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See discussions, stats, and author profiles for this publication at: https://www.researchgate.net/publication/327306183 Jiddische Etymologie Chapter · January 2002 CITATIONS 0 READS 28 1 author: Georg Schuppener University of Leipzig 72 PUBLICATIONS 5 CITATIONS SEE PROFILE All content following this page was uploaded by Georg Schuppener on 30 August 2018. The user has requested enhancement of the downloaded file. Sonderdruck aus Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig Philologisch-historische Klasse Band 76 Heft 4 Das Wort in Text und Wörterbuch Herausgegeben von Irmhild Barz, Ulla Fix und Gotthard Lerchner liii liii Verlag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig In Kommission bei S. Hirzel Stuttgart/Leipzig GEORG SCHUPPENER Jiddische Etymologie Ein Forschungsdesiderat der Lexikographie Voraussetzungen Für nahezu alle größeren europäischen Sprachen existieren, zum Teil schon sehr lange, ausführliche etymologische Wörterbücher; meist liegt sogar eine Vielzahl von solchen vor. Hinsichtlich des Jiddischen ist die Situation gänzlich anders. Obgleich vor dem 2. Weltkrieg schätzungsweise 10 bis 12 Millionen Menschen Jiddisch als Muttersprache hatten (Best 1988, 28f.) und damit Jiddisch nach Englisch und Deutsch die dritthäufigst gesprochene germanische Sprache war und selbst heute noch mehrere Millionen Men- schen Jiddisch sprechen, fehlt für diese Sprache ein etymologisches Wörterbuch bislang gänzlich. Abgesehen von dem Fehlen eines einschlägigen Wörterbuches befindet sich auch die etymologische Forschung zum Jiddischen weitgehend noch im Anfangsstadium. Erste Schritte sind getan, wenngleich sie sich im lexikographischen Bereich auf die Markierung bzw. Sammlung von Wörtern gleicher oder ähnlicher sprachlicher Herkunft beschränken. So kennzeichnet Lötzsch u. a. jene Wörter, die aus dem Slawischen stammen (Lötzsch 1990), wobei auch hier die wesentliche Forschungsarbeit noch zu leisten ist, nämlich die Angabe der konkreten einzelsprachlichen Herkunft, die Analyse der Übernahmeprozesse und der semantischen Entwicklung speziell im Kontext des Jiddischen. Vor wenigen Jahren erschien ein Wörterbuch aller Begriffe und Wendungen hebräischen und aramäi- schen Ursprungs im Jiddischen (NiborskifNeuberg 1997), jedoch bleibt auch in diesem Bereich die spezifisch jiddische semantische, syntaktische und wortbildnerische Ent- wicklung noch näher zu untersuchen. Populäre Darstellungen zum Jiddischen, (z. B. Best 1988, Rosten 1971, 537ff.) be- schränken sich, wenn überhaupt, darauf, an Hand der Nennung einiger Beispiele zu illustrieren, daß sich im Wortschatz des Jiddischen neben lexikalischen Bestandteilen vorwiegend deutschen oder allgemeiner germanischen Ursprunges weiterhin solche he- bräischen (bzw. aramäischen), slawischen sowie in geringem Maße romanischen Ur- sprungs finden lassen. Angesichts des Anspruchs, einen Überblick geben zu wollen, ist diese Beschränkung nicht verwunderlich. Doch auch in speziellerer Literatur werden die „Elemente des Jiddischen" zwar ausführlicher behandelt, aber dennoch im wesentlichen gestützt auf einige wenige exemplarische Belege. (Z. B. Bin-Nun 1973, 110 ff.) Die diachrone jiddistische Sprachwissenschaft konzentriert sich vor allem auf die Frage nach den sprachlichen Entstehungskontexten des Jiddischen und auf die Analyse der Entwick- lungsgeschichte und Sprachwandelprozesse bis zur Ausformung des modernen Jiddisch. Etymologisches wird dabei meist lediglich in belegender Form herangezogen. (Z. B. bei 176 GEORG SCHUPPENER Eggers 1998) Eigens der Etymologie gewidmete Studien hingegen sind rar und beschrän- ken sich auf wenige Detailfragen. (Z. B. Bar-El 1990, Schuppener 1999) Es stellt sich natürlich die Frage nach den Gründen dieser Situation Eine monokausale Erklärung erscheint hier nicht möglich, vielmehr treffen mehrere Faktoren zusammen Eine sicher nicht unerhebliche Rolle spielt ein wissenschaftsgeschichtlicher Umstand Ein Großteil der auch heute noch erhältlichen etymologischen Wörterbücher entstand ursprünglich Ende des 19 Jahrhunderts oder in den ersten Jahrzehnten des 20 Jahrhun- derts. Genannt seien hier nur einige Beispiele zur Illustration Kluges Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache erschien erstmals 1883 Skeats Etymological Dictionary 1882 die Erstausgabe von Waldes Lateinischem etymologischem Wörter- buch" ist nicht viel junger (1906) die Bande des Vergleichenden Wörterbuchs der indogermanischen Sprachen von WaldelPokorny erschienen ab 1928 diejenigen von W. von Wartburgs „Französischem etymologischem Wörterbuch" ab 1922, und A. Brück- ners „Slownik etymologiczny jzyka polskiego" wurde 1927 erstmals veröffentlicht. Der größte Teil dieser Wörterbücher wird heute noch fortgeschrieben oder auch unverändert nachgedruckt. (Z. B. Pokorny 1994, Bruckner 1998, Kluge 1995) Man kann zusammenfassen, daß in diesen Jahrzehnten die Grundlegung der etymologi- schen Lexikographie in den meisten europäischen Sprachen, geschaffen wurde. In dieser Blüteperiode der etymologischen Wörterbücher befand sich die sprachwissenschaftliche Untersuchung des Jiddischen hingegen noch in einem Anfangsstadium, hatte sich doch das Jiddische erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts endgültig als anerkannte Literaturspra- che etabliert.' Daß in dieser wissenschaftshistorisch entscheidenden Phase der etymologi- schen Forschung Impulse für die Beschäftigung mit der Etymologie des jiddischen Wortschatzes aus der damaligen Situation heraus ausblieben, wirkt bis heute nach. So ist bis heute eine dezidierte propädeutische Reflexion über Methoden, Ziele und Konzepte von Forschung auf dem Gebiet der jiddischen Etymologie weitgehend noch nicht erfolgt, was eine wichtige Voraussetzung für intensivierte etymologische Forschung im Bereich des Jiddischen darstellen würde. Zum Ausbleiben intensiverer Bemühungen um die etymologische Erforschung des jiddischen Wortschatzes mag implizit zudem die (irrige) Ansicht beigetragen haben, daß, wenn man nur die Spendersprache eines Wortes identifiziert habe, man auch die Etymolo- gie des betreffenden Wortes im Jiddischen hinreichend genau beschreiben könne. Der damit intendierte Rückgriff auf etymologische Wörterbücher des Deutschen, Englischen, Polnischen, Tschechischen usf. ist jedoch nicht nur umständlich und wenig praktikabel, sondern reicht für die etymologische Beschreibung des jiddischen Wortschatzes keines- falls aus, zumal man in vielen Fällen ja gerade (bislang) nicht ohne weiteres die jeweilige „Spendersprache" eindeutig identifizieren kann - man denke nur an die Frage nach dem 1 Das schließt natürlich nicht aus, daß auch in dieser Zeit bereits grundlegende sprachwissen- schaftliche Werke zum Jiddischen entstanden. Genannt seien als Beispiele nur die beiden heute noch bedeutsamen Werke von Mieses (,‚Die Entstehungsursache der jüdischen Dialekte") bzw. von Birn- baum (,‚Grammatik der jiddischen Sprache"). (Mieses 1979, Birnbaum 1984) Auch in den vergange- nen Jahrzehnten ist die sprachwissenschaftliche Untersuchung des Jiddischen nicht stehengeblieben. Man denke nur an Franz J. Beraneks Bemühungen in der Nachkriegszeit in den „Mitteilungen aus dem Arbeitskreis für Jiddistik" und in neuerer Zeit an Arbeiten der Trierer Jiddisten um Erika Timm. Jiddische Etymologie 177 dialektalen Ursprung des Jiddischen relativ zum Deutschen (Eggers 1998, 59ff.) oder auch an die Lexeme slawischen Ursprungs. Daß im Jiddischen zudem auch spezifische Entwicklungen stattfanden, die aus den etymologischen Wörterbüchern der genannten Sprachen nicht oder nur teilweise erklärlich sind, ist ein Faktum, das ein solches Verfah- ren als unzureichend qualifiziert. Dies läßt sich relativ leicht zeigen an Hand einiger jiddischer Beispiele, die in einer (hier nicht näher zu spezifizierenden) Beziehung zum Deutschen stehen: Eine wichtige Gruppe bilden diejenigen Wörter, die auch im Deutschen existierten, dort aber heute gänzlich ausgestorben oder lediglich noch sehr eingeschränkt dialektal gebräuchlich sind, im Jiddischen jedoch zum rezenten aktiven Wortschatz gehören, wie beispielsweise 17)." 'Uhr', 112V 'Schwiegertochter' oder 7t7t"t 'übersetzen, erklä- ren' (zu letzterem z. B. Grimm/Grimm 1991, Bd. 2, 1050f.). 2 Solche Wörter, die das Jiddische konserviert hat, findet man als Lemmata in deutschen etymologischen Wörter- büchern nur in Einzelfällen. Daneben existieren Lexeme, die zwar ebenso im Deutschen wie im Jiddischen vorkommen, bei denen aber das Jiddische eine ältere Bedeutung erhalten hat, wie beispielsweise bei 1?1 'müssen'. Weiterhin haben mehrere Wörter auch im Jiddischen einen Bedeutungswandel (relativ zum Deutschen) erfahren, wie beispielsweise 71tZY 'Gebetshaus' oder 7)7V 'sich unterhalten'. Schließlich gibt es im Jiddischen eine nicht unerhebliche Zahl von eigenständigen Neubildungen, die das Deut- sche nicht kennt, so u. a. 71"7'1? 'vermeiden', 'ausgewählt' usf. Besonders häufig sind im Jiddischen auch Hybridbildungen, insbesondere mit deut- schem und hebräischem Bestandteil, wie 7V?-7 'Muttersprache, Jiddisch', 71T'1? 'ausrotten', Adjektiv-Derivation von hebräischen Substantiva durch Suf- figierung mit j7'l- oder auch Pluralbildungen mit hebräischen Plural-Morphem wie 'Bauern' oder '1tj1 'Doktoren'. Auch diese Entwicklungen sind spezi- fisch jiddisch und bedürften einer eigenständigen etymologischen Beurteilung. Dies gilt natürlich gleichfalls für Eigenheiten des Jiddischen in phonetischer oder morphemati- scher Hinsicht, wie beispielsweise für die Entrundung, die Kontraktion von ursprünglich -uge- zu -oj- bei 711' 'Kugel' oder auch die Diminutivbildungen auf In allen diesen Fällen vermögen etymologische Wörterbücher des Deutschen für die jiddischen Lexeme keine adäquate Beschreibung der etymologischen Entwicklung zu bieten. Die hier beschriebenen spezifisch jiddischen Sachverhalte lassen sich natürlich mutatis mutandis auch bei den Wortschatzbestandteilen slawischen, hebräischen oder romani- schen Ursprungs feststellen. Auch hier reicht das bislang zur Verfügung stehende Material zur befriedigenden etymologischen Erklärung der betreffenden Formen im Jiddischen häufig nicht aus. Faßt man zusammen, so zeigt sich aus den dargestellten Aspekten relativ rasch, daß Jiddisch als eigenständige Sprache zur diachronen Analyse seines Wortschatzes eines eigenen etymologischen Wörterbuches bedarf. Etwaige gegenläufige Ansichten würden den Status des Jiddischen als eigener Sprache negieren und implizit auf die Jahrhunderte verbreitete Wertung von Jiddisch als „Jargon" rückführen. 2 Zu untergegangenen Wörtern im Deutschen vgl. Osman 1992. Hier finden sich weitere Wörter, die im Jiddischen noch im aktiven Gebrauch sind. 178 GEORG SCHUPPENER Konzeption und Realisierung Vor diesem Hintergrund ergeben sich mehrere Fragen hinsichtlich der möglichen Reali- sierung eines derartigen Wörterbuches. Die grundlegendste Frage ist wohl diejenige danach, welche Ziele im Detail das Wörterbuch erreichen soll und welche Form es daher haben soll. Mit der Klärung dessen ergeben sich natürlich unmittelbar Folgerungen für das konkrete Vorgehen. Definiert man die Zielgruppe, an die sich ein solches Wörterbuch richten soll, dadurch, daß sowohl Sprachwissenschaftler wie auch inter$sierte Laien angesprochen werden sollen, so muß das Werk in Form und Umfang als Handbuch konzipiert sein. Hieraus ergeben sich Kriterien für den zu lemmatisierenden Wortschatz: So wün- schenswert uploads/Litterature/ jiddische-etymologie.pdf
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- Publié le Jul 21, 2021
- Catégorie Literature / Litté...
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