1 Rundbrief von Generalabt Dom Bernardo Olivera OCSO 26. Jänner 2007 EINE TRAUR

1 Rundbrief von Generalabt Dom Bernardo Olivera OCSO 26. Jänner 2007 EINE TRAURIGKEIT, DIE DAS VERLANGEN NACH GOTT ZERSETZT Liebe Brüder und Schwestern, während der letzten Monate hatte ich infolge meiner Gehirnblutung genug Zeit und Gelegenheit, um mich mit einem klassischen, uns allen bekannten Laster, nämlich der Acedia, auseinanderzusetzen - durch Lektüre und Meditation, durch eigene Erfahrung und Dagegen-Ankämpfen, durch Analyse und begriffliche Klärung. Ich möchte meine Überlegungen mit Euch teilen, denn ich denke, es handelt sich um ein typisch monastisches Übel, das aber aufgrund gewisser Exzesse oder Mängel unserer Kultur in der ganzen heutigen Welt in verschiedenen Formen reichlich verbreitet ist. Ich beeile mich zu sagen, dass es nicht leicht ist, von der Acedia zu sprechen; es handelt sich dabei um eine komplexe Erfahrung, um viel mehr als bloß Völlerei, Begierde, Geiz, Zorn, Traurigkeit, Stolz... Es ist daher wichtig, dass wir unseren Blickwinkel klären. Zum Phänomen der Acedia gibt es mindestens vier verschiedene Zugänge. Sehen wir sie uns in ihren groben Zügen an: - Ein Internist könnte einen Energieverlust organischer Natur diagnostizieren. - Ein Psychologe würde von einem depressiven Bild aufgrund endogener Faktoren oder einer traumatischen Situation sprechen. - Ein Moralist wird meinen, es könnte sich um eine Sünde handeln, deren Schwere vom vollen Bewusstsein und dem freien Willen abhängt. - Ein geistlicher Begleiter wird vielleicht unterscheiden, ob es eine Frage der acht logismoi ist, welche die angreifen, die Gott mit allen Kräften ihres Herzens suchen. Alle diese Leute stehen dem gleichen Phänomen gegenüber, und jeder deutet es aus seinem Blickwinkel heraus. Alle haben sie ein bisschen recht, sodass man, wenn man einen konkreten Fall unterscheiden will, alle angeführten Aspekte berücksichtigen muss. In einer Kultur wie der unseren, die die Psychologie so stark betont, ist es wahrscheinlich nötig, dass wir uns an die objektive und personalisierte, feindliche und intelligente Realität des Bösen zu erinnern, die wir den Teufel oder Satan nennen. Im vorliegenden Brief spreche ich von Spiritualität als einem lebendigen, fleischgewordenen Glauben. Folglich sehe ich die Acedia als ein Übel an, das uns auf unserer Gottsuche und bei unserer Begegnung mit Gott in die Quere kommt, uns blockiert, uns vom Weg abbringt. Die Acedia greift die Beharrlichkeit im christlichen und monastischen Leben an. Traurig zu sagen, aber mehr als ein Abgang aus dem gottgeweihten Leben ist unbewusst von diesem zersetzenden Übel verursacht worden. Ich befinde mich auch im Kontext des geistlichen Kampfs, im Umfeld der monastischen Askese, die zur Reinheit des Herzens führt auf unserer Pilgerreise zu unserer wahren Heimat im Herzen des Vaters. Ich werde mit der Tradition begonnen, die sich auf die „Hauptlaster oder Hauptsünden“ im allgemeinen und die Acedia im besonderen beziehen. Ich werde dann einige Aspekte dieser Tradition herausstreichen und vielleicht anreichern, um sie weiterzugeben, vor allem an die ganz Jungen. 1. Die Tradition, die wir empfangen haben 1.1. Die Hauptsünden Die Mönche der ägyptischen Wüsten lehren uns, dass es Tendenzen der Unordnung gibt, aus denen andere derartige Tendenzen wie aus einer Quelle hervorgehen. Wir stehen hier vor den Anfängen der traditionellen Lehre von den „Hauptsünden“. 2 Evagrius Ponticus (+ 399) hat diese Lehre als erster in ein System gebracht. Er spricht von acht schlechten Gedanken oder Tendenzen, denen der Eremit sich stellen und die er besiegen muss. Johannes Cassian (+ 425) übersetzte diese Lehre in den zönobitischen Kontext des Abendlandes. Wir sind alle mit der Geschichte dieser Klassifizierung der Laster und der Hauptsünden vertraut, angefangen bei den Zönobitischen Institutionen von Cassian. Der hl. Gregor der Große (+ 604) spielte in dieser Entwicklung eine fundamentale Rolle. Er folgt Cassian, aber mit einigen eigenen Besonderheiten: Er änderte die Reihenfolge der Laster; die Acedia verschwindet von der Liste, allerdings werden einige ihrer Erscheinungsformen der Traurigkeit zugeordnet; er fügt den Neid hinzu und nimmt den Stolz weg, den er sowieso als Wurzel und Beginn aller Sünden betrachtet. Darin folgt er den Weisheitsbüchern, in der Version der lateinischen Vulgata: Initium omnis peccati est superbia (Der Anfang aller Sünde ist der Stolz, siehe Sir 10,13). Später werden Eitelkeit und Stolz zu einem verschmolzen, womit wir bei der traditionellen Liste der sieben Hauptsünden anlangen, die im Abendland seit dem 13. Jahrhundert gültig ist. Johannes Climacus (+ 650) und Johannes von Damaskus (+ 749) geben diese Lehre an die östlichen Kirchen weiter. Die folgende Tabelle soll das eben Gesagte anschaulich machen. Man möge mir verzeihen, dass ich das Griechische transkribiere und das Lateinische benutze. Jene, die mit beiden Sprachen nicht vertraut sind, werden trotzdem verstehen, was ich meine. Evagrius Ponticus - Hoi genikotatoi logismòi (Praktikos 6-14) Johannes Cassian - Acht Geister oder Laster (De institutis 6-12, Conlationes 5) Gregor der Große - Sieben Todsünden (Moralia in Job 31) Gastrimargía Gastrimargía: ventris ingluvies (Völlerei) Inanis gloria Invidia Porneia Fornicatio Ira Philargiría Philargiría : amor pecuniae (Geiz) Tristitia (+ Aspekte der Acedia) Lype Ira Avaritia Orge Tristitia Ventris ingluvies Akedía Acedia: anxietas, taedium cordis, otiositas Kenodoxía Cenodoxia: iactantia, vana gloria Luxuria Hyperephanía Superbia (Superbia) Die Unterschiede in den östlichen und den westlichen Listen sind von geringer Bedeutung. Tatsächlich ist der Neid eine Form der Traurigkeit - jemand ist traurig, weil etwas einem anderen gehört. Die Acedia ist in die Traurigkeit integriert worden, und man betont die Faulheit oder den ungesunden Müßiggang. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Blickwinkel der lateinischen Schriftsteller mehr dogmatisch und moralisch ist, der der östlichen geistlichen Schriftsteller dagegen im wesentlichen praktisch und das spirituelle Leben betreffend. Einige mittelalterliche Theologen haben diese Lehre meisterlich dargelegt, vor allem Hugo von St. Victor, Petrus Lombardus, Bonaventura und Thomas von Aquin. Der letztgenannte verdient noch besondere Aufmerksamkeit. Jahrhunderte später beschreibt Johannes vom Kreuz in seinem Werk Die dunkle Nacht meisterhaft, wie diese Laster-Sünden sich in denen manifestieren, die auf dem geistlichen Weg vorangeschritten sind und anfangen, unter der „passiven Nacht der Sinne“ zu leiden. Der hl. Ignatius von Loyola empfiehlt in seinen Geistlichen Übungen, dem Exerzitanten die Todsünden zum Meditieren vorzulegen. Der hl. Franz von Sales bietet in seiner Philoteia eine interessante und praktische Darlegung an. 3 Und so könnte man fortfahren in der Geschichte. Wir wollen als Abschluss einen Text aus dem Katechismus der Katholischen Kirche zitieren (§ 1866): Die Laster lassen sich nach den Tugenden ordnen, deren Gegensatz sie sind, oder auch mit den Hauptsünden in Verbindung bringen, welche die christliche Erfahrung in Anlehnung an den hl. Johannes Cassian und den hl. Gregor d. Gr. unterschieden hat. Als Hauptsünden werden sie deswegen bezeichnet, weil sie weitere Sünden, weitere Laster erzeugen. Hauptsünden sind: Stolz, Habsucht, Neid, Zorn, Unkeuschheit, Unmäßigkeit, Trägheit oder Überdruss (acedia). Noch ein Wort, um einen Weg zu eröffnen und eine Zukunft zu schaffen. Die moderne Psychologie hat die Motive und Manifestationen dieser Laster tiefschürfend studiert; die Soziologie uns gezeigt, dass viele dieser Laster soziale und kulturelle Formen annehmen und am Ende gefördert und als respektabel betrachtet werden (zum Beispiel: der in der Selbstwertschätzung verborgene Stolz oder der als Durchsetzungsvermögen verkleidete Zorn). Wir können auch nach den Kriterien fragen, nach denen Sünden als Hauptsünden gelten. Gibt es denn keine anderen Sünden, die vielleicht grundlegender sind und andere Übel erzeugen? Man könnte sich auch fragen, ob diese Hauptsünden eine Erwiderung in den ungeordneten Tendenzen finden, wie Frauen oder auch andere Kulturen und Religionen sie kennen. 1.2. Das Übel der Acedia Versuchen wir eine globale historische Sicht auf das Phänomen der Acedia, gleichsam aus der Vogelperspektive. Mich interessieren hier nur einige wenige geistliche Lehrer, die die Fundamente legen, auf denen wir bauen, auch heute noch. Der große Theoretiker der Acedia ist Evagrius Ponticus. Das Wort „Theoretiker“ ist als ein substantivisch gebrauchtes Adjektiv zu verstehen, welches die Fähigkeit ausdrückt, für eine lebendige Erfahrung ein Konzept zu erstellen und sie in Worte zu fassen. Evagrius beschreibt mit Scharfsinn und Humor die verschiedenen Erscheinungsformen der Acedia. Wir alle kennen diese Texte, und man braucht sie hier nicht zu zitieren, zumal sie in auch den letzten Jahren tief und klar studiert worden sind. Für unseren Zweck genügt es, auf einige Schlüsselaspekte der evagrianischen Lehre hinzuweisen. Die Acedia ist ein komplexes Gemisch aus Gedanken und Leidenschaft, sie nährt sich von den Affekten der Jähzornigkeit und zugleich der Begehrlichkeit, und sie weckt gewöhnlich alle anderen Laster. Das erklärt, warum ihre Erscheinungsformen extrem widersprüchlich sein können: Faulheit und Aktivismus, Lähmung und Raserei, Frustration und Aggressivität, Flucht vor dem Guten und Hingabe an das Schlechte. So erklärt sich, warum das Ergebnis eine Art innere Desintegration ist. Die Traurigkeit ist die Zwillingsschwester der Acedia, sie sehen einander in gewisser Hinsicht ähnlich, aber sie sind nicht identisch. Der Traurige findet leichter ein Heilmittel für seinen Zustand, wohingegen der Mensch mit Acedia total eingekreist ist. Die Traurigkeit ist eine vorübergehende und teilweise Erfahrung; die Acedia ist ein fortdauerndes und umfassendes Erlebnis, und in diesem Sinn der menschlichen Natur entgegengesetzt. Die hauptsächlichsten Formen des „Mittagsdämons“ der Acedia sind: Innere Instabilität und Bedarf nach Veränderung (gedankliches und geografisches Vagabundieren); exzessive Sorge um die eigene Gesundheit (ständige Beschäftigung mit dem Essen); Abneigung gegen manuelle Arbeit (Faulheit und Trägheit); unkontrollierter Aktivismus (unter dem Mantel der Nächstenliebe); Vernachlässigung der monastischen Praktiken (Minimalismus der Observanzen); auffälliger Eifer in einigen asketischen Übungen (mit extremer Kritik am anderen); allgemeine Mutlosigkeit (Beginn einer uploads/Litterature/ eine-traurigkeit-die-das-verlangen-nach-gott-zersetzt.pdf

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