1 VORLESUNG 3 DER SPRACHWANDEL UND SEINE BESCHREIBUNG Inhalt 3.1. Zum Begriff “

1 VORLESUNG 3 DER SPRACHWANDEL UND SEINE BESCHREIBUNG Inhalt 3.1. Zum Begriff “Sprachwandel” .............................................................. 1 3.2. Ursachen, Bedingungen und Faktoren des Sprachwandels ............... 1 3.3. Der Weg des Wortes “deutsch” .......................................................... 3 3.4. Arten des Sprachwandels .................................................................. 3 3.5. Verwendete Literatur ........................................................................ 19 Ich komme nun zum ersten Teil meiner Ausführungen, der sich mit dem Spachwandel beschäftigt. Was versteht man unter dem Sprachwandel? 3.1. Zum Begriff “Sprachwandel” Untersuchungsgegenstand der historischen Linguistik ist Sprachwandel – “Prozess der Veränderung von Sprachelementen und Sprachsystemen in der Zeit“ (LS 2008, 670). Zu den Typen von Veränderungen (Barbour 1998, 56–59), die eindeutig außersprachlich (d. h. sozial und / oder politisch) bedingt sind, gehören der Einfluss des Deutschen auf andere Sprachen die Beeinflussung des Deutschen durch andere Sprachen der Einfluss des Standards auf Nichstandard-Varietäten. 3.2. Ursachen, Bedingungen und Faktoren des Sprachwandels Wie entsteht Sprachwandel? Sprachwandel entsteht für gewöhnlich aus einem Zusammenspiel von Faktoren. Peter von Polenz benennt als Faktoren für Sprachwandel (Polenz 2000, 28– 80): 1. Ökonomie (Streben nach Vereinfachung und Kürze): Veränderungen, die enstehen, weil Sprecher oder Schreiber aus Gründen der Zeitersparnis und Bequemlichkeit eine reduzierte Sprache verwenden. 2. Innovation (Streben nach Neuerungen): Veränderungen, die entstehen, weil das gewohnte Inventar der Sprache für kreative und nonkonformistische Tätigkeiten nicht hinreichend geeignet ist und entwicklungsbedürftig zu sein scheint. 3. Variation (Streben nach regionalen, sozialen, funktionalen, stilistischen Alternativen). 4. Evolution (Einfluss gesellschaftlicher Kräfte, z. B. als nichtintendierte Folgen intentionaler Handlungen; vgl. unsichtbare Hand): Sprachliche Veränderungen sind nicht auf intentionale Handlungen einzelner zurückzuführen (evolutionärer, nicht teleologischer Prozess). Was sind nun die Ursachen für den Sprachwandel? Warum wandelt sich Sprache? Die Ursachen können innersprachlicher Art sein: Sehr alte Entwicklungstendenzen wirken z. B. über Jahrhunderte weiter; oder eine sprachliche 2 Veränderung zieht eine andere nach, so dass eine Kettenreaktion entsteht. Manche phonologische, morphologische und syntaktische Veränderungen können hindurch erklärt werden. Oft wirken andere Sprachen ein (z. B. Prestigesprache). Andererseits spielen aber auch außersprachliche Ursachen eine Rolle: Da die Sprache eine soziale Erscheinung ist, spiegeln sich politische, soziale, wirtschaftliche, technische und geistesgeschichtliche Verhältnisse und Veränderungen in ihr wider. (Stedje 1989, 16). In neueren Darstellungen wird eher und offener von Faktoren gesprochen, in älteren meist von Ursachen und Bedingungen des Sprachwandels. Die von Hugo Moser (1965) (Wolff 2009, 29) genannten Triebkräfte sind teils individual- und gruppenpsychologischer Art, teils sozialer sowie ethischer und ästhetischer Art. Hugo Moser hat ein relativ ausführliches Modell aufgestellt, das auf der Unterscheidung von Triebkräften (als primären Ursachen) und Ausbreitungsbe- dingungen (als sekundären Ursachen) des Sprachwandels beruht. Es wird auf Abbildung unten übersichtlich zusammengefasst (Modell aus H. Moser 1965, 51ff; zitiert nach Wolff 2009, 29). Abb. 3.2.1 Triebkräfte und Ausbreitungsbedingungen des Sprachwandels nach Hugo Moser Haupt- klassen Unterklassen Einzelaspekte / Beispiele 1. primäre Ursachen: Triebkräfte 1.1. innermenschliche - physiologische Verhalten der Sprechwerkzeuge, z. B. beim kombinatorischen Lautwandel (Umlaut, Palatalisierung) - psychologische Vereinfachungstrieb (bei Volksetymologien: mhd. sintfluot > nhd. Sündflut) Einordnungsbetrieb (bei Analogiebildungen: Plural auf -er; Umlaut) Spieltrieb (bei bestimmten Wortbildungen) - geistige Bewusstseinsveränderungen (Bedeutungs- wandel: Tugend, Minne) 1.2. innersprachliche - Betonungs- verhältnisse Tonakzent (Tonhöhe) und Druckakzent (bewirkt Abschleifung der Endungen) 2. sekundäre Ursachen: Ausbreitungsbedingu ngen 2.1. psychologisch-soziologische - Nachahmungs- trieb Einfluss der sozialen Stellung (Stellung der Hochsprache, Dichtersprache, Amtsdeutsch) - Sprachregelung Einfluss der Oberschicht (bei Wortformen, Rechtschreibung etc.) 2.2. geschichtlich-geographische - Besiedelung Einfluss der Bevölkerungsmischung (Ostkolonisation) - Verkehr Einfluss von Straßen und Handelsverbindungen (z. B. bei Köln) 3.3. Der Weg des Wortes “deutsch” 3 Das Wort “deutsch” entstand wahrscheinlich im 8. Jahrhundert als Bezeichnung für die Sprache, die im östlichen Teil des Frankenreichs gesprochen wurde, abgeleitet von einem alten Wort für “Volk” (*þeodisk ‘zum Volk gehörig’ vom germ. *þeudo- ‘Volk’). Aber die Idee eines deutschen Volkes entwickelte sich erst in einem jahrhundertelangen widersprüchlichen Prozess (s. Abb. 3.3.1. Der Name “deutsch”). Der allererste Beleg stammt aus dem Jahre 786: in rechtssprachlichen Texten finden wir lat. theodiscus (theod-isk →“deutsch-isch”‘zum Volk gehörig’). Abb. 3.3.1 Der Name “deutsch” 786 theodiscus (= volkssprachlich) ↓ 842 “Straßburger Eide”: theudisca lingua (rechtssprachlicher Terminus zur Abgrenzung von lateinischer und romanischer Sprache) ↓ 1000 Notker d. Deutsche: in diutiscum als Sprachbezeichnung ↓ 1090 “Annolied”: diutisch als Bezeichnung für Sprache, Land und Leute diutischi liute, diutischi man, in diutischemi lant, diutischin sprechin In der bekannten “Kaiserchronik” (Mitte 12. Jh.) hat sich das Wort schließlich als Volksbegriff und zugleich als geographische Bezeichnung durchgesetzt (dûtisc volch, in dûtiscem riche). Von “Teutschland” im nationalen Sinne wird aber erst in frühneuhoch- deutscher Zeit, also im Spätmittelalter, gesprochen. 3.4. Arten des Sprachwandels Ich möchte an dieser Stelle kurz auf Arten des Sprachwandels eingehen: o phonetisch-phonologischer Wandel (Lautwandel) (Aussprache- veränderungen); o morphologischer Wandel (Wandel der Wortgestalt) (die Flexion ändert sich); o syntaktischer Wandel (der Satzbau wird anders); o lexikalischer Wandel (Veränderungen im Wortbestand); o semantischer Wandel (Bedeutungswandel); o pragmatischer Wandel. 4 Sprachwandel vollzieht sich auf allen sprachlichen Ebenen (vgl. Stedje 1989, 16– 33; Fischer 1999, 121; Remberger 2013). Wie sehr sich die deutsche Sprache seit den ersten schriftlichen Denkmälern im 8. Jh. verändert hat, bemerken wir, wenn wir einen Text aus dieser Zeit (z. B. “Hildebrandlied”) lesen. Lautwandel ist schwierig zu bestimmen, da wir keine Tonbandaufnahmen aus den ältesten Sprachphasen zur Verfügung haben. Wir müssen uns also auf (geschriebene) Texte und auf das, was uns die Schreibweise über die Laute verrät, stützen. Lautlicher Sprachwandel (engl. sound change) beginnt auf der phonetischen Ebene (konkrete Realisierungen der Laute), kann aber zu Veränderungen auf phonologischer Ebene (Veränderungen im System) führen: - Veränderungen im Konsonantismus: Lautverschiebung; - Veränderungen im Vokalismus: Umlaut, Monophthongierung und Diphthongierung. Schon wenn wir nun den althochdeutschen und den neuhochdeutschen Text vergleichen, finden wir Beispiele für die wichtigsten Ausspracheveränderungen, die das Deutsche im Laufe der Jahrhunderte erfahren hat. dat sagetun mi usere liuti alte anti frote, dea érhina varun, dat hiltibrant hætti min fater, ih heittu hadubrant. forn her ostar gihueit, floh her otachres nid, hina miti theotrihhe enti sinero degano filu. her furlaet in lante luttila sitten, prut in bure barn unvahsan, arbeo laosa. […] wili mih dinu speru werpan. “Hildebrandlied” Das erzählten mir unsere Leute, alte und erfahrene, die vordem waren, dass mein Vater Hildebrand hieße, ich heiße Hadubrand. In der Vorzeit ging er nach Osten, floh er (vor) Odoakers Hass, dorthin mit Dietrich und vielen seiner Degen (Krieger). Er ließ im Lande gering (elend; oder: die Kleine) sitzen, die junge Frau im Hause und ein unerwachsenes Kind, erblos. […] Du willst mich mit deinem Speer (be)werfen. dat › das sitten › sitzen Lautverschiebung arbi › Erbe Umlaut prut › Braut min › mein Diphthongierung (Lautwandel, bei dem lange Vokale zu “Zweilauten” werden, z. B. neuhochdt. Diphthongierung: mhd. mîn niuwez hûs > nhd. mein neues 5 Haus”) filu › viel Vokaldehnung warun › waren liuti › Leute Vokalschwächung hina › hin Apokope sagetun › sagten Synkope Andere lautliche Veränderungen, die seither die deutsche Sprache betroffen haben, sind vor allem: Monophthongierung (Lautwandel, bei dem Diphthonge zu langen Vokalen reduziert werden): z. B. mhd. liebe guote brueder > nhd. liebe gute Brüder”. Delabialisierung (Entrundung eines Vokals): ö > e, ü > i, z. B. mhd. küssen > Kissen Labialisierung (Rundung eines Vokals): i > ü, e > ö, z. B. Sintflut > Sündflut, mhd. helle > Hölle Auslautverhärtung (Auslautverschärfung: im Mhd. verloren auslautende, stimmhafte Konsonanten ihren –b, -d, -g Stimmton (-p, -t, k)): ahd. tag > mhd. der tac [tak] – des tages ahd. līb > mhd. lîp (Leib) – Gen. lîbes ahd. rad > mhd. rat (Rad) – Gen. rades Assimilation (Angleichung): tump > dumm Dissimilation (Unähnlichwerden): samenen > sammeln Apokope (Wegfall von unbetontem e am Wortende): schoene > schön Synkope (Wegfall von unbetontem e im Wortinneren): angest > Angst Die Zweite Lautverschiebung hat für die deutsche Sprache eine sehr hohe Bedeutung, da hiermit oft der Beginn der deutschen Sprachgeschichte angesetzt wird. Die zweite oder hochdeutsche Lautverschiebung führt durch Veränderungen im Konsonantismus zur Ausgliederung des Deutschen bzw. seiner “hochdeutschen” Dialekte aus den übrigen germanischen Sprachen. Man nennt dieses Lautwandelereignis zweite Lautverschiebung im Unterschied zur sog. ersten oder germanischen Lautverschiebung im 1. Jahrtausend v. Chr., die ein gesamtgermanisches Phänomen ist, d. h. sämtliche germanischen Sprachen (im Unterschied zu den romanischen, slawischen etc. Sprachen) erfasst hat. Es ist die hochdeutsche Lautverschiebung, weil sie ursprünglich nur die oberdeutschen Dialekte betraf, die historisch gesehen für die Ausbildung der heutigen Norm der deutschen Standardsprache grundlegend waren. Zeitlicher Befund: Sie umfasst eine ganze Reihe an Konsonanten und erstreckt sich über einen Zeitraum von etwa vierhundert Jahren, der im 6. Jahrhundert 6 (möglicherweise bereits im 5. Jahrhundert) beginnt und im 8. oder 9. Jahrhundert n. Chr. endet. Geografischer Befund: Das Lautwandelereignis fand statt im ober- oder süddeutschen Raum, abgeschwächt im mitteldeutschen Raum, nicht jedoch im nieder- oder norddeutschen Raum und im übrigen germanischen Sprachgebiet (vgl. Roelcke 2009, 23): Niederdeutsch tid, water, slapen, maken, dorp, dat, appel, pund Mitteldeutsch (Hochdeutsch) Westmitteldeutsch zeit, wasser, schlafen, machen, dorp/dorf, dat, appel, pund Ostmitteldeutsch zeit, wasser, schlafen, machen, dorf, das, appel, fund Oberdeutsch (Hochdeutsch) zeit, wasser, schlafen, machen, dorf, das, apfel, pfund, (kind, knecht) (chind) (kchnecht) Linguistischer Befund (König 2011, 63): Diese Lautverschiebung betrifft eine Reihe von Konsonanten des Germanischen, die im Verlaufe dieses Wandels in der besagten Zeit und dem besagten Gebiet durch andere Konsonanten ersetzt worden uploads/Litterature/ vorlesung-3.pdf

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