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Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt Digitale Bibliothek des Sondersammelgebietes Vorderer Orient Die Inschrift des Tonjukuk Hirth, Friedrich 1899 urn:nbn:de:gbv:3:5-31433 NACHWORTE INSCHRIFT DES TONJUKUK BEITRÄGE ZUR GESCHICHTE DER OST-TÜRKENIM 7. UND 8. JAHRHUNDERT NACH CHINESISCHEN QUELLEN VON Prof. Dr. Friedrich. Hirth I. Zeit des Ku-tu-lu (Ilteres Khan). Die Inschrift des Tonjukuk schildert uns die militärische und politische Laufbahn eines türkischen Nationalhelden,eines Bismarck in seiner Art, der unter drei Khanen gedient und mehr als irgend einer seiner Landsleute dazu beigetragen hat, das im 7. Jahrhundert zeitweilig von den Chinesen unterjochteTürkenvolkwieder unabhängigund gross zu machen. Mitthei¬ lungen über die Kegierungder drei Khane, die hauptsächlichsten politischen Ereignisse, die Namen vieler Nachbar-Völker, türkischer und chinesischer Staatseinrichtungen, u. s. w., lassen sich in gleichzeitigenund späteren chinesischen Aufzeichnungen ohne allzugrosseSchwierigkeiten wiederfinden. "Wo sich Zeitangabendurch Schlussfolgerung feststellen lassen, decken diese sich nicht nur mit den übrigen im Laufe der letzten Jahre entdeckten und entzifferten alttürkischcn Inschriften, sondern auch mit der chinesischen Ueberlieferung,so dass über gewisse Idcntificationen,wie z. B. die Namen der drei Gross-Khane,nicht der geringste Zweifel obwalten kann. So heisst Idat Schad, alias Tatscham,den die Inschriftenseit seiner Thronbesteigung Iltcres- oder Ältäräs-Khannennen, bei den ChinesenKu-tu-lu. Sein Bru¬ der, nach der vorliegenden Inschrift als Kapagan-Khanregierend,entspricht dem Mo-tscho der Chinesen. Ihm folgte als dritter der rechtmässigeErbe des Ilteres-Kakhan,dessen ältester Sohn Bilgä-Kakhan, der auch in den chinesischen Texten in der unumgänglichenTransscription Pi-kie" k'o-han, meist aber Siau-scha,d. i. «der kleine Schad», oder Mo-ki-lien genannt wird. Der Name des weisen Tonjukuk, dessen Auto-Nekrologin Gestalt der Inschrift von 1897 vor uns liegt, wird nun allerdings mit der Transscrip¬ tion T'un-yü-ku in den chinesischenTexten erwähnt, aber die türkische Ueberlieferung weicht, wenn wir den ersten Eindrücken ihres Berichtes fol¬ gen, ganz bedeutend von der chinesischenin einem wichtigen Punkte ab. 2 FRIEDRICH HIRTH, Nacli der Inschrift war Tonjukuk der geistige Urheber aller türkischen Unternehmungenseit der Erhebung des Iltcres-Khan (Ku-tu-lu) im Jahre 682. Er war dessen Berather und Lenker der von ihm unternommenen Kämpfe. Nachdem er mit ihm die Unabhängigkeitseines Volkes begründet hatte, diente er in einflussreicher Stellung unter seinen beiden Nachfolgern weiter und trat besonders unter seinem dritten Herrn, Bilgä-Kakhan, durch seine erfolgreichen Rathschlägevon Neuem in den Vordergrund. In den chinesischen Aufzeichnungendagegen hören wir zum ersten Male von Tonjukuk (T'un-yü-ku) erst beim Regierungsantritt des Bilgä- Kakhan im Jahre 716. Seiner früheren Thätigkeit, besonders seiner unter Uteres-Khan(Ku-tu-lu) erworbenen grossen Verdienste um die Wiederauf¬ richtung der türkischenHeeresmacht,wird scheinbar in keiner Weise ge¬ dacht. Dagegenfällt nach den chinesischen Berichten die Rolle eines ersten Berathers, steten Kampfgenossen und Schlachtenlenkersdes Ku-tu-lu einem gewissen A-sch'i-tö Yüan-tschön zu, der, ursprünglich im Dienste der Chi¬ nesen stehend, an diesen zum Verräther wurde und sich mit Ku-tu-lu zum Kampfe um die türkische Freiheit verband. A-sch'i-tö Yüan-tschön starb nach den chinesischen Berichten noch vor Uteres-Khan(692) im Kampfe gegen die Türgäsch. Wir stehen hier vor einem beinahe unfassbarenRäthsel. Eine Lösung scheint mir jedoch trotzdem möglich. Wenigstens hoffe ich diejenigen mei¬ ner Leser, die ein Hinabsteigenin die bisweilen engen und finsteren Gänge des chinesischen Literatur-Bergwerkesunter meiner Führung wagen wollen, davon zu überzeugen, dass die beiden nur scheinbar sich widersprechenden Ueberlie.ferungen doch in den Hauptpunktensich decken, wenn wir es ver¬ stehen, zwischen den Zeilen zu lesen. Die Hypothese,die ich zu diesem Zwecke aufzustellen und zu vertheidigen gedenke, gipfelt, um es sogleich zu sagen, in dem Satze: T'un-yü-ku und A-sch'i-tö Yüan-tschönsind nur verschiedene Namen für ein und dieselbe Persönlichkeit. Ehe ich die eigentliche Beweisführungdafür antrete, seien mir einige flüchtige Bemerkungenüber die wichtigstenTexte gestattet, in denen sich die chinesischen Berichte über die hier in Frage kommende, etwa die fünfzig Jahre von 680 bis 730 umfassende Periode der Türken-Geschichtefinden, und die ich sogleich in chronologischer Reihenfolge anführe (vgl. auch meine Mittheilungen«Ueber die chinesischen Quellen zur KenntnissCentraiasiens unter der Herrschaft der Sassaniden etwa in der Zeit 500 bis 650» in der Wiener Zeitschriftfür die Kunde des Morgenlandes, Bd.X, p. 225—241). Für diese Texte kommen die folgenden Werke in Betracht. NACHWORTEZUR INSCHRIFT DES TONJUKÜK. ä 1) Das T'ung-tien ($g Ä.) von Tu Yu, der von 733 bis 812 lebte (vgl. Wylie, Notes on Chinese Literature, p. 55). Das T'ung-tien enthält wohl die ältesten Büchertexte,die von den Türken dieser Zeit handeln. Der Herausgeber Tu Yu kann als junger Mann noch Manchen gesehen haben, der die darin geschilderten Ereignisse miterlebt hat. Wahrscheinlich jedoch hat er in seinen ethnographischenKapiteln einen noch älteren Encyclopädisten kopirt, da seine Texte gar nicht einmal bis auf seine Lebzeiten fortgeführt sind, so dass z. B. der Tod des Kül-Tägin nicht mehr erwähnt wird. Es ist sehr zu bedauern, dass von den Aufzeichnungendes Tu Huan (^t l|t), eines Verwandtendes Tu Yu, der sicli an dem Feldzuge des in der Schlacht am Flusse Tharäs besiegten Koreaners Kau Si6n-tschi betheiligte (751 n. Chr.) und nach 10-jähriger Gefangenschaftbei den Arabern 762 zur See über Canton in seine Heimath zurückkehrte, um in einem leider nur in BruchstückenerhaltenenWerke King-hing-ki (jjjjg |g) die von ihm durchreisten Länder zu schildern, nichts von den Türken handelt. Die Auf¬ zeichnungendes T'ung-tien stimmen in der Hauptsachemit denen des Kiu-t'ang-schu überein, da sie beide indirect der gleichen Quelle, den chinesischenHofakten, entlehnt sind. Der dem T'ung-ti6n an Alter am nächsten stehende Text ist 2) das Kiu-t'ang-schu (^ j|f if£), die erste officielle Geschichte der Dynastie T'ang, deren letzte Redaction in das Ende des 10. Jahrhun¬ derts fällt und die daher etwa 250 Jahre jünger ist, als das T'ung-ti6n. Es folgt dem Alter nach 3) das T'ai-p'ing-huan-yü-ki (Jfc 2p ^ ^ fß), eine der älte¬ sten Reichs-Geographienaus der Zeit der Regierungsperiode T'ai-p'ing (976—984; vgl. Wylie, p. 35). Im Huan-yü-ki finden sich mancherlei Zusätze gegenüber den übrigen Texten, die für uns oft von Bedeutung sind. 4) das T'ai-p'ing-yü-lan 2p f^p ^), die grosse Excyclopädie der Sung, die zuerst im Jahre 983 fertig vorlag. Jetzt erst kommen wir 5) zum T'ang-schu (j§f einer stilistisch verbessertenAusgabe des Kiu-t'ang-schu, das in allen Fällen als Quelle zu vergleichenist. Die biographischen, einschliesslichder ethnographischenKapitel (lie-tschuan) stammen von Sung K'i, der von 998 bis 1061 lebte. Einer nicht viel spä¬ teren Zeit gehört 6) das T'ung-kien-kang-mu $ g) an, das, in seiner älte¬ sten Form von Ss'i-ma Kuang c. 1070 compilirtund ein Jahrhundert später unter der Leitung des Philosophen Tschu Hi (f 1200 n. Chr.) von dessen Schülern herausgegeben,den Gang der Ereignisse in Form einer chronolo¬ gischen Tabelle mit erklärenden Anmerkungen schildert (vgl. Wylie, p. 20). Die Commcntare zu diesen Anmerkungen sind für alles Türkischebesonders 4 FRIEDRICH HIRTH, dadurch wichtig, dass sie uns oft willkommene Aufklärung über Ortsnamen verschaffen.Der erzählendeText weicht weniger im Inhalt als in der Form von den Standard-Historikernab, verdient jedoch in allen Fällen zum Ver¬ gleiche mit denselben herangezogen zu werden. 7) Das Wön-hien-t'ung-k'au J$fe M #) des Ma Tuan-lin ist erst 1319 fertig geworden. Für Alles, was hinter dem Anfang des 8. Jahr¬ hunderts liegt, ist es nur eine Abschrift des T'ung-ti6n; für das spätere Mittelalter wird es hauptsächlich dadurch nützlich, dass wir darin bisweilen schwierige Stellen älterer Texte in aufklärender Paraphrase wiederfinden. Als Quelle kommt es nur in den seltenenFällen in Betracht, in denen dem Autor seiner Zeit noch Texte vorgelegen haben, die uns jetzt nicht mehr erhalten sind. Die genannten Texte enthalten das Wichtigste für den Theil der Ge¬ schichteder Türken, der uns momentan interessirt, ich meine die Periode im Anfang der T'ang-Dynastie(618 n. Chr.) bis zur Mitte des 8. Jahrhun¬ derts. VereinzelteLicht verbreitende Stellen finden sich auch in anderen Werken, die wir als Nebeuquellenin zweiter Linie heranzuziehenhaben, sowie in den uns bekannten Inschriften. So reichlich wir mit Übersetzungen und Auszügen aus den genannten chinesischen Quellen versehen sind, so wenig genügen dieselben zum gründ¬ lichen Verständniss der neu entdeckten Inschriften. Auch ich sehe, wie Badloff (Alttürkische Inschriften, Neue Folge, Vorwort,IV), keinen beson¬ deren Nutzen darin, längst veröffentlichte Thatsachen von Neuem compilato- risch zusammenzustellen. Wo jedoch das Wiedererkennen des Zusammenhanges zwischen der chinesischen und der durch Inschriftenfunde aufgedeckten tür¬ kischen Ueberlieferungselbst durch kleine Missverständnisse in den beider¬ seitigen Uebersetzungenerschwert werden kann, da ist neues Durcharbeiten der chinesischen Texte und besonders eine auf die Erklärung der mit den Inschriften erstandenen Probleme gerichtete Interpretationunerlässlich.Sehr richtig sagt Kadloff: «Nur der kann das geschichtliche Verständnissdieser so dunklen Zeitperiode fördern, der unbekannte Quellen zu benutzenver¬ mag». Ich möchte hinzufügen: «auch derjenige,der durch tieferes Eindrin¬ gen in Sprache und Literatur, überhauptdurch die intensive Arbeitsmethode, die ich von jeher für die Sinologie in Anspruch genommen habe, den bereits bekanntenQuellen neue Gesichtspunkteabzugewinnen vermag». Die meisten der bis jetzt vorhandenen Uebersetzungenleiden an dem Uebelstande,dass ihre Verfassersich viel zu umfangreiche Aufgaben gestellt hatten, um den immer noch nicht genügend gewürdigtenSchwierigkeiten der chinesischen Sprache im Einzelnen zu genügen. Ich bin der Meinung, dass ein einziges Kapitel richtig übersetzt ganze Bände jener schnell arbei- NACHWORTEZUR INSCHRIFT DES TONJÜKUK. B tenden, möglichst viel und vielerlei umfassendenRichtung aufwiegt, deren Nutzlosigkeitsich erst herausstellt, wenn es darauf ankommt, zur Lösung eines einigermaassen verwickeltenProblems beizutragen. Chinesische Auf¬ zeichnungen über die Geschichte der Türken sind in den folgenden Arbeiten übersetzt oder benutzt worden. 1) Visdelou, «Histoire de la Tartarie», als Anhang zu d'Herbelot's Bibliotheque Orientale, in dem Abschnitt «De l'erapire des Tou Kiue Tar- tares» (p. 40 der Folio-Ausgabe). 2) Gaubil, «Abrßge" de l'histoire Chinoise de la grande dynastie Tang», in Memoires concernant les Chinois, Vol. XV u. XVI. 3) uploads/Litterature/ hirth-die-inschrift-des-tonjukuk.pdf

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