohngeburt. Von der inneren Weihnacht, die uns nicht nur ein schönes Fest, sondern eine bleibende Wandlung beschert, sprach auch Johann Scheffl er, Angelus Silesius genannt. Bekannt sind seine Reime im Cherubinischen Wandersmann: »Wird Christus tausendmal zu Bethlehem gebo- ren / Und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.«4 Oder: »Berührt dich Gottes Geist mit 2 A. a. O., Seite 425. 3 A. a. O., Seite 172. 4 Angelus Silesius, Cherubinischer Wandersmann, eingeleitet und erläutert von Will-Erich Peuckert, Leipzig o.J., Erstes Buch. seiner Wesenheit, / So wird in dir geborn das Kind der Ewigkeit.«5 Johann Scheffl er nahm Einfl üsse der Mystik, besonders aber auch der Theosophie Jakob Böhmes auf. Und so hören wir abermals die Botschaft, dass die Geburt des Sohnes den erlöst, der sie erfährt. Wieder einmal hat uns das Weihnachtsfest verzaubert. Aber in wenigen Stunden wird dieser eigentümliche Glanz, diese selt- same Atmosphäre verfl ogen sein. Und dann? Nehmen wir die Ge- burtstagsfeier Jesu doch diesmal zum Anlass, den tieferen Sinn aufzusuchen! Jesus Christus will in Dir geboren werden, so dass er bleibend zu Deinem Leben gehört. Du wirst durch diese Ge- burt zu einem Sohn oder einer Tochter Gottes werden. Du wirst von neuem geboren werden. Ein neuer Geist wird Dich erfüllen, neue Gedanken, neue Ziele und neue Gefühle. Durch Deine Ge- genwart wird ein Bote Gottes die vielfach ausgebeutete Erde be- treten. Du musst nur eines tun, wenn Du nach Bethlehem gelan- gen willst: Wer das Wort Gottes hören will, der muss schweigen können, denn in ein volles Gefäß kann man kein Wasser gießen. 5 A. a. O., Zweites Buch. Lavaters Himmel und Swedenborgs Träume: Die Beziehung zwischen Johann Caspar Lavater und Emanuel Swedenborg von Dr. Ursula Cafl isch-Schnetzler Vorbemerkung der Schriftleitung: Dr. Ursula Cafl isch-Schnetz- ler ist seit 1994 maßgeblich an der auf zehn Bände ange- legten »historisch-kritische[n] Edition ausgewählter Werke Johann Caspar La vaters« (JCLW) beteiligt. Am 24. Juni 2006 hielt sie im Swedenborg Zentrum Zürich einen Vortrag über »Lavaters Himmel und Swedenborgs Träume«, den wir hier in einer von der Referentin überarbeiteten Form veröffentlichen. Einleitung I m zweiten Band der Aussichten in die Ewigkeit, dem wohl wichtigs- ten theologischen Werk von Johann Caspar Lavater, verweist der Zürcher Pfarrer 1769 auf Immanuel Kants 1766 erschienene Schrift Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik.1 Im 1773 herausgegebenen dritten Band der Aussichten in die Ewig- keit erwähnt Lavater den zuvor von Kant angesprochenen »Geis- terseher« explizit, indem er schreibt, dass »Herr Kant in Königsberg – ein wol nicht schwacher Kopf – von Emanuel Schwedenborg er- zählt; der zu Gothenburg einen Brand zu Stockholm gesehen und einer Gesellschaft beschrieben haben soll«.2 Diese beiden Verweise 1 [Johann Caspar Lavater]: Aussichten in die Ewigkeit, in Briefen an Herrn Joh. Georg Zimmermann. 4 Bände, Zürich 1768-1778. Vgl. Johann Caspar Lavater: Ausgewählte Werke in historisch-kritischer Ausgabe (JCLW). Band 2: Aussichten in die Ewigkeit 1768-1773/78, hg. von Ursula Cafl isch-Schnetz- ler, Zürich 2001, S. 319. Vgl. JCLW, Ergänzungsband: Bibliographie der Werke Lavaters. Verzeichnis der zu seinen Lebzeiten im Druck erschienenen Schriften. Herausgegeben und betreut von Horst Weigelt; wissenschaftliche Redaktion Niklaus Landolt, Zürich 2001, Nr. 64. Vgl. Immanuel Kant: Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, Zweyter Theil, in: Kants Werke (Akademie Textausgabe), Band II: Vorkritische Schriften II (1757-1777), Berlin 1968, S. 353-373. 2 JCLW, Band II, S. 429. 172 OFFENE TORE 4/06 OFFENE TORE 4/06 173 auf den schwedischen Universalgelehrten Emanuel Swedenborg3 sind die einzigen Spuren, die sich in Johann Caspar Lavaters Werk di- rekt nachweisen lassen.4 Dass der Zürcher Theologe, der von 1741 bis 1801 in seiner Heimatstadt gelebt und gewirkt hatte, sich mit Swedenborgs Träumen, mit dessen ganzheitlicher Sicht des Men- schen und der Verbindung zur himmlischen Welt sicher nicht nur in dem utopischen Werk Aussichten in die Ewigkeit auseinanderge- setzt haben wird, zeigt ein früher Eintrag in seinem Reisetagebuch 3 Biographien zu Emanuel Swedenborg (in deutsch): Ernst Benz: Emanuel Swedenborg. Naturforscher und Seher, Zürich 2004 (Neuaufl age der Aus- gabe von 1948; mit Quellennachweisen). George F. Dole / Robert H. Kirven: Ein Naturwissenschaftler erforscht geistige Welten (Internet-Beitrag). Die Anmerkungen verweisen auf die in englischer Sprache erschienene Literatur zu Emanuel Swedenborg, besonders auf Rudolf L. Tafel: Documents concer- ning the Life and Character of Emanuel Swedenborg, Swedenborg Society, London 1877. 4 Zum Überblick über Leben und Werk Johann Caspar Lavaters, vgl. Horst Weigelt: Johann Kaspar Lavater. Leben, Werk und Wirkung (Kleine Van- denhoeck-Reihe), Göttingen 1991. – Karl Pestalozzi / Horst Weigelt (Hg.): Das Antlitz Gottes im Antlitz des Menschen. Zugänge zu Johann Kaspar Lavater (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, Band 31), Göttingen 1994. – Ulrich Stadler / Karl Pestalozzi (Hg.): Im Lichte Lavaters. Lektüren zum 200. Todestag (Johann Caspar Lavater Studien (JCLSt), Band I) Zürich 2003. – Als historisch-kritische Edition der Werke Johann Caspar Lavaters sind bereits folgende Bände erschienen: JCLW, Band II: Aussichten in die Ewigkeit 1768- 1773/78, hg. von Ursula Cafl isch-Schnetzler, Zürich 2001. – JCLW, Band III: Werke 1769-1771, hg. von Martin Ernst Hirzel, Zürich 2002. – Weitere Editionen: Ursula [Cafl isch-] Schnetzler: Johann Caspar Lavaters Tagebuch aus dem Jahre 1761, Pfäffi kon 1989. – Horst Weigelt (Hg.): Johann Kaspar Lavater. Reisetagebücher. 2 Teile (= Texte zur Geschichte des Pietismus, Abt. VIII, Band 3 und 4), Göttingen 1997. – Frühere Ausgaben: Johann Caspar Lavater’s nachgelassene Schriften, hg. von Georg Gessner. 5 Bände, Zürich 1801/1802. – Johann Caspar Lavater: Ausgewählte Schriften, hg. von Johann Kaspar Orelli. 8 Bände, Zürich 1841-1844. – Johann Caspar Lavaters ausge- wählte Werke, hg. von Ernst Staehelin. 4 Bände, Zürich 1943. – Im Weiteren ist an neuerer Literatur zu nennen: Klaus Martin Sauer: Die Predigttätigkeit Johann Kaspar Lavaters (1741–1801). Darstellung und Quellengrundlage, Zürich 1988. – Horst Weigelt: Lavater und die Stillen im Lande – Distanz und Nähe. Die Beziehungen Lavaters zu Frömmigkeitsbewegungen im 18. Jahr- hundert (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, Band 25), Göttingen 1988. – Bettina Volz-Tobler: Rebellion im Namen der Tugend. ›Der Erinnerer‹ – eine Moralische Wochenschrift, Zürich 1765–1767, Zürich 1997. von Mitte Oktober 1763,5 zeigen aber v.a. die beiden noch erhal- tenen Briefe an Swedenborg während der Niederschrift der Aus- sichten in die Ewigkeit.6 Auch fi ndet eine Auseinandersetzung mit des- sen Gedanken in verschiedenen Briefwechseln Lavaters statt7 sowie – etwas verdeckter – wohl auch in den Gedanken seiner übrigen frühen Schriften. Ob Lavater Swedenborgs wichtigste lateinisch ge- schriebenen Werke auch tatsächlich gelesen hat, ist zwar anzuneh- men, lässt sich aber nicht nachweisen. Keines derselben erscheint auf seiner Liste der bis 1768 gelesenen Bücher;8 zudem spricht Lava- ter von Swedenborgs Gedanken auch meist nur im Konjunktiv. Was aber besonders erstaunt, ist die Tatsache, dass Lavater Swedenborg eigentlich nie bei seinem richtigen Namen nennt. So bezeichnet er ihn 1763 als »Schwedenborch«9 und in einem späteren undatierten und ohne Anschrift versehenen Brief als »Swegenborg«10. Beiden Gelehrten – Lavater und Swedenborg – die im 18. Jahr- hundert zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher Inten- sion wichtige theologische und anthropologische Impulse setzten,11 ist gemeinsam, dass sie sowohl von Zeitgenossen als auch von der Nachwelt gespaltene Reaktionen auf ihre Gedanken erhalten haben. Auf dem in Stockholm 1688 als Emanuel Swedberg geborenen und im März 1772 vierundachtzig jährig in London verstorbenen Ema- 5 Horst Weigelt (Hg.), Reisetagebücher, Teil I, S. 437. 6 Lavater an Emanuel Swedenborg, 24. August 1768 und 24. September 1769, FA Lav Ms (Familienarchiv Lavater in der Zentralbibliothek Zürich), Briefe Nr. 172 und 173. 7 So zum Beispiel im Briefwechsel zwischen Lavater und Johann Gerhard Hasenkamp, FA Lav Ms 511 und FA Lav Ms 563. Vgl. Karl Christian Ehmann (Hg.): Briefwechsel zwischen Lavater und Hasenkamp, Basel 1870. 8 Vgl. FA Lav Ms 121.1: uploads/Geographie/ offene-tore-2006-4.pdf

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