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v s d l V e r e i n S c h w e i z e r i s c h e r D e u t s c h l e h r e r i n n e n u n d D e u t s c h l e h r e r Deutschblätter Shriebe und Schwetze im Dialekt Die Sprachsituation in der heutigen Deutschschweiz DAS KLEINE MANIFEST Unsere Sprache ist ÜBERALL. Wir sprechen ÜBERALL. Wir schreiben ÜBERALL. ÜBERALL ist unsere Sprache, die uns nicht gehört. Alle Sprachen sind Fremdsprachen. ÜBERALL wird hier und heute gesprochen. Hier und heute werden viele Sprachen gesprochen. Sprachen schliessen sich nicht aus. In unseren Köpfen ist Platz für viele Sprachen. ÜBERALL hat Rhythmus, Klang und Farbe. Sprachen entfalten sich im Mund. Es gibt keine hohen und niederen Sprachen. Jede Sprache ist eine Brücke in die Welt. 2014 v s d l 2 0 14 1 0 0 c / 7 5 m Spoken-Word- Gruppe Bern ist überall Shriebe und Schwetze im Dialekt: Die Sprachsituation in der heutigen Deutschschweiz Verein Schweizerischer Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer Deutschblätter 2014 Shriebe und Schwetze im Dialekt Die Sprachsituation in der heutigen Deutschschweiz Impressum Herausgeber Verein Schweizerischer Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer VSDL, Wil Nr. 66, 2014, erscheint einmal jährlich. Redaktion Susanne Balmer, Viviane Jenzer, Christiane Matter Kontakt Redaktion deutschblätter@vsdl.ch Kontakt VSDL Viviane Jenzer, KS Wil, Hubstrasse 75, 9501Wil vorstand@vsdl.ch Grafisches Konzept und Typografie Kaspar Mühlemann, kmtg, Weinfelden Druck Publikation Digital AG, Obergerlafingen Internet www.vsdl.ch Mitgliedschaft Beantragen Sie unter www.vsg-sspes.ch eine VSG-Mitgliedschaft und geben Sie die Erstsprache Deutsch als gewünschten Fachverband an oder informieren Sie sich unverbindlich bei uns: vorstand@vsdl.ch Abo Individuelles Abo (Newsletter und 1 Exemplar Deutschblätter) Fr. 30.– Fachschaftsabo (Newsletter und 4 Exemplare Deutschblätter) Fr. 150.– E-Mail an: abo.deutschblätter@vsdl.ch 5 Editorial 11 Aktuelle Tendenzen des Sprachwandels im Schweizerdeutschen Martin Hannes Graf 21 Dialektologie als Unterrichtsgegenstand auf Sekundarstufe II Matthias Friedli und Michelle Waldispühl 35 Schweizer SMS in Forschung und Unterricht Karina Frick und Prisca Rauch 45 Der schielende Blick auf die deutsche Sprache Schweizer Standardvarietät zwischen plurizentrischer Vernunft und linguistischer Realität Eva L.Wyss 53 Wird Standarddeutsch für Deutschschweizer aufgrund der neuen Medien zur Fremdsprache? Anmerkungen zu einem Topos des sprachreflexiven Diskurses Sarah Brommer 63 Deutsch bitte! − Ein Essay Pedro Lenz 69 Die Willensnation im Sprachenkrieg? Die Sprachsituation der Schweiz aus Westschweizer Sicht José Ribeaud 75 Zum selektiven Zelebrieren sprachlicher Diversität in der Schweiz Raphael Berthele 85 Kurzbiographien Inhalt 3 Editorial Für die Redaktion: Susanne Balmer Vor den Sommerferien habe ich mit meiner dritten Klasse des Kurzzeit - gymnasiums an der Kantonsschule Frauenfeld in einem Linguistikprojekt eine eigene Sammlung von WhatsApp-Nachrichten untersucht. Ausgewer- tet wurden in verschiedenen Gruppen etwa die Verwendung von Anglizis- men, Emojis und Abkürzungen, aber auch die Art und Weise, wie die Schü- lerinnen und Schüler ihren Dialekt verschriftlichen. Dabei wurde eines sehr schnell deutlich: die Sprachsituation der heutigen deutschsprachigen Schweiz lässt sich nicht mehr als mediale Diglossie beschreiben. Zumindest nicht aus der Sicht der Jugendlichen, wie dieses Zitat einer Schülerin ver- deutlicht: «Früher wäre man nicht auf die Idee gekommen, auf Schweizer- deutsch etwas zu schreiben. Heute ist es jedoch schon fast normal, dass man z.B. SMS unter Kollegen nur noch auf Schweizerdeutsch schreibt.» Vor allem in den verschiedenen Instant Messenging-Programmen (WhatsApp etc.), schreiben Jugendliche praktisch ausschliesslich im Dialekt, in ihrer Umgangssprache also, die dem privaten und informellen Charakter dieses Informationsaustausches entspricht − und sie schreiben oft und viel! Die neuen Medien mit ihrer konzeptionellen Mündlichkeit machen aus der medialen Diglossie eine situative, in der nicht Mündlichkeit oder Schriftlich- keit, sondern Nähe bzw. Distanz der Kommunikationssituation die Wahl zwi- schen Dialekt und Hochdeutsch steuern. Ist diese Wahl auch Ausdruck der eigenen sprachlichen Identität im Privaten, so hat sie doch Implikationen in Bezug auf die Identität der vielsprachigen Schweiz, die zur gegenseitigen Verständigung auf eine Standardsprache angewiesen ist. Diese Ausgabe der Deutschblätter widmet sich der Sprachsituation der Deutschschweiz und ihrem aktuellen Wandel. Sie ruft überblicksmässig die hierfür wichtigen linguistischen Begriffe und Konzepte in Erinnerung und legt einen ersten Schwerpunkt auf den Zusammenhang zwischen den neuen Medien und der Schweizer Diglossie. Im Heft geht es auch um die viel - beschworene Mundartwelle und deren Bewertung in einer mehrsprachigen Gesellschaft sowie um die daraus resultierenden Folgen und Möglichkeiten für den gymnasialen Deutschunterricht. Die Beiträge im Heft beleuchten, teilweise kontrovers, nicht nur die verschiedenen Aspekte des Themas, sie sind auch Abbild der aktuellen Forschungssituation in der Schweiz. Alle Autorinnen und Autoren prägen mit ihren Projekten und Positionen das Bild der Dialektforschung in der Schweiz. Die Thematik zeichnet sich zum einen durch eine Forschung aus, die zwangsläufig etwas langsamer ist als die Sprachentwicklung selbst. So 5 7 Beitrag für dieses Heft beschreibt, werden für die Schülerinnen und Schüler einsichtig: «[…] je populärer das Schweizerdeutsch in den Medien wird, desto mehr sind wir gezwungen, es zu vereinheitlichen.» Die Auseinandersetzung mit der eigenen sprachlichen Identität erscheint als zentrale Entwicklungsaufgabe von Mittelschülerinnen und Mittelschülern hinsichtlich ihrer Gesellschaftsreife und Studierfähigkeit. Dies gilt insbe- sondre für ein Land wie die Schweiz mit seiner komplexen Sprachsituation, in der das sprachliche Bewusstsein des Individuums letztlich untrennbar mit dem gesellschaftlichen Selbstverständnis verbunden ist. Eine solche Sprachreflexion wird gleichsam zu einer Selbstreflexion des Faches. Und diese erscheint notwendig in einer Sprachsituation, in der gesprochenes Standarddeutsch in der Schweiz lediglich noch eine Nischenfunktion inne- hat. Wir hoffen, dass wir mit diesem Heft Lust auf Unterrichtsstunden machen, in denen unsere Sprache, üsi Schprach oder oisi Shproch im Zen- trum stehen. Die vorliegende Ausgabe bietet den Deutschlehrpersonen einen Über- blick über die aktuellen Forschungsprojekte und damit zum Forschungs- stand zur Sprachsituation in der heutigen Deutschschweiz. Verschiedenen Beiträge schaffen einen direkten Bezug zum gymnasialen Unterricht und for- mulieren Ideen zur didaktischen Umsetzung des Themas. Das Heft beginnt mit zwei Aufsätzen, die sich spezifisch dem Schweizerdeutschen widmen (Graf, Friedli/Waldispühl), danach folgen Beiträge, welche das Schweizer- deutsche in Bezug zur aktuellen medialen Situation setzen (Frick/Rauch, Brommer, Lenz). Den Abschluss machen Artikel, welche die Sprachsituation der Deutschschweiz aus einer übergeordneten Warte betrachten, zum einen aus der Sicht des deutschsprachigen Raumes insgesamt (Wyss), zum ande- ren aus der Sicht einer mehrsprachigen Schweiz (Ribeaud, Berthele). Martin Graf argumentiert in seinem Artikel, dass Sprachwandel immer und überall stattfindet und Bestrebungen, Sprachwandelprozesse aufzuhal- ten, in der Regel scheitern. Er zeigt, dass sich der Wandel nicht nur auf den Austausch von Einzelwörtern beschränkt (z.B. Früestück ersetzt das tradi- tionelle Zmorge), sondern sich auf allen Ebenen der Sprache vollzieht: Wort- und Formenbildung (gmacht ersetzt gmachet oder neue Pluralbildungen wie Bärge statt Bärg), Einzellaute (peinlich statt piinlich), Syntax (es vo Weschte herbiiziehends Tüüf ), Prosodie (gömmer Migros) usw. Matthias Friedli und Michelle Waldispühl stellen in ihrem Artikel den Auf- bau und Inhalt des «Kleinen Sprachatlas der deutschen Schweiz» (KSDS) sowie die dazu entwickelten Unterrichtsmaterialien vor. Sie finden die Aus - einandersetzung der Schüler und Schülerinnen mit dem Schweizerdeut- schen gewinnbringend und notwendig, da ihre Alltagsurteile revidiert bzw. präzisiert werden sollten und die Reflexion über Dialekte, Diglossie und Sprachgeschichte auch Teil der kantonalen Lehrpläne sei. Der Artikel von Karina Frick und Prisca Rauch befasst sich mit der «alten neuen Kommunikationsform» SMS in Forschung und Unterricht. Dazu 6 können etwa Frick und Rauch in ihrem Beitrag Resultate aus der Auswer- tung einer Schweizer SMS-Sammlung präsentieren, wohl wissend, dass inzwischen andere Nachrichtenformate, in denen die charakteristische Kürze von 160 Zeichen keine Rolle mehr spielt, die SMS fast abgelöst haben. Zum anderen ist es schwer, neutral über die Sprachsituation in der Schweiz zu sprechen. Es geht dabei um unsere sprachliche Identität, also auch immer um persönliche Wertungen und Befindlichkeiten, die oft in poli- tische Forderungen münden. So verlangt etwa Ribeaud in seinem Beitrag eine systematische Förderung des Verständnisses zwischen den Sprach - regionen durch den Bund, weil er in der heutigen Mundartwelle eine Be- nachteiligung der französischen und italienischen Sprache sieht. Beide Aspekte machen die Sprachsituation der Schweiz zu einem loh- nenden und relevanten Unterrichtsthema. Dies zeigen auch die Resultate aus dem bereits erwähnten WhatsApp-Projekt. Im Kleinen konnten hier Sprachwandelphänomene zeitgleich mit oder sogar vor den professionellen Sprachforschern beobachtet und beschrieben werden. In Bezug auf die Verschriftlichung von Dialekt argumentierte etwa eine Gruppe, dass in den untersuchten WhatsApp-Nachrichten mehrfach Wörter in einer anderen dialektalen Lautung als der in der Ostschweizer realisierten geschrieben werden, da auf diese Weise der «mühsame» Umlaut vermieden werden kann: «Umlaute sind mühsam zu schreiben auf dem Handy, deshalb finden sich im Korpus viele Fälle, in denen ned oder nid anstatt nöd oder hesch anstatt häsch geschrieben wird.» Eine Anschlussfrage, die man hier stellen könnte, wäre, ob dieses Phänomen bereits als Indiz für eine Vereinheit - lichung des Dialekts durch seine Verschriftlichung gesehen werden kann oder ob sich sogar Rückwirkungen auf die mündliche Realisation der Wörter ergeben können. Eine zweite Trouvaille aus den Präsentationen der Schüle- rinnen und Schüler ist die Verschriftlichung des sch-Lautes. So fanden sich im Korpus Belege für shribe anstatt schribe, selsh anstatt selsch/sölsch. Auch hier handelt es sich um ein Phänomen der Effizienz. Mit der englischen Realisation des sch-Lautes wird immerhin ein Buchstabe gespart, gleich - zeitig bekommen die Dialektwörter so einen englischen Anstrich. Die aus- uploads/Litterature/ aktuelle-tendenzen-des-sprachwandels-im-pdf.pdf

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