Christian Busse »Eine Maske ist gefallen« Die Berliner Tagung »Das Judentum und

Christian Busse »Eine Maske ist gefallen« Die Berliner Tagung »Das Judentum und die Rechtswissenschaft« vom 3-/4. Oktober 1936 Am J./4. Oktober 1936 fand im »Haus der Deutschen Rechtsfront« in Berlin eine Tagung statt, die die deutsche Rechtswissenschaft zu einem ihrer vielen Tief­ punkte während der Zeit des Dritten Reiches führte. Sie trug den Titel »Das Judentum in der Rechtswissenschaft« und wurde von Carl Schmitt »moderiert«. Ihr erklärter Inhalt war die wissenschaftlich verbrämte Diffamierung deutscher Rechtsgelehrter jüdischer Herkunft, ihr erklärtes Ziel die endgültige Ausschal­ tung eben dieser Personen aus der deutschen Rechtspraxis und Rechtswissen­ schaft. Diese Tagung verdient es, als abschreckendes Beispiel nicht vergessen zu werden. Die Red. I. Einleitung Eine Annäherung ist aus mehreren Perspektiven möglich. So kann sie in den großen Kontext der Judenverfolgung im Dritten Reich' und spezieller in die Verfolgung von Juristen jüdischer Herkunft eingeordnet werden. Göppinger kommt das Verdienst zu, die Tagung in dieser Hinsicht beschrieben zu haben/ Seine Rekonstruktion der Ereignisse wird im Folgenden zugrundegelegt. Als zweites ist eine institutionengeschichtliche Herangehensweise möglich, da die Tagung von der Reichsgruppe der Hochschullehrer des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes (NSRB) veranstaltet wurde. Sie steht dadurch im Zusammen­ hang mit der Verwicklung der deutschsprachigen Universitäten und Hochschullehrer sowie deren Vereinigungen in das damalige Unrechtsregime. Weiterhin existiert eine personengeschichtliche Dimension, indem nach den Planern, Veranstaltern, Vortra­ genden5 und Teilnehmern gefragt wird. Diese Dimension ist zugleich Bestandteil der Debatte über die Person und Rolle Schmitts im Dritten Reich. Unter letzterem Aspekt haben sich Koenen und Gross der Tagung gewidmet.1 2 3 4 Schmitts Rolle führt schließlich zu der vierten Perspektive, die die Tagung in den Kontext der regimein­ 1 Vgl. dazu mit entspr. Nachw. den chronologischen Überblick von Funke, Auswanderung - Aussiedlung - Ausrottung. Ein Beitrag zur Tateinheit von Rassen- und Machtpolitik während der Diktatur Hitlers, in: FS für Bracher, 1987, S. 237 ff. 2 Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im »Dritten Reich« - Entrechtung und Verfolgung, 2. Aufl. 1990, S. 153 ff.; lediglich Göppinger wiedergebend die Dissertation von Rapp, Die Stellung der Juden in der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre, 1990, S. 176 ff.; auf der Grundlage Göppingen mit weiterführen­ den Überlegungen Hofmann, »Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist«, in: Müller/Wittstadt (Hrsg.), Geschichte und Kultur des Judentums, 1988, S. 223 ff. In den gängigen Studien­ büchern zur deutschen Rcchtsgeschichtc wird die Tagung nicht aufgeführt, vgl. nur trotz einer längeren Beschäftigung mit Schmitt Ebel, Rechtsgeschichte - Ein Lehrbuch, Band 2, 1993, S. 216 ff., Rdnrn. 846 ff. 3 S. dazu insbes. Hofmann (Fn. 2), S. 22$ ff. 4 Koenen, Der Fall Carl Schmitt: Sein Aufstieg zum »Kronjuristen des Dritten Reiches«, 1995, S. 708 ff.; darauf aufbauend und Koenen teilweise kritisierend Gross, Carl Schmitt und die Juden - Eine deutsche Rechtslehre, 2000, S. 120 ff. - Im Rahmen der nach 194$ einsetzenden Diskussion um das Werk Schmitts ternen Machtkämpfe stellt. Angesichts der Komplexität und Weitläufigkeit dieser Fragen beschränkt sich der Verfasser im folgenden auf eine Schilderung der aus seiner Sicht wichtigsten Gesichtspunkte, wobei zu betonen ist, daß keine Archivforschung betrieben wurde, sondern nur ein Überblick über bereits zitierte oder leicht zugäng­ liche Primär- und Sekundärquellen gegeben werden soll. II. Die Überwachung des Schrifttums und die »Juristenlisten« Aufgrund des Reichskulturkammergesetzes vom 22. September 1933’ wurde am 15. November 1933 die Reichskulturkammer geschaffen, die dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda zugeordnet war und als Zwangsorganisation für eine linientreue Publikation sorgen sollte.6 Zugleich wurden Personen jüdischer Herkunft aus der Organisation ausgeschlossen bzw. gar nicht erst aufgenommen. Unterabteilungen waren die Reichspressekammer und die Reichsschrifttumskam­ mer. Letztere umfaßte keine rein wissenschaftliche Literatur und damit keine juristi­ schen Werke, während erstere durch eine weite Auslegung des Begriffes der politi­ schen Zeitschrift (§§ 1, 3 des Schriftleitergesetzes vom 4. Oktober 1933)7 auch für juristische Zeitschriften wie etwa die Juristische Wochenschrift (JW) zuständig war. Zur juristischen Literatur insgesamt wurden im Herbst 1933 ebenfalls einschlägige Abreden getroffen, so zwischen dem Reichsrechtsführer Hans Frank und Verlegern anläßlich des Juristentages in Leipzig Ende September/Anfang August 1933. Am 11. November 1933 ordnete Frank die Bildung eines Zeitschriften-Amtes beim Bund Nationalsozialistischer Deutscherjuristen (BNSDJ)8 an, das die von den Mitgliedern des BNSDJ herausgegebenen Zeitschriften überwachen sollte. Nach mehreren wei­ teren Kontrollmaßnahmen - etwa dem sog. Unbedenklichkeitsvermerk der Partei­ amtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums - schuf Frank am 8. Februar 1935 ein Amt für Rechtsschrifttum im Reichsrechtsamt der NSDAP, das durch Zusammenarbeit mit den sonstigen Parteiorganisationen in der Lage war, die »gesamte Produktion juristischer Literatur zu überwachen«’. Zudem erschien ab Januar 1936 im Zentralverlag der NSDAP die monatliche »NS-Bibliographie«, die das »förderungswürdige« juristische Schrifttum enthielt. Nach den Bücherverbrennungen im Mai 1933 und einer ersten allgemeinen Liste mit unerwünschten Büchern ordnete die Reichsschrifttumskammer am 16. April 1935 an, daß Bücher, die von der Parteiamtlichen Prüfungskommission beanstandet wor- wurde die Tagung zunächst »totgeschwiegen«. So findet sie in den Beiträgen der beiden Festschriften für Schmitt von 1959 und 1968 - alles andere wäre allerdings auch erstaunlich - keine Erwähnung. Die der ersten Festschrift beigegebene (zweite) Bibliographie von Tommissen verzeichnete immerhin schon den Abdruck des Tagungsschlußwortes von Schmitt in der DJZ 1936, 1193- Tommissen, Carl-Schmitt-Biblio- graphic, S. 292, Nr. 183, in: Barion/Forsthoff/Weber (Hrsg.), FS für Schmitt, 1959, S. 273 ff. In der Er­ gänzung der Bibliographie anläßlich der zweiten Festschrift für Schmitt 1968 hat Tommissen dann den Tagungsband mit beiden Ansprachen Schmitts »nachgetragen« - Tommissen, Ergänzungsliste zur Carl- Schmitt-Bibliographie vom Jahre 1959, S. 745, Nr. E 27, in: Barion/Böckenförde/Forslhoff/Weber (Hrsg.), Epirrhosis. FG für Schmitt, 2.Teilband, 1968, S. 739 ff. Seit einiger Zeit besteht in der Fachöffentlichkeit wohl allgemeine Kenntnis von der Tagung. So taucht sie auch in der Deutschen Biographischen Enzy­ klopädie (DBE) auf, vgl. Ebert, Carl Schmitt, in: Killy/Vierhans (Hrsg.), DBF, Band 9, 1999, S. 29 f. (30). 5 RGBl. I 1933, 6 Vgl. dazu und zum weiteren Göppinger (Fn. 2), S. 139 ff. 7 RGBl. I 1933, 713. 8 Der BNSDJ wurde anläßlich des Leipziger Juristentages im Mai 1936 in NSRB umbenannt, vgl. das Mitteilungsblatt des BNSDJ/NSRB (im folgenden: Mittbl.NSRB) 1936, 1 $9. 9 Göppinger (Fn. 2), S. 144. ,82 den seien, nicht mehr über den Buchhandel vertrieben werden dürften.10 11 Zeitgleich fertigte die Reichsschrifttumskammer eine vertrauliche Liste des unerwünschten Schrifttums an, die zumindest zweifach ergänzt wurde und auch Werke juristischer Autoren enthielt. Im Mai und Juni 1936 wurde in zwei Artikeln der Zeitschrift Deutsches Recht (DR), dem Zentralorgan des NSRB, der Ausschluß »nichtarischer« juristischer Werke gefordert." Im Sommer 1936 erschien eine anonyme maschinen­ schriftliche Liste mit jüdischen Juristen12, die Anfang 1937 in zweiter und leicht erweiterter Auflage unter dem Namen Erwin Albert im Kohlhammer Verlag ver­ öffentlicht wurde'3. Sie trägt allerdings weder den sog. Unbedenklichkeitsvermerk noch wird sie in der »NS-Bibliographie« erwähnt. In der zweiten Auflage finden sich auf 55 Seiten 918 Personen, darunter neben Rechts- und Wirtschaftswissen­ schaftlern auch Philosophen'4 und Politiker. Ebenfalls 1937 folgte eine Liste mit deutschen Rechtsanwälten jüdischer Herkunft in Form eines Loseblattwerkes. 10 Vgi. dazu und zum weiteren Göppinger (Fn. 2), S. 144 ff. 11 Danielcik, Rubrik Kritische Umschau, DR 1936, 207 (208), als Einleitung zu einer tendenziösen Bespre­ chung von Reimer, Kommentar zum GWB, 1935; Coblitz [Leiter des Amtes für Rechtsschrifttum], Das nationalsozialistische Rechtsschrifttum, DR 1936, 242 (246). 12 So Göppinger (Fn. 2), S. 149. Die im Kohlhammer Verlag herausgegebene Liste enthält auf 53 Seiten 849 Namen. Das vom Verfasser eingesehene Exemplar trägt das bibliothekarische Erfassungsdatum *21. 8. 36«. In der zweiten Auflage ist das Vorwort zur ersten Auflage auf den 20.6.36 nachdatiert. 13 Albert, Verzeichnis jüdischer Verfasser juristischer Schriften, 2. Aufl. 1937. 14 Etwa Ernst Cassirer (S. 10) und Hermann Cohen (S. 12), zwei Vertreter der Marburger Schule des Neu­ kantianismus, sowie Spinoza (S. 48). Diese Erwähnungen zeigen, daß es dem damaligen Herausgeber um mehr ging, als ein Verzeichnis »für den täglichen Gebrauch« etwa bei »Examensarbeiten, Dissertationen u. dgl.« für Juristen und Volkswirte (Vorwort zur 1. Aufl.) zu schaffen. - Für zahlreiche Anregungen möchte der Verfasser dem Cohen-Forscher Dr. Dieter Adelmann, Wachtberg, danken. 15 Vgl. Göppinger (Fn. 2), S. 6 5 ff., dem auch zu entnehmen ist, daß zu diesem Zeitpunkt die »Maßnahmen« teilweise noch andauerten. 16 Schmitt, DJZ 1936, 1193 (1194), sah die Tagung als ein »Anfangsergebnis« an. 17 DJZ 1936, 437. 18 Schmitt, Aufgabe und Notwendigkeit des deutschen Rechtsstandes, DR 1936, 181 (181, Anm. 1). 19 DJZ 1936, 1019. 20 Vgl. zu dem bisher nur wenig erforschten NSRB die Dissertation von Sunnus, Der NS- Rechtswahrcrbund (1928—1945), 1990, und dort, S. 114 f., insb. zur Reichsgruppc der Hochschullehrer, die als im Sinne der damaligen Ideologie wenig erfolgreich gewürdigt wird. III. Die Tagung vom ,./4. Oktober 19,6 Nach der Entlassung der Verwaltungsbeamten, Richter und Staatsanwälte jüdischer Herkunft, den Berufsverboten für die entsprechenden Rechtsanwälte und Notare'3 14 15 sowie der parteiamtlich unterstützten Weigerung der Verlage, juristische Werke dieser Personengruppe herauszugeben und zu vertreiben, sollte auf der Berliner Tagung im Herbst 1936 mit der systematischen Beseitigung des geistigen Beitrages der Juristen jüdischer Herkunft an der deutschen Rechtswissenschaft begonnen werden.'6 Die Stoßrichtung erweiterte sich damit über die genannten Einzelpersonen und ihre Berufstätigkeit hinaus auf die - angeblich andersartige und isolierbare - Gedanken­ welt der staatlich verfolgten Glaubensgruppe. Die Tagung war von Schmitt - wie die Deutsche Juristen-Zeitschrift uploads/Geographie/ busse-christian-eine-maske-ist-gefallen-die-berliner-tagung-x27-das-judentum-und-die-rechtswissenschaft-x27-2004-orig-dsb.pdf

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