DAS WORT »ASSASSIN« (assassino, asesino) hat sich in fast allen west- und südeu

DAS WORT »ASSASSIN« (assassino, asesino) hat sich in fast allen west- und südeuropäischen Sprachen als Bezeich- nung für »Mörder«, genauer: »beauftragter, heimtücki- scher Mörder« eingebürgert. Die wenigsten nur kennen die Herkunft dieses Wortes, wissen, daß es durch die Kreuzfahrer nach Europa kam, die durch das Wirken der »Assassinen« einst in Angst und Schrecken versetzt wor- den waren. Die Assassinen: Speerspitze der islamischen Ismailitensekte, die sich im 8. Jahrhundert von den Schii- ten trennte und ihnen seitdem den Rang als führende fundamentalistische Erneuerungsbewegungstreitig mach- te. Die Ismailiten wollten den auf Gerechtigkeit, Frömmig- keit und totaler Hingabe des einzelnen gegründeten Got- tesstaat – und sie wollten ihn sofort. Sunnitische wie schiitische Machteliten, die ihre Privilegien behalten woll- ten, waren ihnen dabei im Wege. Gegen sie richtete sich seit Ende des 11. Jahrhunderts der Terror der Assassi- nen. Die Assassinen ist ein ebenso faktenreiches wie leicht und spannend zu lesendes Buch. Obwohl ursprünglich ein Fachbeitrag zur islamischen Geschichte, ist es gerade : aktuell: Indem es die Ursprünge einer einflußreichen Strömung des islamischen Fundamentalismus nachzeich- net, stellt es den modernen Terror, der in dessen Namen geschieht, in eine historische Perspektive. BERNARD LEWIS, geboren 1916 in London, ist einer der führenden Islamkenner der Gegenwart. Nach dem Studi- um der Orientalistik war er seit 1949 Professor für Nah- ost-Studien, zunächst in London, später in Princeton (USA). Auch nach seiner Emeritierung leitet er das Annenberg Institute in Philadelphia, ein Forschungszen- trum für Orientalistik und Judaistik. Veröffentlichungen: The Origins of Ismailism (1940), The Arabs in History (1950), Race and Colour in Islam (1971), The Muslims Discovery of Europe (1982). Bernard Lewis Die Assassinen Zur Tradition des religiösen Mordes im radikalen Islam Aus dem Englischen von Kurt Jürgen Huch Eichborn Verlag Reprint der limitierten Bleisatzausgabe Copyright © George Weidenfeld and Nicolson Ltd. Copyright © 2001 für die deutschsprachige Ausgabe: Eichborn AG Umschlaggestaltung: Christina Hucke Frankfurt am Main, 2001 ISBN 3-8218-4727-1 Für Michael 7 Vorwort zur deutschen Ausgabe Seit seinem ersten Erscheinen im Jahre 1967 hat dieses Buch eine Aktualität erlangt, wie es sie zum Zeitpunkt der Erstpublikation noch nicht hatte. Indiz dafür mag seine weitere Publikationsgeschichte sein. Der englische Text wurde mehrfach nachgedruckt, in Großbritannien ebenso wie in den Vereinigten Staaten. Übersetzungen erschienen in mehreren anderen Sprachen. Eine franzö- sische Übersetzung kam 1982 in Paris heraus; ihr folgte 1984 eine Taschenbuchausgabe in Brüssel. Zwei ara- bische Übersetzungen entstanden unabhängig vonein- ander — die eine in Damaskus, die andere in Kairo. Unter der Monarchie gab es eine persische Ausgabe in Teheran; sie wurde während der Republik neu aufge- legt, ergänzt um zwei weitere Monographien, die ich einige Jahre früher zu eng verwandten Themen ge- schrieben hatte. Eine japanische Übersetzung erschien 1973 in Tokio. Woher solches Interesse an einer Bewegung, die im Mittelalter begann und endete? Zumindest teilweise spiegelt sich die Besonderheit dieses Interesses im Wechsel des Untertitels, wie ihn die französische Über- setzerin vorgenommen hat. Der Originaltitel lautete: The Assassins. A Radical Sect in Islam. In der franzö- sischen Version wurde daraus: Les Assassins. Terrorisme et politique dans l'Islam mediéval. Hierbei wird die Ab- sicht deutlich, zu suggerieren, es gebe eine gewisse Parallele zwischen den in diesem Buch behandelten Er- eignissen und Bewegungen und jenen, die in den letzten Jahren einen Großteil der islamischen Welt erschüttert haben. 8 Alle Geschichte, so hat der große deutsche Historiker Leopold von Ranke bemerkt, ist gleichzeitig. Das gilt für die islamische Welt nicht weniger als für die west- liche — eher mehr, denn die islamische Welt beginnt erst jetzt die lange Reihe der sozialen, ökonomischen und religiösen Veränderungen durchzumachen, die in Europa das System der modernen säkularen, industrialisierten Staaten an die Stelle der mittelalterlich-christlichen Welt treten ließen. Die Religion hat in der islamischen Welt noch immer eine nationale und gesellschaftliche Bedeu- tung — als Quelle von Autorität, Brennpunkt von Loya- lität, Definition von Identität —, wie man sie in Europa seit den durch Renaissance, Entdeckungen, Reforma- tion, Aufklärung und Industrielle Revolution ausge- lösten Veränderungen nicht mehr kennt. Darüber hinaus aber gibt es, in einem viel tieferen Sinn, im Islam eine Verkettung von Religion und Poli- tik, die in der christlichen Religion nie bestand. Der Begründer des Christentums gebot seinen Anhängern, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist. Mehr als 500 Jahre lang waren die Christen eine machtlose, oft heftiger Verfolgung ausgesetzte Minorität. Erst mit Konstantins Bekehrung wurde das Christentum Staatsreligion und bildete eine eigene Insti- tution, die Kirche, mit eigenen Gesetzen, eigenen Ge- richten, einer eigenen Verwaltungshierarchie. Während der ganzen christlich geprägten Geschichte und in praktisch allen christlichen Gesellschaften wurde akzep- tiert, daß es zwei Autoritäten gab, die mit unterschied- lichen Dingen befaßt waren: Gott und Kaiser, Kirche und Staat, geistlicher und weltlicher ›Arm‹. Beide waren bisweilen verbündet, bisweilen getrennt, bis- weilen in Harmonie oder im Konflikt miteinander; bis- weilen dominierte die eine Autorität, bisweilen die andere. Stets aber waren es zwei. Im prämodernen Islam dagegen gab es nur eine Auto- rität. Dem Begründer des Islams war es nicht, wie Moses, 9 verboten, sein Verheißenes Land zu betreten; noch weniger hatte er ein Martyrium zu erleiden. Im Gegen- teil: Zu seinen Lebzeiten bereits kam er zu militäri- schem und politischem Erfolg. Nach der Flucht aus seiner Geburtsstadt Mekka nach Medina schuf er einen neuen Staat und war schließlich in der Lage, Mekka selbst zu erobern und zu regieren. Muhammad wurde ein Souverän; er kommandierte Armeen, gebot über Krieg und Frieden, erhob Steuern, schuf Recht — mit einem Wort: Er vollzog all jene Souveränitätsakte, die nach muslimischer Auffassung seine Erwähltheit voll- kommen sichtbar machten, und wurde zu einem Vor- bild für künftige Generationen. So durchdringen sich in der islamischen Geschichte und besonders zur Zeit der frühen, grundlegenden Er- eignisse, die Gemeinbesitz aller Muslime und für ihr kollektives Bewußtsein prägend sind, Credo und Macht, wahrer Glaube und weltliche Herrschaft total. Dazu gibt es weder im Christentum eine Parallele, noch gab es sie im Judentum seit den frühesten Büchern des Alten Testaments. Der Islam, sagte Ajatollah Cho- meini, ist Politik, oder er ist gar nichts. Nicht alle Mus- lime und übrigens auch nicht alle Islamisten gehen so weit, aber zweifellos legte der Ajatollah den Finger auf ein wichtiges Element der Verwandtschaft von Religion und Politik, so wie Muslime sie begreifen und die islamische Geschichte sie spiegelt. Dies alles bedeutet nicht, daß, wie gelegentlich ange- nommen, die Aktivitäten jener, die im Namen des Islams als Terroristen auftreten, durch islamische Dok- trin, Tradition oder Gesetzgebung in irgendeiner Weise gestützt oder gar gutgeheißen würden. Das islamische Recht erlaubt Praktiken wie die wahllose Ermordung von Nichtkombattanten oder Geiselnahmen zum Zweck der Erpressung keineswegs; es verbietet sie ausdrück- lich. Niemand, sagt der Koran an mehreren Stellen, soll sich mit einem andern belasten. Natürlich regelt 10 das islamische Gesetz Geben und Nehmen von Geiseln — aber auf freiwilliger Basis, wenn nämlich Geiseln zwischen zwei Parteien ausgetauscht werden, um als Bürgen die Erfüllung der beiderseitigen Verpflichtun- gen sicherzustellen. Solche Bräuche waren einst auch in der christlichen Welt sehr verbreitet und haben rein gar nichts mit modernen Entführungs- und Erpres- sungspraktiken zu tun. In ähnlicher Weise enthält das islamische Gesetz, während es zugleich den Heiligen Krieg der Gläubigen gegen die Ungläubigen befiehlt, gewisse Regeln der Kriegführung, etwa die Rücksicht auf Nichtkombattanten. Die frühesten Formulierungen dieser Regeln gehen fast auf den Beginn der islamischen Ära zurück. Die Assassinen repräsentieren keine Hauptströmung islamischer Tradition oder islamischen Konsenses; sie waren sozusagen eine Häresie innerhalb einer Häresie — ein extremistischer Ausläufer der schiitischen Bewe- gung, die ihrerseits eine Abweichung vom überwiegend sunnitischen Islam darstellt. Die Praktiken und Über- zeugungen der Assassinen wurden von der Mehrheit sowohl der Sunniten wie der Schiiten abgelehnt; sie wurden schließlich sogar von der kleinen Minderheit aufgegeben, die an den spezifischen Überzeugungen der Assassinen festhielt. In einem sehr bedeutsamen Aspekt unterscheiden sich die mittelalterlichen Assassinen von ihren modernen Imitatoren: in der Auswahl ihrer Ziele und der Art ihres Angriffs. Seit dem Mittelalter gibt es im Westen das verbreitete Mißverständnis, Wut und Waffen der Assassinen seien gegen die Kreuzfahrer gerichtet ge- wesen. Das stimmt nicht. Unter ihren Opfern waren relativ wenige Kreuzfahrer, und selbst diese waren ge- wöhnlich im Rahmen eines innermuslimischen Plans vorgemerkt. Die überwältigende Mehrheit ihrer Opfer waren Muslime, denn ihr Angriff galt nicht Außen- stehenden, sondern den dominierenden Eliten und 11 Ideen des Islams. In späteren Epochen scheinen die Assassinen in Syrien sogar eine nachbarschaftliche Be- ziehung zu zwei christlichen Ritterorden, den Templern und den Johannitern, hergestellt zu haben, denen sie auch Tribut zahlten. Die auserwählten Opfer der mittelalterlichen Assassi- nen fanden sich in der herrschenden Schicht des Islams: Monarchen, Minister, Generale, hohe religiöse Würden- träger. Stets wurde die gleiche Waffe gebraucht: der Dolch, persönlich geführt von dem für die Tat desig- nierten Assassinen. D. h., man wählte die schwierigsten und am schwersten erreichbaren Ziele und die gefähr- lichste Angriffsmethode. Bemerkenswerterweise wurde nicht auf sichere Waffen — Bogen, Armbrust oder Gift — zurückgegriffen, die zu dieser Zeit ebenfalls ver- fügbar waren. Der Assassine selbst machte, hatte er sein ihm zugewiesenes Opfer einmal niedergestreckt, keinen Versuch zu entfliehen; ebensowenig wurde ver- sucht, ihn zu retten. Im Gegenteil: Eine Mission uploads/Geographie/ tribeswomen-of-iran.pdf

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